presstige Autorin Joana Jäschke über (nicht) erfüllte Stereotype während ihres Auslandssemesters im französischen Städtchen Lille
Franzose sein ist gar nicht schwer: Man ziehe sich sein blau-weiß gestreiftes Hemd über, dazu die Baskenmütze und natürlich darf das Baguette unterm Arm nicht fehlen. Fertig ist er, der Franzose. Jedenfalls der, den die Werbung uns präsentiert.
Von Joana Jäschke
Aber dass die Werbung lügt, das habe ich ja schon im Studium der „Medien und Kommunikation“ inAugsburg gelernt. Also nichts wie hin, nach Frankreich, und sich mal den richtigen Franzosen angeschaut. Ich habe mir vorgenommen, in meinem Auslandssemester in Lille die gängigsten Vorurteile gegen unser Nachbarland unter die Lupe zu nehmen. Meine Erkenntnisse bis jetzt:
Vive la Revolution!
Die Franzosen lieben die Revolution. Das ist geblieben. Ein Beschluss wie die Einführung von Studiengebühren wäre hier nicht einfach durchgegangen. Wenn Franzosenstreiken, dann richtig. Dann fällt schon mal wochenlang die Pariser Metro aus. Oder die Unis im ganzen Land bleiben ein Semester lang verriegelt und verrammelt. Gerne werden auch vor den Studentenwohnheimen Mülltonnen angezündet und Autos in die Luft gejagt.
No Ihnglish, s’il vous plait!
Dass die Franzosen gegenüber Fremdsprachen so aufgeschlossen sind, wie die Kuh zum Radfahren, ist ein alter Hut. Doch auch trotz ausgeprägten Nationalstolzes werden ab und zu in den Bars einige englischsprachige Lieder gespielt. „Laikaprehr“ von Madonna ist auch hier ein Megahit. Allerdings verrät bereits das Mitgrölen eines englischen Liedtextes das nicht vorhandene Talent für Fremdsprachen. Aber wenn man schon ums Englische nicht herumkommt, wird’s eben „eingefranzösischt“. Als ich neulich jemanden gefragt habe, ob er den amerikanischen Sänger Ben Harper kenne, lautete die Antwort sofort „non“. Später beteiligte er sich rege an einer Diskussion über einen gewissen Typ namens (Achtung Lautschrift!) „BönApah“ … Dementsprechend sorgt selbst die englische Aussprache eines englischen Wortes für große Verwirrung.
Der Franzose schmiert sich Frosch aufs Brot
Falsch! In keinem Supermarkt, in keiner Metzgerei kann man in Lille Froschschenkel kaufen. Es scheint, als müsste man sich schon Frösche direkt aus dem Teich fangen, wollte man diese essen. Dafür bin ich mir ziemlich sicher, das Sprichwort „Käse schließt den Magen“ muss ein Franzose erfunden haben. „Fromage“ gehört nämlich zu jedem Essen dazu. Und Essenszeit ist hier Mittagszeit. Dann gibt es kaum noch Straßenverkehr und die (kleineren) Geschäfte schließen. Wer mittags unterwegs ist, enttarnt sich als Ausländer.
Der Franzose, der dann nicht längst in ein Lokal eingekehrt ist, improvisiert ein mindestens dreigängiges Menü im Straßengraben. Ich konnte übrigens einen kleinen Skandal aufdecken: Die Franzosen haben den Bayern die Weißwurst und die Wienerle geklaut. Die werden hier nämlich unter dem Decknamen „Saussices de Strasbourg“ (Würstchen aus Straßburg) verkauft.
Erasmus: Man spricht deutsch
Vorurteile hin oder her: Wie ist er denn jetzt, der typische Franzose? Dies bleibt wohl für viele Erasmus-Studentenhier ein ewiges Geheimnis. So schön wie dieses internationale Zusammentreffen hunderter ausländischer Studenten auch ist – es bilden sich schnell kleine Erasmus-Gruppen, die den Kontakt zu „echten Franzosen“ hindern. Die Franzosen, die ich aber an der Uni getroffen habe, sind sehr herzig und interessiert und jeder packt seine rudimentären Deutschkenntnisse aus der 3. Klasse aus. Letztlich hängt der Erfolg eines Auslandssemesters immer auch von den Leuten ab, die man trifft. Wenn da alles stimmt, ist auch die Ortswahl zweitrangig. Daher kann ich auch so gut verschmerzen, dass es hier im Norden Frankreichs oft stürmt und regnet. Ich bin also völlig d’accord mit der Piaf, wenn sie singt „Non, je ne regrette rien!“