Müller will über „Veränderungen“ reden

Text: Michael Müller - Illustration: Isabell Beck
Text: Michael Müller – Illustration: Isabell Beck

Das Studium steckt voller Veränderungen. Doch wollen wir das überhaupt? Für so machen heutigen Studenten machen all die offenen Möglichkeiten die schönste Zeit des Lebens ganz schön bedrohlich. Aber woher rührt diese Abneigung gegen Neuerungen? Ist sie vielleicht berechtigt und wie gehen wir am besten mit ihr um? Das klingt nach einem Thema zum Reden.

Studenten sind politisch interessiert, im Meinungsspektrum eher links angesiedelt und träumen davon, später die Welt zu verändern. Das klingt sehr nach einem Klische, aber vor allen Dingen scheint es nicht einmal aktuell zu sein. Zumindest hat der Spiegel schon vor einiger Zeit ein ganz anderes Bild gezeichnet. Laut Statistischem Bundesamt arbeite der Student von heute vor allem daran, sich später schöne Dinge leisten zu können. Politik interessiert ihn kaum und wenn, dann sieht er sich dabei in der Mitte. Sind aus provokanten Revoluzzern also angepasste Konsumenten geworden? Wer so denkt, macht es sich mit Sicherheit zu einfach. Fakt bleibt, dass Stabilität im Leben heutiger Studenten eine wichtige Rolle spielt.

Das zeigt sich nicht nur in der Berufsplanung, sondern auch im Privaten. Eine Erhebung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung aus dem Jahr 2013 hat festgestellt, dass 28 Prozent der Studierenden während des Studiums noch zuhause wohnen. Auch für die Zukunft steht das Familienleben hoch im Kurs. Laut einer deutschlandweiten Umfrage des Personaldienstleisters univativ wünschen sich immerhin 70 Prozent der Studierenden, später einmal eine Familie zu gründen. Kein anderes Ziel findet so große Zustimmung. Daheim wohnen und konservative Ziele? Der typische Student der Siebziger gehört dann der Vergangenheit an. Wer heute studiert ist zielstrebig und hegt wohl überlegte Zukunftspläne. Um die zu erreichen, wünscht er sich vor allem Stabilität und Sicherheit. Doch dann passt etwas typisch Studentisches oft nicht mehr ins Schema: Veränderung.

Anker in den Wellen der Ungewissheit

Wenn sich etwas ändert, bedeutet das immer auch Unsicherheit. Niemand kann genau vorhersagen, wie sich die Zukunft entwickelt. Allerdings minimieren wir die Risiken des Unbekannten, wenn wir an Bekanntem festhalten. Zum Beispiel bringt der Auszug von zuhause neue finanzielle und organisatorische Herausforderungen. Der Rückhalt des bisher so geregelten Familienlebens geht dabei zunächst verloren. Genau diese festen Bezugspunkte spielen aber eine große Rolle, wenn die übrige Welt zunehmend unsicher erscheint. Wir hören beinahe täglich von Wirtschaftskrisen, Sozialabbau und einem hart umkämpften Arbeitsmarkt. Das alte Versprechen, dass wir es mit einem Studium besser haben werden als die Generationen vor uns, hat seinen Glanz für viele verloren. Eine globalisierte und fortschrittsgetriebene Welt ist voller Veränderungen, die teilweise jedoch bedrohlich wirken. Der Versuch, das Leben in feste Bahnen zu lenken und sich an bestimmten Konstanten festzuhalten, soll zuverlässige Anker zwischen all diesen Unsicherheiten schaffen.

Genau dieser Sehnsucht kommt ein modernes Studium besonders gut entgegen, denn die Bologna-Reform hat einige Veränderungen ausgesperrt. Festere Studienabläufe und viele kleine Prüfungen, die das Fundament der Abschlussnote bilden, unterscheiden sich größtenteils nur im Niveau vom vorherigen Schulalltag. Zusammen mit dem Verprechen einer besseren Verzahnung mit der Wirtschaft wirkt ein Studium bis zum Berufseinstieg fast wie Sicherheit auf Raten. Deshalb wollen vielen Studenten so lange wie möglich in diesem System bleiben. Der Bachelor scheint auf dem Campus keineswegs als Sprungbrett in den Beruf verstanden zu werden, sondern gilt eher als Zwischenstufe. Häufig lautet der Plan deshalb: Mit guten Einzelnoten über den Bachelor in den Master und dann sehen wir weiter.

Mehr Schein als Sein?

Doch genau hier kann ein Schwachpunkt liegen. Es ist schon fast ironisch, dass gerade rigoroses Sicherheitsdenken ein großes Risiko birgt. Denn absolute Sicherheiten gibt es letztlich nicht. Das gilt allein schon zeitlich. Kaum ein Studierender wird ewig bei den Eltern wohnen wollen, erst recht nicht ewig studieren. Wenn diese kleinen Gewissheiten enden, erwartet und mit einem Mal eine sehr große Veränderung. Der erste Job, die erste eigene Wohnung und die dazugehörige Verantwortung. Um diesen großen Schritt zu meistern, kann es helfen, bereits im Studium zu üben. Denn dort begegnen wir sehr ähnlichen Möglichkeiten, nur sozusagen mit doppeltem Boden. Einen Nebenjob können wir viel leichter aufgeben als den Hauptberuf. Auch ein Umzug oder sogar ein Wechsel der Stadt ist heute viel leichter, als wenn wir beruflich eingebunden sind. Zudem genießen Studierende gewisse finanzielle Rückhalte wie BAFöG oder die Unterstützung der Eltern. Da können kleine Veränderungen eher ein Angebot als eine Bedrohung sein.

Natürlich müssen wir nicht jede Gelegenheit ergreifen, um unser Leben umzukrempeln. Es geht vielmehr darum, uns kennenzulernen, auszuprobieren und so für spätere Veränderungen zu üben. Zu dieser Ausbildung gehört es auch, die für uns richtige Balance von Sicherheit und Veränderung zu finden. Wenn wir unser Leben als eine lange Kette kleiner Schritte komplett durchplanen, laufen wir aber Gefahr einem großen Irrtum aufzusitzen. Das Leben ist schlicht nicht bis ins Detail plan- und kontrollierbar. Wer dennoch daran glaubt, kann von ungewollten Veränderungen leicht aus der Bahn geworfen werden.Umso tragischer wird es, wenn wir für solche Scheinsicherheiten einen Traum aufgegeben haben. Denn wirklich sicher ist bekanntlich nur, dass sich alles verändert.

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