„Zuerst schuf Gott die Kühe und das Gras, direkt danach das Mittelmaß!“ So bringt der Kabarettist Rainald Grebe in seinem Lied „Mittelmäßiger Klaus“ mit nur einem einzigen Satz eine Haltung auf den Punkt, die auch unter Studenten weit verbreitet ist. Durchschnittlich will doch nun wirklich niemand sein. Das Mittelmaß ist die Heimat all jener, die mehr gewollt als gekonnt haben – und vor allem gleichbedeutend damit, es nicht bis an die Spitze geschafft zu haben. Knapp daneben ist halt auch vorbei, oder?
Zumindest im Hörsaal ist diese Ansicht schon seit einiger Zeit angekommen. Nicht nur in Studiengängen wie Jura oder BWL, die direkt auf die gehobene Wirtschaft abzielen, wird ein großer Konkurrenzdruck heraufbeschworen. Nach dem Studium scheint der Grat zwischen einem sechsstelligen Einstiegsgehalt und der Arbeitslosigkeit ein sehr schmaler. Hier wird die Existenz des Durchschnitts fast schon totgeschwiegen. Auch in Zeitungen oder dem Fernsehen kommt er selten vor. Doch damit tun wir dem guten alten Mittelmaß im Grunde Unrecht.
Andernorts leistet es uns nämlich sehr gute Dienste. Wenn Wissenschaft, Politik und Wirtschaft versuchen, die Gesellschaft im Ganzen zu erfassen, greifen sie regelmäßig auf den Durchschnitt zurück. Wenn Frauen im Mittel weniger verdienen als Männer, ist das durchaus der einzelnen Angestellten gegenüber ungerecht. Wenn Jugendliche ein Produkt durchschnittlich interessanter finden als ältere Käufer, ist das für ein Unternehmen Grund genug, eine teure Werbekampagne daran auszurichten.
Ganz offensichtlich glauben wir also doch, dass der Durchschnitt eine Menge über den Einzelnen aussagt. Das ist auch im studentischen Alltag eigentlich nichts Neues, denn genau genommen ist eine Bachelor- oder Masternote auch nichts anderes als ein Mittel. Näher betrachtet wäre es ja auch nicht gerecht, wenn einzelne Ausreißer in den Studienergebnissen, seien sie nun nach oben oder unten, darüber entscheiden, in welchem Job ein Absolvent endet.
Doch das Mittelmaß spielt noch aus einem weiteren Grund so eine wichtige Rolle. Auch hier hilft ein Blick auf Studiennoten. Bei den meisten wird es so sein, dass sich ein Großteil der erzielten Ergebnisse in der Nähe des Durchschnitts ansiedelt und besagte Ausreißer eher selten vorkommen. Geht es um sehr viele Einzelfälle, wie zum Beispiel der Befragung der Bevölkerung eines Landes, lässt sich die Nähe vieler individueller Aussagen zum Durchschnitt sogar mathematisch begründen. Deshalb hilft ja auch der durchschnittliche Mietspiegel einem Wohnungssuchenden dabei, zu beurteilen, ob eine bestimmte Gegend teuer ist oder nicht.
Zu guter Letzt hat die Nähe zur Mitte jedoch auch eine ganz wichtige persönliche Bedeutung. Jeder Mensch hat ganz eigene Stärken und Schwächen. In allen anderen Belangen sind wir allerdings, ob es uns nun passt oder nicht, durchschnittlich. Damit ist das ungeliebte Mittelmaß vor allem eins: menschlich! Ein Freizeitsportler ist nun einmal kein Olympionike und nicht in jedem Studienanfänger schlummert ein Nobelpreisträger. Diese umfangreiche Durchschnittlichkeit ist aber vollkommen unproblematisch, denn in den allerwenigsten Situationen wird Herausragendes von uns verlangt.
Das Vorhaben, in allen Bereichen überdurchschnittlich sein zu wollen ist sehr anstrengend. Das sagt schon der Begriff. Zum Erfolg führt er trotzdem nicht zwingend. Die meisten Menschen, die es weit gebracht haben, vielleicht sogar bis ins Fernsehen, haben dies nur durch den gezielten Einsatz besonderer Talente geschafft. Wer in allen Bereichen zur Spitze gehören möchte, läuft jedoch Gefahr, gar keine Zeit zu haben, die eigenen Stärken zu entdecken und zu fördern. Doch darum geht es meistens. Anders gesagt, gibt es nämlich auch Jobs für schlechte Tänzer und diese Erkenntnis beruhigt auch im Hörsaal – zumindest mich.
Kolumne: Müller will reden
Meinung ist tot? Nicht mit uns, denn unser Chefredakteur Michael Müller ist überzeugt, dass es Dinge gibt, die man nicht wissen kann, aber über die es sich zu reden lohnt. In Zeiten harter Fakten glaubt er an das lose Mundwerk, denn wohin sonst mit all den gesammelten Informationen? Mal geht es um Wichtiges, mal um den Rest, aber immer gilt: Keine Angst, Müller will nur reden. Die Kolumne erscheint immer donnerstags und wird von Isabell Beck illustriert. Alle Folgen von “Müller will reden” zum Nachlesen.