„Quien no ha visto Sevilla, no ha visto maravilla“

Seit Beginn meines Studiums wollte ich es tun: ein Semester im Ausland studieren. Zunächst stand ich vor der Qual der Wahl unzähliger Orte, die sich mir anboten. Mit meinem Vorhaben, dem kalten Winter in Deutschland zu entgehen und um meine geballten Sprachkenntnisse nach drei Semestern Spanischunterricht anzuwenden, entschied ich mich schlussendlich für eine der heißesten Städte Europas: Sevilla.

Sevilla ist die Hauptstadt Andalusiens und mit rund 700.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Spaniens. Prachtvolle Bauten wie die Kathedrale oder der Plaza de España, der sogar als Schauplatz für einen der Star Wars-Filme diente, geben der Stadt einen besonderen Charakter. Durch ihren geschichtlichen Hintergrund ist Sevilla arabisch geprägt und am Ende jeder noch so verschlungenen Gasse mit ihren farbigen Hausfassaden findet man wunderschöne Plätze. Opulente Brücken verbinden die durch den Fluss Guadalquivir geteilten Gebiete Sevillas miteinander.

Die Plaza de España
Die Plaza de España

Die grünen Palmen, die über die ganze Stadt verteilt sind, vermittelten mir Tag für Tag ein gewisses Urlaubsflair. Sevilla gilt ebenso als eine der heißesten Städte Europas, sodass es, als ich Mitte September ankam, noch immer bis zu 40 Grad hatte. Doch so sehr ich die spätsommerlich hohen Temperaturen bis Anfang November genoss, so sehr fror ich Ende November in meiner Wohnung. In den meisten Wohnungen Südspaniens gibt es nämlich keine Heizungen, dafür aber Klimaanlagen! Glücklicherweise konnten wir die Klimaanlage zur Heizung umfunktionieren und ich kaufte mir einen Heizlüfter, um der Kälte Abhilfe zu schaffen.

„¿Eramu?“

Abgesehen von der Kälte in der Wohnung hatte ich auch noch mit einer anderen Herausforderung zu kämpfen – der andalusische Dialekt. „¿Ere Eramu?“ – „¿Qué, cómo? – Ah, EraSmuS” – die Willkommensveranstaltung an der Uni war die erste Situation, in der ich realisierte, dass mir der andalusische Dialekt noch einige verzweifelte Momente bereiten würde. Die Andalusier besitzen die Eigenart, generell den Buchstaben „s“ des Alphabets zu verschlucken, wenn er nicht der erste Buchstabe eines Wortes ist. Dadurch hörte sich für mich der andalusische Dialekt anfangs eher wie ein Sprachfehler als die spanische Sprache an. Doch nach und nach gewöhnt man sich auch an die eigenartigsten Eigenarten.

Temperamentvolles Uni-Leben

Neben der Sprache brachte ebenso der Uni-Alltag einige Besonderheiten mit sich. Die Universidad de Sevilla ist mit über 70.000 Studenten eine der größten Universitäten Spaniens und anders als in Augsburg ist keine Campus-Uni. Die verschiedenen Fakultäten sind kreuz und quer über die Stadt verteilt. Neben dem Sprachkurs besuchte ich zwei Kurse an der facultad de comunicación, die leider etwas abgelegen in einem Gewerbegebiet liegt. Die Geräuschkulisse, die in den Kursräumen vorherrschte, sobald man ihn wie selbstverständlich erst circa 10 Minuten nach offiziellem Unterrichtsbeginn betrat, war enorm. Eng aneinander gepfercht saßen die spanischen Studenten auf Stühlen und Tischen und übertönten sich gegenseitig mit ihren Stimmen und ihrem Gelächter. Ich saß mit den anderen Erasmusstudenten meist eingeschüchtert von dem Temperament der Spanier in einer der hinteren Reihe und beobachtete erstaunt das Geschehen. Bei Fragen während des Kurses wurde der Vorname der Professora einfach lauthals durch die Klasse geschrien. Für mich war das eine ebenso verwunderliche wie amüsante Erfahrung im Vergleich zu den recht disziplinierten deutschen Seminaren.

La cultura española

Charakteristika der spanischen Lebensart zeigten sich ebenso im Tagesablauf. Vor allem in den ersten, noch heißen Monaten in Sevilla war es nachmittags recht ruhig. Zu dieser Tageszeit ist Siesta und viele Geschäfte haben geschlossen. Dafür haben die Läden abends teilweise bis 21.30 Uhr geöffnet und die Stadt erwacht nach Sonnenuntergang wieder zum Leben. Die unzähligen Cafés, Restaurants und Bars sind bis spät in die Nacht mit Menschen gefüllt. Tapas und Tinto de Verano, eine Mischung aus Rotwein und Limonade, wurden somit fester Bestandteil meiner abendlichen Beschäftigung. Neben der ausschweifenden Ess- und Trinkkultur ist der Flamenco einer der bedeutendste kulturellen Eigentümlichkeiten der Stadt. Sowohl auf der Straße als auch in Bars kann der theatralische Ausdruckstanz zu Gesang und Gitarrenspiel bewundert werden.

Bis nach Afrika

Um noch mehr von der spanischen Kultur zu erleben, verbrachte ich meine Wochenenden mit Reisen. Ob Granada, Córdoba, Málaga oder Cádiz – ich versuchte, keine sehenswerte Stadt Andalusiens auszulassen. Meine Reiselust führte mich sogar auf nicht-europäisches Terrain, nämlich nach Afrika.

Das Highlight meiner Wochendtrips war ein Ausflug nach Marokko
Das Highlight meiner Wochendtrips war ein Ausflug nach Marokko

Das Highlight meiner Wochenendtrips war ein Ausflug nach Marokko. Mittels Bus und Fähre – und mit einem Zwischenstopp im britischen Überseegebiet Gibraltar, auf dessen Fels uns die Affen den Kopf lausten – besichtigen wir einige nord-marokkanische Städte und Dörfer. Besonders beeindruckt hat mich das Dorf Chefchaouen, dessen Hausfassaden auf bergigem Gelände von Babyblau bis Knalltürkis erstrahlten.

Von meinen Reisen kehrte ich immer wieder gerne in meine Heimat auf Zeit zurück, denn „Quien no ha visto Sevilla, no ha visto maravilla“ – bedeutet übersetzt: Wer Sevilla nicht gesehen hat, hat kein Wunder gesehen. Dem kann ich nur zustimmen, denn ich habe mich in den fünf Monaten in Sevilla verliebt, habe tolle Menschen aus verschiedensten Nationen kennengelernt und unvergessliche Momente erlebt.

presstige-Autoren berichten aus aller Welt
Immer wieder gehen unsere Redakteure für ein Semester oder ein Praktikum ins Ausland. In der Serie “Korrespondentenbericht” schildern sie anschließend ihre Eindrücke und Erlebnisse. Alle Folgen sind hier gesammelt.

 

2 thoughts on “„Quien no ha visto Sevilla, no ha visto maravilla“”

  1. Wow, die Bilder kannte ich ja noch gar nicht! Beeindruckend!!! Sehr schön, diese Korrespondenten-Rubrik 😉

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