Müller will über “Revolutionen” reden

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Text: Michael Müller – Illustration: Isabell Beck

Studentenrevolte? Das klingt nach vergangenen Zeiten. Die Studenten von heute fragen sich eher, ob und wie sie sich Kinder einmal leisten können, als welche Welt sie ihnen dann hinterlassen. Auf den ersten Blick prallen in diesen Sätzen zwei Klischees aufeinander. Doch wie steht es wirklich um das revolutionäre Potenzial unserer Generation? Reden wir darüber!

Wer einen Blick in die Geschichte der deutschen Studenten wirft, stößt auf einigen Widerstandsgeist. Egal, wann es darum ging, den Staat oder das gesellschaftliche System infragezustellen, mischte der wissenschaftliche Nachwuchs mit. Ein sehr bekanntes Beispiel ist das Hambacher Fest von 1832, mit dem Studenten quasi den Startschuss zur ersten Demokratie auf deutschem Boden gaben. Vor gar nicht allzu langer Zeit dachte man gar zuerst an Demonstrationen und Widerstand, wenn man von Studenten sprach. Zugegeben, das System hat die 68er-Bewegung dabei nicht gekippt. Ihre Ideen zu Freiheit und Gerechtigkeit prägen unsere Gesellschaft dennoch bis heute. Lange galt die Universität also nicht nur als Ort der wissenschaftlichen, sondern auch der gesellschaftlichen Erneuerung. Damit ist meine Studentengeneration in vielerlei Hinsicht Kind der Revolutionen. Das allerdings am Ende wider Willen?

Kolumne: Müller will reden

Meinung ist tot? Nicht mit uns, denn unser ehemaliger Chefredakteur Michael Müller ist überzeugt, dass es Dinge gibt, die man nicht wissen kann, aber über die es sich zu reden lohnt. In Zeiten harter Fakten glaubt er an das lose Mundwerk, denn wohin sonst mit all den gesammelten Informationen? Mal geht es um Wichtiges, mal um den Rest, aber immer gilt: Keine Angst, Müller will nur reden. Die Kolumne erscheint immer donnerstags und wird von Isabell Beck illustriert. Alle Folgen von “Müller will reden” zum Nachlesen.

Zumindest wirkt es manchmal so. Der Studierendensurvey des BMBF von 2014 zeichnet ein wenig aufrührerisches Bild der modernen Studenten. Stolze 43 von ihnen studieren vor allem, um später einen sicheren Arbeitsplatz zu erhalten. Deshab sind ihnen gute Noten auch wichtiger als politische Betätigung. Wer sich trotzdem noch für Politik interessiert, sieht sich dabei in der Mitte des Meinungsspektrum. Das klingt eher nach Zufriedenheit statt Rebellion. Allerdings geht es uns ja auch größtenteils gut. Wir leben in einer stabilen Demokratie, unsere Wirtschaft steht verglichen mit vielen anderen Ländern gut da und die Jugendarbeitslosigkeit ist gering. Das gilt umso mehr für Absolventen einer Universität, die wirtschaftlich und sozial noch immer gesicherter leben als andere Bildungsstände. Ist es da zu verübeln, wenn wir nicht gerade Revoluzzer sind?

Get up, stand up…

Allerdings! Es gibt nämlich eine ganz wichtige Form des Aufstandes, die gar nichts mit einem gewaltsamen Umsturz zu tun hat, sondern vor allem mit Sicherheit. Solche Revolutionen schaffen es natürlich nur selten in die Geschichtsbücher, vor allem, weil sie eigentlich gar nichts Außergewöhnliches sind. Was jetzt vielleicht wie ein Zwergenaufstand klingt, ist auf lange Sicht aber genau deshalb eine große Sache, weil selbst die Riesen einer Generation auf seinen Schultern stehen. Mir geht es nämlich um nichts geringeres als den Grund dafür, dass seit Urzeiten die Älteren über „die Jugend von heute“ schimpfen.

Die ältere Generation hat sich in den vergangenen Jahren viele Namen für uns überlegt. Mal sind wir die „Generation Y“ und suchen wieder nach dem Sinn des Lebens, dann sind wir wieder einfach konsumorientierte „Hipster“, die mit tieferem Sinn gar nichts am Hut haben. Das Problem all dieser Labels ist nicht einmal, dass sie widersprüchlich sind. Viel schwerer fällt ins Gewicht, dass wir uns keines davon selbst verliehen haben. Wenn wir über die Vergangenheit sprechen, gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, dass Menschen Kinder ihrer Zeit sind. Doch für die Zukunft ziehen wir diesen logischen Schluss selten. Trotzdem sind wir natürlich in einer ganz eigenen Zeit aufgewachsen, die vor allem auch ganz eigene Probleme mit sich bringt. Eines Tages wird es den Führungskräften unter uns zufallen, diese zu lösen und dazu braucht es dann, logisch gedacht, ebenso eigene und zeitgemäße Wege.

Dabei geht es nicht darum, große Leistungen der vorangegangenen Generationen klein zu reden, von denen wir alle heute profitieren. Allerdings sind diese Erfolge nicht in Stein gemeißelt. Es gilt, sie zunächst gegenüber immer neuen Herausforderungen zu sichern und langfristig weiterzuentwickeln. Einige zukünftige Herausforderungen merken wir schon heute, wie den demographischen Wandel oder die Erderwärmung. Damals war damit vielfach noch nicht in diesem Maße zu rechnen. Trotzdem wird so schnell deutlich, dass alte Erfolgsrezepte zukünftig keinen sicheren Fortschritt mehr bringen. Wir wachsen gerade in diese Problestellungen hinein und haben deshalb die einmalige Chance, ihnen mit einer Weltsicht beizukommen, die sich teilweise radikal von der heutigen unterscheidet -und Damit ist sie nicht weniger als eine waschechte Revolution.

Umstellung statt Umsturz

Aller Skepsis zum Trotz handeln wir schon heute immer wieder so, dass es nicht so recht zu unseren Labels passt. Vor allem entdecken wir neben der bisher allgegenwärtigen Konkurrenz eine neue Solidarität, die nicht einmal an Ländergrenzen halt macht. Schlagworte dieser Entwicklung sind zum Beispiel Shareconomy oder Fairtrade. Im Umgang mit dem Arabischen Frühling oder der Griechenland-Krise hat sich ein ganz neues Wir-Gefühl Ausdruck verliehen, das aus uns vielleicht erstmals eine globale Generation macht. Allerdings nur, und hier kommt der Haken, wenn wir beginnen, größer zu denken.

Oftmals belassen wir es bei Meinungen, denen nur begrenzt Taten folgen. Die meisten unserer Ansätze spielen sich zudem quasi nach Dienstschluss ab und suchen Schleichwege aus einem System, das wir im Beruflichen noch anerkennen. Denn im Unialltag nehmen wir doch wieder vor allem Konkurrenz und Notendruck ernst. Damit sprechen wir im Moment noch mit zwei Stimmen, wobei wir, wenn es ernst wird, der unserer Vorgänger das letzte Wort lassen. Dabei vergessen wir gerne, dass auch die einmal jung waren und sich wiederum gegen ihre Vorgänger durchsetzen mussten. Mir geht es ausdrücklich nicht um mangelnden Respekt und ein zwanghaftes Umwerfen der Fortschritte der älteren Generation. Im Grunde sind wir aber gerade ihren Erfolgen ein bisschen Widerstand schuldig, denn hinter jedem Fortschritt steckt wenigstens eine kleine Revolution.

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