Hauptstadt der käuflichen Liebe?

Augsburg und die Debatte um Prostitution

Text: Michael Müller - Illustration: Julia Muhm
Text: Michael Müller – Illustration: Julia Muhm

Das Motto „Sex sells“ ist in der Prostitution wörtlich zu nehmen. Deshalb ist das Gewerbe ein ebenso heikles wie begehrtes Thema, das in Gesellschaft und Politik häufig zu Streit führt. Was die Prostitution so besonders macht, warum sie gerade in Augsburg von Bedeutung ist und wie die Politik im Bund und vor Ort damit umgeht? Wir versuchen eine vorsichtige Annäherung.

Prostitution – von den einen als „ältestes Gewerbe der Welt“ belächelt, sehen andere in ihr eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit. Fakt ist, wenn ein neues Bordell eröffnet soll, führt das meist zu Streit – da ist Augsburg keine Ausnahme. Seit Februar 2014 diskutiert die Stadt über ein geplantes Großbordell in Lechhausen. Neben dem Investor und der Stadt meldeten sich zum Beispiel religiöse Akteure, Unternehmer, Anwohner und Frauenrechtsorganisationen zu Wort. Auch die Medien werden hellhörig, wenn es um Prostitution geht, denn das Thema interessiert.

Kein Gewerbe wie jedes andere

Dahinter steckt sicherlich nicht nur Sensationslust. Die lokalen Debatten spiegeln ein Ringen um die käufliche Liebe wider, das auch die Bundespolitik seit mehr als zehn Jahren beschäftigt. Prostitution ist nämlich nicht nur heikel, sondern vor allem komplex. Es gibt sehr verschiedene Gründe, um in der Sexarbeit tätig zu werden. Helmut Sporer, Leiter des zuständigen Kommissariats der Kriminalpolizei Augsburg, hat diese bereits 2010 in einem Aufsatz für die Fachzeitschrift „Kriminalstatistik“ zusammengefasst. Zuerst kann natürlich die freie Entscheidung für diesen Beruf dahinter liegen. Dagegen ist sicher nichts einzuwenden. Es kann aber auch eine finanzielle Zwangslage diese Freiheit einschränken. Das größte Problem ist jedoch die Verbindung illegaler Prostitution zum organisierten Verbrechen. Teilweise verschleppen Menschenhändlerbanden junge Frauen nach Deutschland und zwingen sie hier auf brutale Weise, ihren Körper zu verkaufen. Gegen diese menschenverachtende Zwangsprostitution muss der Staat vorgehen. Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 wollte die Politik all diese Faktoren rechtlich berücksichtigen. Es sollte einerseits legale Prostitution entkriminalisieren und zu sicheren Arbeitsbedingungen führen. Zudem sollte so andererseits auch illegaler Prostitution der Raum entzogen und Menschenhandel besser bekämpft werden.

Augsburg nimmt dabei eine Sonderrolle ein. Die Welt am Sonntag hat 2013 aus Angaben der Kommunen und der Polizei die Prostitutionsdichte deutscher Großstädte geschätzt. Das Ergebnis: Mit 244 Prostituierten auf 100.000 Einwohnern gehört Augsburg zu den Spitzenstädten Deutschlands und liegt deutlich vor Weltstädten wie Berlin und Hamburg. Auch wenn es sich hierbei nur um eine Schätzung handelt, erklärte eine bekannte Boulevardzeitung Augsburg kurzerhand zu einer „Nuttenhauptstadt“. Auch momentan arbeiten geschätzt 700 Prostituierte im Augsburger Stadtgebiet, weshalb das Thema vor Ort weiter brisant bleibt.

Der Augsburger Weg und ein Konzept für die Stadt

Doch die Stadt setzt sich nicht erst seit dem medialen Aufruhr damit auseinander. Schon im bereits erwähnten Artikel von 2010 empfahl Helmut Sporer angesichts der besonderen Situation einen „Augsburger Weg“. Im Zentrum stand erneut der Schutz der Frauen, die in Bordellen tätig sind. Sie sollten Prostitution nur noch als selbstständige Tätigkeit ausüben dürfen, damit sie den Anweisungen eines Arbeitgebers nicht folgen müssen. Zudem wollte Sporer das Mindestalter für Sexarbeit auf 21 Jahre erhöhen . Nur so könne man von der nötigen Reife und Selbstständigkeit für eine freie Entscheidung ausgehen. Weiter schlug er vor, die Arbeitsbedingungen in Bordellen stärker zu kontrollieren. Wer ein solches betreiben möchte, sollte demnach meldepflichtig bei der Gewerbeaufsicht sein. Außerdem verlangte er, dass Prostituierte bei der Polizei gemeldet sein und sich regelmäßigen Gesundheitskontrollen unterziehen müssen. Auch wenn diese Forderungen nicht unumstritten waren, finden sie sich teilweise in der aktuellen Neuregelung des Prostituiertenschutzgesetzes wieder, beispielsweise die Meldepflicht für Bordellbetreiber. Anderes, wie eine Heraufsetzung des Mindestalters wurde nicht berücksichtigt.

Auch die Augsburger Kommunalpolitik war nicht untätig. Nachdem es in der Straßenprostitution zu immer mehr Gewalt gekommen war, ist sie seit dem Januar 2013 im gesamten Stadtgebiet verboten. Andere Formen der Prostitution blieben, von einem kleinen Sperrbezirk in der Innenstadt abgesehen, zulässig. Gegenwärtig arbeitet die Stadt an einem umfassenden Bordellstrukturkonzept, unter anderem unter Beteiligung der Frauenrechtsorganisation Solwodi. Damit wollen die Verantwortlichen das Angebot und den Bedarf für Prostitution in Augsburg klären und in Einklang bringen. Zudem soll dieses Gesamtkonzept das künftige Handeln der Stadt anleiten. Darin wird geklärt, welche Orte für die Genehmigung eines neuen Bordells nicht in Frage kommen, beispielsweise die direkte Umgebung von Kirchen oder Kindergärten.

Einer der Gründe für dieses Konzept ist übrigens das erwähnte Großbordell in Lechhausen. Dort kommt es erst 2016 zu einer Entscheidung, wenn die Veränderungssperre ausläuft, die das Projekt momentan stoppt. Das neue Konzept spielt dann sicherlich eine Rolle. In jedem Falle wird der Spagat zwischen der Entkriminalisierung legaler Prostitution, dem Arbeitsschutz in der Branche und dem Kampf gegen den Menschenhandel die Politik weiter in Atem halten – hier und in Berlin.

3 thoughts on “Hauptstadt der käuflichen Liebe?”

  1. Prostitution ist weit mehr, als ein belächeltes „ältestes Gewerbe der Welt“ auf der einen oder eine “Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit”. Was ist denn das für eine Spanne? Wollt ihr das Thema nun ernst nehmen – oder nicht? Prostitution steht besonders für Ausbeutung und Gewalt.

    Dann der Ausdruck “käufliche Liebe”… Genau darum geht’s: Liebe ist nämlich nicht käuflich, sondern etwas, das zwischen zwei Personen auf Augenhöhe stattfindet. Und nur dann. Alles andere sind Beziehungen, die von Ungleichheit und Machtgefälle geprägt sind. Wie die “Beziehung” zwischen Freier und Frau in der Prostitution.

    Ich finde es gut, dass ihr euch des Themas annehmt – aber vielleicht solltet ihr nochmal vertiefend recherchieren? Zum Beispiel hier http://www.emma.de/thema/prostitution-der-ueberblick-317533 oder hier http://www.trauma-and-prostitution.eu/ oder hier http://www.trauma-and-prostitution.eu/ oder hier http://abolition2014.blogspot.de/

  2. Warum Augsburg den Titel “Hauptstadt der Prostitution” bekommen hat, ist einfach zu erklären. In Augsburg wird genau hingeschaut. Und deshalb gibt es verlässliche Zahlen. In Berlin, wo ich seit über zehn Jahren als Streetworker an einem Straßenstrich arbeite, wird schon immer weggeschaut. Als in den 1970er/80er Jahren minderjährige Mädchen – manchmal 14, 15 oder 16 Jahre alt – mit der Prostitution ihr Heroin finanzierten, hat die Politik das Problem weitgehend ignoriert. Heute stehen an der gleichen Straße überwiegend südosteuropäische Frauen. Die “Freunde”, die sie abkassieren, stehen manchmal nur wenige Meter entfernt oder warten in den nahegelegenen Cafés, dass ihnen das Geld gebracht wird. Die Polizei kontrolliert die Frauen, ob sie volljährig sind. Mehr kann sie nicht machen. Und die Politik? Sie schaut wieder weitgehend weg oder lässt sich von den Lobbyverbänden einlullen, die ihnen erzählen, Zwang und sexuelle Ausbeutung seien kein Problem. Sie sprechen stattdessen von “der legalen” oder “der selbst bestimmten Prostitution”. Aber “selbst bestimmt” ist in diesem Milieu kaum etwas.

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