Disclaimer: Dieser Artikel wird keine Spoiler von Schicksalen der Charaktere der ersten oder zweiten Staffel beinhalten.
Die erstmals 2021 erschienene Mega-Erfolgsserie Squid Game wurde zur meistgesehenen Netflix-Produktion gekürt und machte südkoreanische Kinderspiele weltweit beliebt. Zum Anlass der neu veröffentlichten zweiten Staffel bietet sich ein Einblick in die Entstehung und Kernaussagen der Serie an, denn neben Spannung und Drama liefert sie tiefgreifende Gesellschafts- und Systemkritik, die Moral und Macht hinterfragt.

Worum geht´s?
Die Geschichte dreht sich um verzweifelte Menschen, die in ihrer finanziellen Hoffnungslosigkeit zu einem mysteriösen Wettbewerb eingeladen werden. Unter vermeintlich fairen Bedingungen nehmen sie an südkoreanischen Kinderspielen teil, um die große Siegesprämie zu gewinnen. Der Kniff des Wettbewerbs ist, dass sich das Preisgeld mit jedem Ausscheiden eines Teilnehmers erhöht. Eine Eliminierung ist jedoch endgültig – die Verlierer zahlen mit ihrem Leben.
Kapitalismus, Armut und Überlebenskampf als Botschaft
10 Jahre lang arbeitete Produzent Hwang Dong-hyuk an dem Skript für Squid Game, bevor es zur Produktion kam. Es war ein Herzensprojekt, da es auf gewisse Weise sein eigenes Leben wiederspiegelte: Die Finanzkrise 2008 in Südkorea traf Dong-hyuk hart und der enorme Stress während der Arbeit kostete ihn sogar mehrere Zähne. Mit seiner Storyidee intendierte er die Belastung in Armut lebender Menschen aufzuzeigen, welches oft hinter dem Anschein der positiven Wirtschaftsentwicklung Südkoreas verschwindet. Zugleich lassen sich auch Kritikpunkte am Kapitalismus und der Ungleichberechtigung der Gesellschaft herausarbeiten.

Die Hintergrundgeschichte des wichtigsten Charakters Gi-Hun wurde von den Ssangyong Streiks 2009 inspiriert. Die Firma SSangyong Motors wurde damals an ein chinesisches Unternehmen verkauft, um Insolvenz vorzutäuschen und somit rund 2000 Arbeitnehmer ohne jegliche Vorwarnung zu kündigen. Der folgende Streik gegen die Entlassung wurde von zahlreichen Polizeitruppen gewaltsam beendet. Nur wenige Arbeiter erhielten Abfindungen, die Meisten wurden dauerhaft freigestellt, ohne Aussicht auf neue Jobangebote. Darüber hinaus wurden alle Streikteilnehmer vor Gericht verklagt und finanziell ruiniert. Über 30 Betroffene begingen folglich Selbstmord.

Gi-Hun, sowie alle anderen Teilnehmer der Squid Games, befinden sich in verschiedensten prekären Lebenslagen, jedoch alle mit unbezahlbaren Schulden und chancenlosen Zukunftsperspektiven. Dies verweist auf eine weiteres Gesellschaftsproblem, das in Südkorea durchaus präsent ist: Kriminelle Kreditgeber und Gangs treiben oft verzweifelte Menschen mit illegalen Maschen in Schuldenfallen . Staffel 1 Episode 9 verrat dem Zuschauer, dass Südkorea über eine der höchsten Raten an Verschuldung verfügt, welche weit über dem Durchschnitt anderer Länder liegt. Diese Aspekte verstärken die Motivationen der Charaktere an den Squid Games teilzunehmen, denn die Alternative wie bisher weiterzuleben, scheint für sie ausgeschlossen. Durch diese extremen Existenzängste sind die Teilnehmer sogar bereit, ihr eigenes, und das Leben ihrer Mitspieler zu riskieren, um sozial und finanziell aufsteigen zu können.
Es gibt eine klare Hierarchie und Rollenverteilung aller Figuren in der Serie, die der Rangpyramide kapitalistischer Gesellschaftsysteme ähneln: Die Spieler repräsentieren die Arbeiterklasse am Boden; die Wachen, mit wiederrum unterschiedlichen Rängen, die Mittelklasse. Der Spielkontrolleur, auch als “Frontman” bekannt, gehört zur Oberklasse und die reichen VIP´s, die die Squid Games zum eigenen Vergnügen ansehen, bilden die Elite und verkörpern die großen Wirtschaftsmächte.

Die Rechtfertigung der Gastgeber und der VIPs für die Squid Games ist, dass bereits verlorenen Menschen eine letzte Chance gegeben wird, Reichtum zu erlangen. Dabei betrachten sie die Teilnehmer jedoch nicht als gleichwertige Menschen, sondern als “Abschaum der Gesellschaft”. Da die Teilnahme als freiwillig gilt, werden alle resultierenden Konsequenzen einer Eliminierung den Spielern selbst angelastet. Diese scheinbare Fairness zeigt sich als Doppelmoral: Wichtige Informationen, wie etwas spezifische Spielregeln, werden absichtlich vorenthalten, um die Menschen in eine Falle zu locken. Während ein fairer Konkurrenzkampf inszeniert wird, werden jedoch schwächere Gruppen kompromisslos ausgebeutet und folglich für ihr Versagen verantwortlich gemacht. Die Figur Gi-Hun, der nicht als intelligenteste Figur die Serie anführt, verkörpert hier sinnbildlich, wie wichtig Glück und Zufälle sind, um im Leben aufsteigen zu können.
Produzent Hwang Don-hyuk spielte mit verschiedensten Symboliken und Details, um seinen Botschaften mehr Gewicht zu verleihen: Die Grundlage einer spielplatzähnlichen Raumgestaltung und der Integration von Kinderspielen, die an unschuldige Zeiten erinnern, schafft im Zusammenhang mit der dargestellten Brutalität ein zunehmend beunruhigendes Umfeld. Die Kandidaten wirken nahezu wie Kinder, gleichzeitig jedoch wie Gefangene. Metaphorisch deutet dies auf ihre ausweglose Situation hin, welche Verlierer gnadenlos aussortiert und sie zu unmenschlichem Verhalten drängt, um auch nur eine kleine Chance auf ein besseres Leben zu bekommen.

Was macht die Serie so überzeugend?
Dong-hyuk behandelt in Squid Game wichtige Themen wie Antikapitalismus, Armut und die Psychologie von Angst und Verzweiflung. Die vielschichtigen Charaktere beider Staffeln bewegen sich geschickt auf einem schmalen Grat zwischen Nachvollziehbarkeit und Abscheulichkeit, dennoch fällt es leicht Sympathie für sie aufzubauen. Wie schon in Staffel 1 angedeutet, finden die Squid Games auch in anderen Ländern statt, und nicht nur in Südkorea. In Bezug auf die Realität scheint dies sogar erschreckend plausibel. Wichtige Themen und Fragestellungen werden gezielt in den Raum geworfen, ohne diese jedoch zu beantworten; somit liegt es am Zuschauer selbst, sich eine Meinung zu bilden und subtile Details mit ihren Bedeutungen zu verstehen.
Trotz brutaler Elemente enthält die Serie dennoch viel Humor, weswegen sie für das Publikum so gut funktioniert: Der Inhalt ist unterhaltsam und intelligent inszeniert, während gleichzeitig wichtige Gesellschaftsprobleme aufgezeigt werden, die für den Zuschauer nachhallend wirken. Genau diese Resonanz macht die Serie so erfolgreich und wirkungsvoll.
Wer Squid Game noch nicht gesehen hat, der findet sie auf Netflix unter den Top 10 neu hinzugefügter Serien.