Brothers in Endsprech

Michael Sentef und Christopher Große sind ausnahmsweise sprachlos

Im Anfang sprach ER: Oh Glossisten, ich spüre das Ende nahen. Das Ende aller Sprache. Ach was, das Ende von allem! So schreibet mir darüber! – Wir: Aber Herr, was sprecht Ihr da? Ende al­ler Sprache? Wir sind sprachgewaltiger denn je! Wir sind erst am Anfang unserer Sprache. Und die Welt wird doch nicht untergehen wegen so ein bisschen Krise. – ER: Bah! Dramatik, Dramatik. Ich liebe Weltuntergänge. Lasst sie untergehen, aber dalli! (Grelle Fanfaren, dramatische Streicher, Windmaschine, apokalyptische Reiter auf, dann alle dramatisch ab.)

Voilà – die sprachloseste Glosse ever, die dennoch zu lang gerät. Neulich, lang vor dem Sankt-Nimmerleins-Tag, waren wir beide voller Enthusiasmus. Wir waren ausgezogen, nicht bloß neue Sphären zu erkunden, son­dern auch neue Sprachräume zu erobern. Der eine von uns (MS) zog, wie dem treuen Leser nicht entgangen sein dürfte, von Süddeutschland ans andere Ende der Welt nach Kalifornien. Der andere von uns (CG) zog, wie der treue Leser ebenfalls längst weiß, aus Berlin ans andere Ende der Welt nach Bayern. Wir sind beide nicht in Ba­bylon (mit seiner Sprachverwirrung) gelandet. Aber fast.

Der eine von uns (MS) nennt Gott sei Dank ein stattliches Sprach-Repertoire sein Eigen. Zwar geboren im Schwa­benland, spricht er dennoch fließend (und verständlich) Hochdeutsch, imitiert jedoch auch gern (zum Leidwesen seiner wundervollen Frau) sämtliche deutschen Dialekte, die sich nicht wehren können. Meistens recht, manchmal schlecht. Dies kommt ihm nun im fernen Kalifornien zu­gute. Denn dort ist schlichtweg niemand Muttersprachler. Sollte es sie geben, so haben sie sich längst in die (State-Tax-freie) Wüste Nevadas verkrochen. Hier fällt auf, wer nicht mit stattlichem Akzent schwadroniert. Der Witz mit dem Inder – How old are you? My wife is dirty, and I am dirty, too! – ist hier Wirklichkeit. In fact lieben uns die Amis, weil wir Mitteleuropäer ein solch fantastisch klares Englisch sprechen. Wi sänk ju for träweling wiss Deutsche Bahn!

Der andere von uns (CG) ist Gott sei Dank in Preußen ge­boren und sozialisiert. In der Regel qua Geburt gibt’s dort dazu (aus Daffke): Antrag auf Hartz IV, Berliner Schnauze (leider geil). Letztere brachte ihm unterm Strich von Kin­dertagen an mehr Freud als Leid ein, da sich, setzte man sie mit einigem Geschick (Chuzpe) ein, dank ihr nicht nur ein Bullentaxi organisieren, sondern auch die ein oder andere handfeste Auseinandersetzung umgehen ließ. Seit der dritten Klasse ist der gekonnte Einsatz (Chuzpe) der­selben offiziell verbrieft: „Er ist dazu übergegangen, das Unterrichtsgeschehen ungefragt zu kommentieren, was als äußerst störend empfunden wird.“ (Zeugniskopfnote) Mochte so sein. Machte aber einen Heidenspaß. Und soll­te sich in den folgenden Jahren (einige) auch nicht mehr signifikant ändern. Auf ebenjene Berliner Schnauze ist der andere von uns nur ein einziges Mal gefallen. Es war sein erster Arbeitstag im rheinländischen Bonner Ausland. Das Telefon der PR-Agentur klingelte. Am Telefon: Die Olle vom Chef. Der andere vernehmlich durchs Büro (da­mit es der Chef auch mitbekommt): Gunnar, deine Olle ist dran! Restliche Bürobesetzung: Entsetzen, Fassungslo­sigkeit. Chef: Sprachlosigkeit, Tatenlosigkeit. Der andere von uns erstaunt ob der (Nicht-)Reaktion und noch eine Prise vernehmlicher: Was ist denn? Gunnar, deine Olle ist dran! Gunnars Olle am anderen Ende der Leitung (wie man sich später zuraunte): Erstaunen, Wut. Der andere von uns hat bis heute nicht so recht begriffen, worin das offenbar sprachlich verursachte Problem bestand, hat dann aber doch aufgrund einer latenten Integrationspro­blematik seinerseits und einer fortgesetzten, leider weit weniger latenten Borniertheit rheinländerInnenseits we­nige Monate später wieder gekündigt, um dorthin zu­rückzukehren, wo man ihn verstand. Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss, hat der olle Preuße Herder gesagt.

[SCHLUSS] ER (einigermaßen aufge­bracht): „Das ist ja eine Geistes- und Gefühlszumutung, ihr heimatlosen Sprachverätzer! Ich werde euch …“ – Wir (zügig): „So haltet ein! Wir machen ooch keene Fisimatenten. Wir halten es lieber mit dem großen Goethe: Der Worte sind genug wechselt. Lalalalala – Bolle reiste jüngst zu Pfingsten …“ (Unter lautem Singen ab.)

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