Reizarmut

Es ist Montagmorgen, 8 Uhr. Der Trott des Alltags sollte eigentlich beginnen. Aber aufstehen kostet genau so viel Kraft wie das Einloggen auf Studis nach der Benachrichtigung eines Klausurenergebnisses. Um genauer zu sein, ist es eigentlich bald Klausurenphase und du solltest lernen. So optimistisch wie Studenten nun mal sind, machst du dir im Kopf einen Tagesplan, der vor allem lernen, den Haushalt schmeißen und einkaufen gehen beinhaltet. Doch plötzlich fällt dir ein, dass du die Montagmorgenvorlesung völlig verpennt hast. Jeder, der schon einmal in so einer Situation war, weiß, wie sehr es den gerade noch ruhigen Moment durcheinanderwirbeln kann. Dabei könnte das Leben doch so einfach sein – tagsüber lernen und abends mit seinen Freunden feiern gehen. Einfach alles vergessen und die ganzen Tabs im Kopf, wie nach dem Beenden einer Hausarbeit, schließen. Wo ist in solchen Situationen der Regisseur, der abrupt „CUT“ schreit und mit einem viel besseren Drehbuch um die Ecke kommt?

Wie sähe so ein Drehbuch für dich aus – eine Situation frei von Stress und Sorgen? Für viele mag es eine gute Party sein, laut schrillende Bässe und eine Odyssee durch die Vielzahl alkoholischer Getränke. Andere bevorzugen ein gutes Essen: nichts befriedigt doch so wie ein guter Döner oder Burger. Was hat diese Vielzahl an Dingen gemeinsam? Eben in solch chaotischen und stressigen Zeiten wie der Klausurenphase wünscht man sich genau diese Dinge. Oder noch viel mehr die Ablenkung, welche sie mit sich bringen. Wenn wir von den Problemen abgelenkt sind, kann uns das wie ein frischer Luftzug vorkommen, der etwas Frühling in die ganze Sache bringt. Doch ist das die einzige Möglichkeit, um an ein solches Gefühl zu kommen?

Nach einem langen Unitag ist für mich das Beste, mit dem Hund allein in den Bergen unterwegs zu sein. Keine Tramdurchsagen, keine langen Schlangen in der Mensa und erst recht keine Studis-Benachrichtigungen. Trotzdem kreisen die Gedanken um dieselben Dinge und der Stress ist noch da. Aber wenn ich oben angekommen bin, ist er wie weggeweht. Man könnte jetzt viel philosophieren und nach einer Erklärung suchen, oder dem irrsinnigen Humor des Lebens folgen und die Aufschrift eines Schildes lesen, das ich oben fand – „Reizarmut“. Könnte das die Antwort auf die obige Frage sein?

Dem Text auf dem Schild nach ist Reizarmut die bewusste Wahl von Dingen, die weniger reizen. Beispielsweise einen Tee anstatt ein Glas Cola, ein Spaziergang anstelle abends am Smartphone-Bildschirm getackert zu sein. Durch die Linse dieses Gedankengangs sind Feiern gehen, Fastfood, YouTube und allerlei Dinge eine Überstimulierung, die uns davon ablenken einfach einmal abzuschalten. Irgendwie ist die Idee doch gedankenprovozierend. Vielleicht können wir uns die Irrfahrt zur Ruhe sparen, wenn wir uns bewusst für reizlose Alternativen entscheiden. Dann ist auch das Wort „Armut“ im Titel nicht mehr verwunderlich. Jemand der arm ist, hat nur das Nötigste zu leben und keine Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten. Heutzutage haben wir jedoch allerlei Möglichkeiten uns abzulenken. Welche Reizüberflutungen gibt es in deinem Leben? Von welchen profitierst du? Wenn die Überstimulierungen mehr stören als nützen, gäbe es eine reizärmere Alternative, die genau denselben Zweck erfüllen würde? Es lohnt sich darüber nachzudenken.

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