Wie wir leben werden

Ein Blick hinter die Fassaden zukünftigen Wohnens

Wenn es um die Zukunft des Wohnens geht, denken viele sofort an Gadgets, wie wir sie aus Science-Fiction-Filmen kennen. Doch welche Trends bestimmen das Leben von morgen wirklich? Ein Blick in die Glaskugel.

Zukunftswohnen_1200px(1)
Text: Michael Müller – Illustration: Isabell Beck

Ein junges Ehepaar steht leicht beunruhigt in der durchdringenden Hitze der Steppe und beobachtet ein Löwenrudel bei der Verteilung der Jagdbeute. Allerdings spielt sich diese Szene keineswegs auf einer gemeinsamen Safari, sondern im Kinderzimmer ihres „Lebensglück-Hauses“ ab. Das Gebäude ist zudem komplett schallisoliert, kann von seinen Bewohnern über Sensoren gesteuert werden und nimmt ihnen sämtliche Alltagsaufgaben ab. Zukunftsmusik? Vielleicht, aber solche, die der amerikanische Autor Ray Bradbury bereits 1951 in seiner Kurzgeschichte „Das Kinderzimmer“ beschreibt.

Die Faszination der Technik ist ungebrochen, wenn es um die Frage geht, wie die Menschen in einigen Jahrzehnten leben werden. Weltweit präsentiert die Elektronikbranche auf sogenannten Future-Shows eine Vielzahl technischer Gadgets. Solche Shows malen das Bild einer hochtechnisierten Komfortwelt, in der unsere Haushaltsgeräte via WiFi kommunizieren und wir auf der Panoramascheibe im Wohnzimmer auch in 3D fernsehen können. Mit der tatsächlichen Zukunft des Wohnens hat dieses werbewirksame Ausloten technischer Grenzen jedoch nur am Rande zu tun.

Nicht die Technik prägt die Zukunft

Wohnen war schon immer ein Spiegel der Gesellschaft. Deshalb werden eher allgemeine Veränderungen im menschlichen Zusammenleben unsere Zukunft prägen als der technische Fortschritt. Zugegeben, auf den ersten Blick klingt das deutlich trockener als Hausroboter oder schwebende Couchgarnituren. Fast schon politisch geht es zu, wenn Zukunftsforscher Ressourcenknappheit, Urbanisierung und Überalterung als wesentliche Trends für das Zukunftshaus benennen. Doch bei der Frage, wie diesen Herausforderungen zu begegnen ist, braucht es mindestens so viel Innovation wie auf einer Future-Show.

Privathaushalte machen ungefähr 20 Prozent des gesamten Energiebedarfes in Deutschland aus. Die drohende Knappheit fossiler Brennstoffe stellt uns also vor die Herausforderung, wie wir diese Haushalte zukünftig versorgen. Deshalb arbeiten Forscher an Wohnkonzepten, die ihren Energiebedarf selbst decken können. Die größten Potenziale bergen Solarzellen, die schon auf vielen Dächern zu finden sind. Voraussichtlich werden die nicht nur effektiver, sondern auch unsichtbar. Inzwischen kann Solartechnologie so in Fenster und Fassaden integriert werden, dass sie nicht mehr zu sehen ist und den Wohnkomfort nicht einschränkt. Allerdings steht die Suche nach leistungsfähigen Energiespeichern erst am Anfang. Noch geht also das Licht aus, wenn draußen keine Sonne scheint.

Auch deshalb favorisiert die Politik einen anderen Weg: das Energiesparen. Dabei kommt nun doch die Technik ins Spiel. So bemerken elektronische Sensoren automatisch, in welchem Raum sich die Bewohner gerade aufhalten und fahren in den anderen den Energieverbrauch herunter. Vor allem spielt hier aber energetische Sanierung eine wichtige Rolle. Viele technische Kniffe können nur in Neubauten eingebaut werden, doch ungefähr 90 Prozent der Häuser von morgen stehen bereits. In diesen Fällen hilft nur noch das altbekannte Dämmen.

Die Zeichen der Zeit stehen auf urban und flexibel

Doch nach Ansicht der Forscher werden die Menschen nicht nur sparsamer wohnen, sondern auch in die Städte zurückkehren. Damit endet die Ära der Vororte, in die es vor allem junge Familien bisher gezogen hat. Die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte wächst stetig und könnte bald die klassische Kleinfamilie als Lebensentwurf ablösen. Damit geht ein flexibler Lebenswandel einher, der nirgendwo so leicht fällt wie in den Städten. Auch die zunehmende Alterung der Gesellschaft trägt zu einer steigenden Zahl kleiner Haushalte und einem Bedürfnis nach guter infrastruktureller Anbindung bei.

Um immer mehr Menschen auf begrenztem Platz unterzubringen, werden deshalb zum einen die verbliebenen Freiflächen der Innenstädte bebaut und zum anderen die Häuser immer höher werden. Das Bedürfnis älterer Menschen nach Versorgung soll durch die Quartiere selbst gedeckt werden. Eine große Zahl kleiner, gemischt besetzter Wohneinheiten fördert die Ausbildung privater Netzwerke unter den Bewohnern, die sich gegenseitig mit kleinen Handgriffen aushelfen und so der Überlastung der professionellen Altenversorgung entgegenwirken.

Doch auch die Innenräume der Wohnungen werden sich flexibilisieren. Die Forschung spricht von einem Wohnen in Zonen mit beweglichen Raumteilern anstelle klassischer durch Wände getrennter Räume. Auch die Funktionen der Räume werden ganz nach den Bedürfnissen ihrer Bewohner zusammenwachsen, zum Beispiel in gemischten Wohn- und Essbereichen. Das hilft jungen Menschen, die in ungesicherten Verhältnissen leben und häufig umziehen, genauso wie älteren Bewohnern, die vielleicht ein größeres Badezimmer wünschen als der Vormieter.

Das Wohnen der Zukunft wird sich also weiterhin unserer Gesellschaft anpassen – und das wohl, ohne das Wohnzimmer in ein Cockpit zu verwandeln. Vielleicht ist das auch gar nicht schlecht so. Dass zu viel Technik dem Wohngenuss schadet, hat übrigens auch schon Bradbury gedacht, dessen übertechnisiertes Haus seine Bewohner am Ende um den Verstand bringt.

Ausgabe 27: Wohnen Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 27 unseres gedruckten Magazins.

Schreibe einen Kommentar