Müller will über „Radikalismus“ reden

Text: Michael Müller - Illustration: Isabell Beck
Text: Michael Müller – Illustration: Isabell Beck

Radikalismus bedeutet Ärger. Wir alle wissen instinktiv um die Gefahr, die in ihm ruht, und gehen sensibel mit Radikalisierungstendenzen um. Doch was macht Radikale eigentlich so gefährlich? Und wo verläuft die Grenze zwischen Meinung und Radikalität? Manchmal lauert sie genau dort, wo wir sie vielleicht gar nicht erwarten, Aber genau dann bedroht sie etwas, was uns sehr wichtig ist – die Moral.

Vor vielen Jahren habe ich in Anke Engelkes Comedyserie Ladykracher einen Sketch gesehen, der mich seither nicht mehr loslässt. In diesem nicht einmal dreißig Sekunden langen Spot parodiert sie bis ins Detail das Klischee der alternativen Mutter. Natürlich wird der eigene Nachwuchs einmal antiauthoritär erzogen, notfalls – und hier bricht Engelke mit den Erwartungen der Zuschauer – gilt es, ihm die Freiheit eben einzuprügeln. Im ersten Moment musste ich über diesen Widerspruch lachen, doch seit einiger Zeit begegnet er mir auch im Alltag immer wieder. Lange bevor ich sie selbst bemerkt habe, hat Engelke in diesem Sketch einer ganzen Szene den Spiegel vorgehalten: den radikalen Weltverbesserern.

Radikalismus kann sehr schnell ein ernstes Problem werden, denn er kennt keine Grenzen. Der Begriff radikal leitet sich vom lateinischen radix ab, was Wurzel bedeutet. Radikale Ideologien gehen dementsprechend davon aus, ein gesellschaftliches Problem bei seinem Ursprung packen zu müssen, um es zu lösen. Viele Radikale glauben dabei, das Übel nur mitsamt der ganzen Gesellschaft entwurzeln zu können. Wenn es sein muss, dann eben auch mit Gewalt. Terroranschläge oder politische Attentate erinnern uns beinae täglich auf grausame Weise daran, wohin Radikalismus führt.

Kolumne: Müller will reden

Meinung ist tot? Nicht mit uns, denn unser Chefredakteur Michael Müller ist überzeugt, dass es Dinge gibt, die man nicht wissen kann, aber über die es sich zu reden lohnt. In Zeiten harter Fakten glaubt er an das lose Mundwerk, denn wohin sonst mit all den gesammelten Informationen? Mal geht es um Wichtiges, mal um den Rest, aber immer gilt: Keine Angst, Müller will nur reden. Die Kolumne erscheint immer donnerstags und wird von Isabell Beck illustriert. Alle Folgen von “Müller will reden” zum Nachlesen.

Gerade wenn es um politische oder religiöse Radikalität geht haben wir inzwischen eine große Sensibilität entwickelt. Zum Beispiel zeigt eine Vielzahl an Initiativen und Projekten in Deutschland der Rechtsradikalität eine gesellschaftliche Schulter, die zum Glück ebenso breit wie kalt ist. Erst vor wenigen Wochen hat die rechtsextreme Bürgerinitiative Ausländerstopp, ausgerechnet am Augsburger Friedensfest, zur Demonstration aufgerufen. Diese Provokation hat die prompte Reaktion der Augsburger ausgelöst. Binnen kürzester Zeit fanden sich ganze 800 Gegendemonstranten ein, die den gerade einmal 13 Radikalen die Stirn boten. Damit setzte Augsburg ein wichtiges Zeichen für die Demokratie, für den Frieden und für die Vielfalt.

Feldzüge gegen den Kompromiss

Genau dagegen wendet sich nämlich jede Form von Radikalismus. Er kennt nur noch zwei Pole: richtig und falsch. Deshalb erkennt er auch nur zwei Arten von Menschen an, nämlich Anhänger und Gegner. Wer die Welt in Freunde und Feinde teilt ist immer undemokratisch, denn er diskutiert nicht mehr, er bekämpft. Radikale Ideologien werden dem Menschen schon deshalb nicht gerecht, weil sie vergessen, dass Dinge nicht absolut richtig oder falsch sind. Ideologien sind letztlich Meinungen und was dem einen gerecht erscheint, gilt noch lange nicht für alle anderen. Wer die Gesellschaft stur in zwei Lager teilt, kann schon deshalb nicht gewinnen, weil er die menschliche Vielfalt ignoriert. Das schürt Konflikte und auf die Dauer Gewalt. Von der Überzeugung, die eigene Meinung gegen jeden Widerstand durchsetzen zu müssen, ist es nur ein kleiner Schritt, bis der Zweck alle Mittel heiligt.

Das führt zu dem Widerspruch, den Anke Engelke aufgreift. Nur ist der in der Realität nicht zum Lachen. Wenn ein „militanter Pazifist“, die Fenster seines vermeintlichen Nazi-Nachbarn einwirft, ist das kein Protest, sondern strafbar. Es gibt etliche Formen des Widerstands, die wir ergreifen können. Wir können Aktionen starten, demonstrieren, aufrufen , schreiben, singen und diskutieren. Doch sobald wir in Kauf nehmen, anderen zu schaden, verlassen wir den Kompromiss, beginnen zu kämpfen und geraten auf die Bahn der Radikalität. Dabei hilft es auch nicht, die Moral im Rücken zu wissen. Wer mit dem einen Radikalismus gegen den anderen zu Felde zieht, bekämpft nicht Feuer mit Feuer, sondern zündelt einfach nur mit, indem er Feindbilder bestätigt.

Es gibt keinen guten Radikalismus

Häufig beginnt der moralische Radikalismus schon im Kleinen. In meiner Generation fällt mir dabei vor allem in den letzten Jahren eine besonders paradoxe Form auf: der radikale Tierschutz oder Veganismus. Seine Attitüde lässt sich in einem einfachen Satz ausdrücken, der auch in der Bahnunterführung in der Haunstetter Straße zu finden ist: Fleisch ist Mord. Diese drei Wörter teilen mustergültig in richtig und falsch. Mehr noch, denn wer sich hier auf die falsche Seite schlägt, ist ein Verbrecher, ein Mörder. Ein solcher Satz erzeugt Druck an der Sache vorbei. Es geht gar nicht darum, ob der Leser Tiere schützen möchte. Er zielt allein darauf ab, dass er wohl kein Mörder sein möchte. Das ist kein Einzelfall, denn immer wieder fallen radikale Tierschützer dadurch auf, dass sie in Diskussionen ausfällig werden oder durch Aktionen und Begrifflichkeiten verstören. Solche Maßnahmen setzen auf Ebene der Emotion und der Psyche an. Damit beleidigen sie und schüren einen offenen Konflikt. Wer auf Moralterror setzt, Andersdenkende stigmatisiert oder zu verstören bereit ist, der ist radikal.

Natürlich ist es ein himmelweiter Unterschied, ob Rechtsradikale nachts Zuwanderer attackieren, oder ob ein Tierschützer unversöhnliche Parolen an die Tür der Unitoiletten schmiert. Falsch und überflüssig ist beides. Wer sich radikal gibt, schadet zudem nicht nur der öffentlichen Diskussion, indem er spaltet und emotionalisiert. Er schadet auch der eigenen Sache. Niemand wird dadurch überzeugt, dass man ihn beschimpft oder unter Druck setzt. Vielmehr wirkt es sehr unlogisch, ein Lebewesen dadurch schützen zu wollen, dass man ein anderes terrorisiert. Bei all den ideologischen Grabenkämpfen bleiben die guten und leisen Argumente oft ungehört. Es gibt gute Gründe, die Umwelt und die Tiere besser zu behandeln, nur werden sie vom Moralterror schnell übertönt. Radikalismus schadet, egal im Zeichen welcher Sache. Eine Gesellschaft muss sich gegen alle seine Formen schützen. Deshalb sollten wir sowohl gegen Nazis demonstrieren als auch Moralisten zur Rede stellen.

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