„Es geht darum, diesen inneren Kampf anzunehmen“

Ein Interview mit Günay Dönmez, dem ersten Vorstand des Antiochia-Kulturvereins e.V.

Text: Michael Müller, Illustration: Natalia Sander
Text: Michael Müller, Illustration: Natalia Sander

Seit dem 1. Juli 2014 ist der Antiochia Kulturverein e.V. offiziell in Augsburg aktiv. Sein Ziel liegt vor allem darin,
Jugendlichen mit Migrationshintergrund dabei zu helfen, in Deutschland ihren Weg zu gehen. Wir sprachen mit Günay Dönmez, dem Vorsitzenden des Vereins, über die Bedeutung einer kulturellen Identität sowie Mehr- und Minderheiten in Deutschland.

Presstige: Könntest du zum Einstieg kurz erklären, welche Idee hinter dem Antiochia Kulturverein steckt?

Günay Dönmez: Das ist ziemlich komplex. Ich komme aus einer großen Familie und habe mich irgendwann gefragt, warum so wenige meiner Verwandten einen höheren Bildungsabschluss haben. Neben vielen anderen Gründen liegt das zugespitzt daran, dass den Menschen eine kulturelle Identität fehlt. Sie müssen zuerst begreifen, dass sie jetzt auch nach Deutschland gehören, egal, wo ihre Familie herkommt. Erst dann können sie hier Herausforderungen annehmen. Wir wollen Jugendlichen dabei helfen, ein solches Bewusstsein zu entwickeln.

Was verstehst du unter Kultur?

Man denkt bei Kultur immer zuerst an Sprache, Literatur oder Musik, aber es reicht viel weiter. Hugo von Hofmannsthal hat gesagt: „Kultur ist zu wissen, was einen zu wissen angeht.“ Sie ist eine geistige Heimstätte und definiert, wer man ist. Ein Teil davon wird durch das Elternhaus vorgegeben, aber gerade wenn man als Migrant die Wahl zwischen mehreren Kulturkreisen hat, wird es zu einer Frage der persönlichen Freiheit, sich zu entscheiden, welchen man annimmt.

Ist Kultur damit mehr Entscheidungssache als Erbe?

Kultur geht nicht ohne Hintergrund, ohne die geistige Heimstätte, die man von zu Hause mitbringt. Du musst wissen, wer du bist, um zu definieren, welche Kultur zu dir passt. Fragen nach der eigenen Kultur ergeben sich erst aus dem Leben. Ich bin in der Schule und an der Uni nur unter Deutschen aufgewachsen und habe mir diese Fragen immer gestellt. Ein anderer wird in seinem Alltag nicht damit konfrontiert und stellt sie sich deshalb nicht. Doch solche Fragen sind wichtig. Erst wenn ich ihre Antwort kenne, kann ich mir eine Kultur suchen, die ich leben möchte.

Geht es euch auch darum, den Verlust der alten Kultur zu vermeiden?
Kulturverlust ist so negativ konnotiert. Es geht eher darum, eine neue Kultur dazuzugewinnen. Wenn einer, der in der dritten Generation hier lebt, sagt, er sei Türke, dann irritiert mich das. Seine Familie lebt bereits so lange hier, da fällt es schwer, zu verstehen, wie er sich definiert. Damit ist nicht die Definition Türke, Deutscher oder Araber gemeint, sondern welche Identität er hat. Darüber ist er sich anscheinend nicht im Klaren.

Woher kommt der Bezug zur Stadt Antiochia in eurem Namen?

Das hat zwei Gründe. Erstens gehören wir einer arabischen Minderheit an, die aus Antiochia kommt. Die Stadt ist zudem aber auch ein historisches Symbol: In Antiochia haben über lange Zeit das Judentum, das Christentum und der Islam friedlich nebeneinander existiert. Das zeigt, dass ein funktionierendes Zusammenleben verschiedener Gemeinschaften immer möglich ist. Konflikte gab es erst durch die Politik. Daher haben wir absolut keinen politischen Anspruch. Wenn wir es schaffen, dass sich einige Migrantenkinder aktiv an der Gesellschaft beteiligen zum Beispiel, indem sie einen produktiven Job annehmen, dann haben wir schon geholfen.

Ausgabe 27: Wohnen Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 27 unseres gedruckten Magazins.

Was macht der Verein genau?

Unsere Arbeit beginnt bei Kochkursen, Videoabenden oder Sprachkursen in Deutsch und Arabisch. Es geht aber auch darum, als Migranten, die in Deutschland bereits ihren Weg gegangen sind, nachfolgenden Generationen ein Vorbild zu sein und zu helfen. Deshalb machen wir zum Beispiel Bewerbungstrainings.

Wer kann bei euch mitmachen?

Wir suchen engagierte Leute aus allen Bildungsschichten. Deshalb sind die Mitgliedsbeiträge bewusst niedrig gehalten, für Studenten nur einen Euro im Monat. Im Moment würden uns Unterstützer für den Musikunterricht sehr helfen. Wir wollen aber niemanden, der irgendeinen politischen Anspruch hegt. So jemand kann auch rausfliegen. Politik gibt es im Umfeld des Islam bereits genug.

Vieles von dem, was du sagst, klingt nach Integration. Geht es dann nicht doch um ein politisches Thema?

Nein, es geht darum, dass die Jugendlichen annehmen, was hier passiert. Sie sollen sich nicht selbst in die Opferrolle des Fremdseins drängen. Häufig sind ihre Eltern als Kind in ein Land mitgenommen worden, dessen Sprache sie kaum kennen, in dem sie sich ausgegrenzt vorkommen und das Gefühl haben, sich immer durchsetzen zu müssen. Gegen diese Einstellung wollen wir etwas tun. Was wir dagegen nicht wollen und auch gar nicht können, ist im großen Stil gesellschaftliche Klischees zu beheben. Wir wollen nur vorleben, was für uns das Beste war, und die Leute können das annehmen oder eben nicht.

Also habt ihr auch keine politischen Erwartungen an Deutschland?

Wir haben die Einstellung, dass jeder selbst für sein Schicksal verantwortlich ist. Du wirst von keinem von uns hören, dass wir Ansprüche an die Mehrheit stellen. Wir wollen den Jugendlichen zeigen, wie es ohne fremde Hilfe geht. Wenn zudem Unterstützung kommt, ist das gut, aber es soll keine Anspruchshaltung entstehen. Fakt ist: Vergleicht man einen deutschen und einen türkischen Arzt miteinander, dann hat der türkische Arzt mehr um diese Position kämpfen müssen. Das darf aber kein Rückzugsgrund sein. Es geht darum, diesen inneren Kampf anzunehmen, um etwas zu erreichen. Dazu braucht es Motivation und Verantwortung vor allem sich selbst gegenüber. Wenn du mit positivem Verhalten vorangehst, dann öffnet sich auch die Mehrheit.

Kontakt
Antiochia Kulturverein e. V.
Gutermann-Straße 7c
86154 Augsburg
antiochia-kulturverein@gmx.de

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