Über Geld spricht man nicht! So oder so ähnlich – ausgesprochen oder zwischen den Zeilen – dürfte dieser Satz den meisten von uns ein Begriff sein. Deswegen herrscht zumeist betretenes Schweigen, wenn sich doch einmal jemand traut, offen zuzugeben, wie viel er eigentlich verdient, oder schlimmer noch, jemand anderen danach zu fragen. Das Einkommen zum Thema zu machen gilt als stillos, unfein oder schlichtweg daneben. Basta! Aber stimmt das denn wirklich?
Anders gefragt: Wer könnte eigentlich ein Interesse daran haben, häufiger über das eigene Gehalt zu reden? Klar, da wären erst einmal diejenigen, die eine ganze Menge verdienen und stolz darauf sind. Doch seien wir ehrlich, da gibt es subtilere Wege als die offene Prahlerei. Der schicke Sportwagen oder eine auf stilvolle Art wirklich teuer aussehende Uhr sind nur zwei davon.
Dann gibt es da natürlich noch die andere Seite. Menschen, die für ihre Arbeit eher schlecht bezahlt werden. Doch auch hier gilt es oftmals als offenes Geheimnis, dass zum Beispiel in sozialen Berufen nicht mit hohen Gehältern gerechnet werden kann. Auf Nachfrage ist die Empörung dann in der Regel auch entsprechend groß. Immerhin handelt es sich um Tätigkeiten, von denen wir alle etwas haben und die doch nur wenige zu übernehmen bereit sind.
Genau hier liegt auch der eigentliche Punkt. Im Grunde geht es uns alle etwas an, wer in diesem Land für welchen Job wie viel verdient. Da wäre die Empörung darüber, dass Deutschland in einigen Branchen zunehmend als Billiglohnland gilt. Darüber, dass Menschen, die unsere Kinder ausbilden oder unsere Alten pflegen, kaum davon leben können. Unmut über Managergehälter und unbezahlte Praktika, genauso wie die breite Zustimmung zum Mindestlohn. Abstrakt herrscht große Einigkeit darüber, dass die Schere zwischen arm und reich sich nicht zu weit aufspannen sollte, dass gute Arbeit ordentlich entlohnt werden muss. Trotzdem haben wir meistens kaum eine Vorstellung davon, was das eigentlich für den Alltag des Einzelnen bedeuten soll. Doch warum ist das so?
Ganz einfach, weil wir oftmals gar nicht wissen, was Freunde, Bekannte oder Kollegen eigentlich genau verdienen. Hier schließt sich also der Kreis. Dabei geht es nicht darum, den ganzen Tag ein Schild mit unserem Nettogehalt um den Hals zu tragen. Es genügt vollkommen, im engeren Kreis, unter Menschen, die wir ohnehin gut kennen, das Thema Verdienst von Zeit zu Zeit anzusprechen.
Kolumne: Müller will reden
Meinung ist tot? Nicht mit uns, denn unser Chefredakteur Michael Müller ist überzeugt, dass es Dinge gibt, die man nicht wissen kann, aber über die es sich zu reden lohnt. In Zeiten harter Fakten glaubt er an das lose Mundwerk, denn wohin sonst mit all den gesammelten Informationen? Mal geht es um Wichtiges, mal um den Rest, aber immer gilt: Keine Angst, Müller will nur reden. Die Kolumne erscheint immer donnerstags und wird von Isabell Beck illustriert. Alle Folgen von “Müller will reden” zum Nachlesen.
Um es deutlicher zu machen, ist Schweigen hier sogar regelrecht unfair. Denn es schützt alle, die ungerechte Löhne zahlen, genauso wie es jedem Unrecht tut, der fair entlohnt und in den Topf der Allgemeinplätze geworfen wird. Vor allem führt es uns eine gesellschaftliche Debatte vor Augen, die jeden betrifft. Wie viel ist uns eine bestimmte Tätigkeit wert und wie werden wir dem gerecht? Ein Gespür für diese Fragen hilft uns, auch im eigenen Alltag Stellung zu beziehen. Soll ich als Student ein unbezahltes Praktikum annehmen? Welches Gehalt kann ich in meinem ersten Job verlangen?
Im Deutschen heißt das Gehalt nicht umsonst auch Verdienst. Es geht also immer auch um die Anerkennung der Arbeit des Einzelnen, der sich dadurch für die Allgemeinheit einsetzt. Nur mit einer Verbindung zum Alltag der Menschen macht es Sinn, auch auf dieser großen Ebene zu diskutieren, wie viel eine Tätigkeit wert sein sollte. Trotzdem, wenn wir nicht darüber sprechen, tun es wahrscheinlich andere für uns. Wer gefragt werden möchte, sollte sich auch fragen lassen. Also, lasst uns endlich über Geld sprechen!
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