Ringen um das Tortenmesser

Machtkämpfe in Beziehungen

„Die Frau ist der Fisch, der den Angler fängt.“ Mark Twain kratzt mit diesem Spruch nur die Spitze eines Eisberges an, der tief ins Meer reicht. Denn unter der Oberfläche der Beziehungen zwischen Mann und Frau brodelt es.

Text: Isabell Beck & Katharina Pfadenhauer – Illustration: Simone Mayer
Text: Isabell Beck & Katharina Pfadenhauer – Illustration: Simone Mayer

Machtkämpfe fangen schon beim Kennenlernen an

Ein typischer Hochzeitsbrauch ist das gemeinsame Anschneiden der Hochzeits-torte: Rien ne va plus – es ist der Moment, der Unter- und Überordnung festlegt. Machtansprüche werden öffentlich. Wer nämlich am Kuchenmesser die Hand oben hat, soll auch in der Ehe das Sagen haben.

Doch wir tragen schon Machtkämpfe aus, weit bevor wir uns dafür entscheiden, die guten und schlechten Zeiten mit dem Partner zu verbringen. Der Anruf nach dem ersten Date zum Beispiel: Bloß nicht zu früh anrufen. Eins. Zwei. Drei. Die Sekunden kann man ticken hören und der Druck, endlich anrufen zu können, bringt uns fast zum Platzen. Gerne wird es als unreifes Spiel abgetan, aber es hat eine psychologisch nachvollziehbare Komponente: Es geht um Positionierung, um ein Austarieren, wie groß die Sympathien des Anderen sind. Sicherlich, wir könnten auch einfach sagen: Ich mag dich. Ich denke an dich. Ich will dich sehen. Klare Ansage. Klare Ansage? Würden wir keine „Begrenzungsmacht“ ausüben, also festlegen, bis wohin wir vordringen, bis wohin der Andere vordringt und wie viel wir von uns preisgeben, würden wir uns selbst verlieren. Gut, es mag vielleicht etwas kleinkariert sein, das im Zusammenhang mit dem ersten Anruf zu diskutieren. Aber grundsätzlich ist in der Kennenlernphase eine gewisse Demonstration von Unabhängigkeit von Vorteil. Für die eigene Attraktivität, für das Selbstwertgefühl, für ein Ausloten von Macht.

Wo geliebt wird, gibt es keine Macht – das ist falsch

Der Berliner Paartherapeut Wolfgang Krüger behauptet in einem Interview mit der Zeitschrift Brigitte, dass bereits in den ersten Tagen einer Beziehung eine Hierarchie ausgehandelt wird: „Während sich der eher naive Partner im Liebesrausch befindet, werden vom taktierenden Partner die Machtfragen geklärt.“ Wird es irgendwann ernst in der Beziehung, geht das Taktieren weiter. Wer ist der Stärkere, wer der Schwächere? Im Laufe einer Beziehung ändert sich dieser Zustand ständig. Solange das der Fall ist, ist das Gefälle gesund. Interessen werden abgewogen und um Macht wird indiskret verhandelt – selbst dann, wenn beide Partner einen ähnlichen kulturellen, finanziellen und sozialen Hintergrund haben.

„Siebzig Prozent der Frauen und Männer verdrängen die Realität und glauben: Wo man wirklich liebt, gibt es keine Macht“, sagt Krüger. Im Idealfall ist der Kampf um Macht in einer Beziehung nichts Anderes als das Suchen nach einem Kompromiss.

Mittelalter einmal anders

Apropos Selbstwertgefühl. Das Weibliche hat da eine verworrene Geschichte hinter sich. Der Film „We want Sex“ veranschaulicht die Situation von vor 50 Jahren. Nicht nur die Löhne der weiblichen Angestellten waren niedriger als die ihrer männlichen Kollegen. Auch das Mitspracherecht in Betriebsangelegenheiten war gering bis gar nicht vorhanden.

Der Film zeigt aber auch, wie es hinter den Kulissen des bürgerlichen Lebens in den Beziehungen und Ehen aussah. Die Protagonistin ist ihrem Mann keineswegs mental unterlegen. Stattdessen führt sie eine gleichberechtigt wirkende Ehe, in der Einer den Anderen unterstützt. Sehr „modern“. Nur die Gesellschaft wirkt von außen ein und stört die häusliche Harmonie. Ist das heute anders?

Ausgabe 26: Macht Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 26 unseres gedruckten Magazins.

Riskieren wir einen Blick ins Mittelalter. Die Zeit, in der Frauen zu Heim und Herd gehörten und der Mann als Patriarch das Sagen hatte. Oder? Dass man nach Frauenrechten im Mittelalter vergeblich suche, ist salopp gesagt Humbug. Ein Paradebeispiel ist die „Brautschatzfreiung“. Dieses Gesetz ermöglichte Frauen, ihre Mitgift aus der Hand des Gatten zu befreien. Die Mitgift war der Tochter zur Absicherung mitgegeben, sollte der Gatte das Zeitliche segnen. Keine Bezahlung des Schwiegersohnes also, wie es gerne überliefert wird und mit Sicherheit auch meistens war. Obendrein konnten Frauen ein Handwerk erlernen und in eine Zunft eintreten. Die Kauffrauen besaßen sogar eigene Siegel, mit denen sie ihren Handel betrieben.

Die etwas andere Dominanz

Das Gegenstück zum Patriarchat ist das Matriarchat. Doch wir scheuen uns davor, die Macht der Frauen offiziell anzuerkennen. Dabei gibt es Völker auf dieser Erde, bei denen das Matriarchat als ein angenommenes Gefüge existiert.

Weibliche Dominanz sieht anders aus als männliche. Der Journalist Ricardo Coler lebte eine Zeit lang bei den Mosuo, einem Volk in China. Für eine Frau habe Macht eine andere Bedeutung, berichtete er dem Spiegel. Sie möchte, dass es allen gut gehe, setze ihre Macht für Entscheidungen ein und vermeide Streit. Auch bei den Bonobos, den Menschenaffen, haben die Weibchen das Sagen. Und sie lösen Probleme auf sehr charmante Art: Sie schmusen sie einfach weg.

Und wie sieht das Männerbild aus? Lustig und charmant, smart und sexy sollen Männer sein. „Sex and the city“ lässt grüßen. Der Mann als Sexsymbol statt Ernährer? Ein Bild, das im mosuoischen Leben normal ist. Die Frau will dort nur verliebt sein. Heirat und Ehe sind Themen, die höchstens als Drohung für ungezogene Kinder eingesetzt werden. Da sieht unsere Liebeswelt noch anders aus.

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