Fingerfood

Eine Woche ohne … Besteck

Die Bewegung 3
Foto: Maximilian Wagner

Jeder hat es, jeder braucht es: Besteck. Ob Tafelsilber von den Großeltern oder All-in-One-Campingbesteck – die Strecke zwischen Mund und Teller wird gerne mithilfe von Besteck zurückgelegt. Doch brauchen wir die Gehhilfe beim Fünf-Gänge-Menü wirklich? Ohne Besteck könnten wir immerhin das lästige Spülen vermeiden. Tagtäglich zeigt uns die Natur bestecklose Alternativen. Denken wir doch an ein Baby, das nach der Brust seiner Mutter greift. Besteck an dieser Stelle wäre wohl mehr als nur unangebracht. Sind unsere Finger also die bessere Alternative? Um dem auf den Grund zu gehen, wagen wir einen Selbstversuch und schließen für eine Woche die Besteckschublade.

Montag, 1. Tag – „Menssaker“

Es startet der Selbstversuch. Der Schauplatz: die Mensa der Universität Augsburg. Bester Dinge betreten wir die Essensausgabe, doch bereits nach wenigen Minuten macht sich Verwirrung breit. Wie soll man bitte Spaghetti Bolognese oder Gulasch ohne Besteck essen? Am Ende ist das Tablett dennoch voll: Team Magdalena versucht sich an Tortellini in Gemüsesoße, während Team Rebecca eine gewagte Pommes-Erbsen-Möhren-Kombination wählt. Damit beginnt die Sauerei. Pommes und Tortellini sind kein Problem, dafür landet die Gemüsesoße im Müll und Erbsen und Möhrchen verteilen sich gleichmäßig auf Tisch und Boden. Beim Anblick dieses Schlachtfeldes schmeckt das Essen auch nur noch halb so gut. Na dann – auf eine appetitliche Woche!

Dienstag, 2. Tag – Übung macht den Meister

Ein Täter sollte nie an seinen Tatort zurückkehren. Deswegen kehren wir der Mensa den Rücken und wechseln die Gefilde. Der Schauplatz heute: das Unikum. Unter den spöttischen Blicken und Sprüchen unserer Tischgesellen sichten wir die Karte. Aus Rücksicht auf die anderen Gäste und aus Angst vor einem gefährlichen Handgemenge wählen wir Pizza. Von den Problemen am Vortag kaum etwas zu bemerken. Stück für Stück verschwindet die italienische Teigware in unseren Mündern und das ohne größere Ausschreitungen. Die mit Fett triefenden Finger versenken wir in einem Berg aus Servietten.

Mittwoch, 3. Tag – „How much are the dishes?“ Die Geburtsstunde einer Bewegung

Unsere Botschaft an die Menschheit hat sich schnell herumgesprochen. Wir scharen plötzlich Revolutionäre, Fingerfetischisten und Trittbrettfahrer um uns. Viele finden unsere Idee vom bestecklosen Leben interessant. Darunter auch unsere Kommilitonin Amelie. Bald bittet sie uns zu Spaghetti an Frischkäse-Zitronen-Soße. Ohne Besteck. Den Konventionen ein Schnippchen zu schlagen, dazu lädt Amelie noch sieben weitere Wagemutige ein. Die Finger gewetzt sitzen wir also am WG-Tisch und greifen zu. Fast anmutig dreht Amelie ihre Nudeln mit einer Zeigefinger-Mittelfinger-Daumen-Kombination in ihrem Handteller auf. Neben ihr auf dem Tisch stapeln sich Tonnen von benutzten Servietten und um sie herum gibt es Gemurmel über die Gründung einer Bewegung. „How much are the dishes?“, schlägt jemand als Leitspruch vor. Doch wir besinnen uns zurück auf den Beginn des Experiments: Von Hand- statt Keramikteller war nie die Rede. Das wird uns zu heikel, wir verlassen diese radikale Strömung.

Donnerstag, 4. Tag – Warum bemerkt uns keiner?

Mensa. Noch immer paralysiert von den Ereignissen des Vortages, vergreifen wir uns an der Salattheke. Kartoffelsalat. An dieser Stelle soll die Beschaffenheit des heutigen Arbeitsmaterials kurz Erwähnung finden: weichkochende Kartoffeln und verschwimmende Grenzen zwischen Kartoffel und Dressing. Kurzum eine haptische Herausforderung. Im Dienste der Sache probieren wir zwei Techniken aus: Team Magdalena testet für euch die „Schaufel“, Team Rebecca versucht sich an der salonfähigeren „Scheibe-für-Scheibe-Technik“. Die „Schaufel“ glänzt mit Geschwindigkeit, die „Scheibe-für-Scheibe-Technik“ besticht durch saubere Arbeit. Doch den Kartoffelsalat genießen beide Teams nicht. Von Angesicht zu Angesicht wird uns schlecht. Wie geht es dann wohl den Studierenden um uns herum? Erschrocken stellen wir eines fest: nichts. Kein einziges angewidertes Gesicht, keine Blicke, einfach nichts. Wieso bemerkt uns keiner? Wir machen die nahenden Prüfungen verantwortlich. Auch an der Tablett-Rückgabe bemerkt keiner unsere Bestecklosigkeit. Aufmerksamkeit erregen wir dennoch: Erst kurz vor dem Ende des Fließbandes fegen wir die letzte Serviette vom Tablett.

Freitag, 5. Tag – Der Müll ist voll

Heute gibt es Salat und Grillgut, serviert an Serviette. Das Problem mit dem Papiertuch ist mittlerweile zur Plage geworden. Was wir erreichen wollten: das Sparen von Spülmittel, Wasser und Zeit fürs Abwaschen. Was wir erreicht haben: die Ankurbelung der Serviettenindustrie. Unsere Finger sind keineswegs pflegeleichter als gewöhnliches Besteck. Während die einen ihr Silber putzen, betreiben wir Raubbau am Serviettenspender. Von Nachhaltigkeit kann nicht die Rede sein. Und sowieso schmeckt es mit Besteck einfach besser. Wir öffnen die Besteckschublade wieder.

2 thoughts on “Fingerfood”

  1. “Und sowieso schmeckt es mit Besteck einfach besser”?! – eine dreiste Lüge!! Wer genießt denn nicht das archaische Gefühl Spaghetti mit Zitronencreme mit bloßen Händen sinnlich zu verspeisen?
    Kein Mensch braucht Besteck (und vielleicht nicht mal Teller), das einzige was dieser Erkenntnis im Wege steht sind starre gesellschaftliche Konventionen. Befreit die Hände aus der Klammer um Messer und Gabel!!!

Schreibe einen Kommentar