Müller will über Emanzipation reden

Text: Michael Müller - Illustration: Isabell Beck
Text: Michael Müller – Illustration: Isabell Beck

Gleichberechtigung? Nicht schon wieder! Sei es durch die Unbedachtheit eines Politikers oder in der Debatte um soziale Gerechtigkeit. Kaum etwas wurde über die Jahre so oft diskutiert wie die Emanzipation der Frau. So vielfältig die Anlässe, so verstaubt wirken allerdings die Positionen. Tritt eine der wichtigsten Debatten um mehr Gleichheit etwa auf der Stelle? Und wenn ja, woran liegt das?

„Die Frage nach der Rolle der Frau – um den modernen Begriff zu benutzen – ist keine abstrakte Frage der richtigen oder falschen Rollen. […] Jede Frau hat das Recht darauf, all das zu tun, wozu sie fähig ist.“ Solche Zitate kommen den meisten mehr als bekannt vor, sei es aus der Diskussion um die Frauenquote, Lohngerechtigkeit oder das gesellschaftliche Frauenbild. Allerdings stammt der Satz keinswegs aus einer der Debatten der letzten Jahre, sondern wurde bereits 1875 vom amerikanischen Mediziner Edward Clark so veröffentlicht. Seither haben sich zwar die Anlässe für diesen Klassiker der immer wiederkehrenden Streitigkeiten geändert, doch die jeweiligen Positionen sind über mehr als 100 Jahre erschreckend unverändert geblieben. Ein Grund dafür, dass diese eigentlich sehr hitzige Debatte schon so lange im Kreis verläuft, liegt darin, dass eine andere Diskussion viel seltener geführt wird: Was verstehen wir überhaupt unter Emanzipation?

Kolumne: Müller will reden

Meinung ist tot? Nicht mit uns, denn unser ehemaliger Chefredakteur Michael Müller ist überzeugt, dass es Dinge gibt, die man nicht wissen kann, aber über die es sich zu reden lohnt. In Zeiten harter Fakten glaubt er an das lose Mundwerk, denn wohin sonst mit all den gesammelten Informationen? Mal geht es um Wichtiges, mal um den Rest, aber immer gilt: Keine Angst, Müller will nur reden. Die Kolumne erscheint immer donnerstags und wird von Isabell Beck illustriert. Alle Folgen von “Müller will reden” zum Nachlesen.

Der Begriff der Emanzipation hat zwei Ebenen. Für den Einzelnen liegt sie in der Befreiung aus der Abhängigkeit von anderen, ganz egal ob geistig oder materiell. Übertragen auf gesellschaftliche Gruppen führt das zu einer möglichst gleichberechtigten Teilhabe aller am öffentlichen Leben. Damit geht es auf dieser Ebene besonders um Minderheiten oder Gruppierungen, deren Möglichkeiten von der Mehrheit begrenzt werden. So galt es lange auch für Frauen, doch inzwischen sieht es ein wenig anders aus. Von Rechts wegen gibt es ohnehin keinen Spielraum, denn Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes sagt klar: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Seit 1994 ist die Vorschrift sogar um die staatliche Pflicht ergänzt, die Umsetzung der Vorschrift zu fördern. Ohnehin wird sich auf der Straße kaum jemand finden, der sich zum Beispiel dafür stark macht, Frauen für die gleiche Arbeit schlechter zu bezahlen als männliche Kollegen. Geht es aber um die etwas robustere Durchsetzung dieser Gleichheit, lässt die Einigkeit nach. Eine Quote für mehr Frauen in Führungspositionen wollten sogar unter weiblichen Entscheidern gerade einmal 27 Prozent und das, obwohl Frauen das Gefühl haben, auf dem Weg zum beruflichem Erfolg unter besonders großem Druck zu stehen.

Zwei Seiten eines Problems

Bei der Suche nach Erklärungen für diesen scheinbaren Widerspruch, lohnt ein genauerer Blick auf die persönliche Seite der Emanzipation: die eigene Unabhängigkeit. Geht es um die Rolle der Frau, müssen dazu vor allem alte Rollenbilder aufgelöst werden. Viele Forderungen von Aktivisten beinhalten das jedoch nur indirekt. Oft geht es nicht generell um neue gesellschaftliche Rollen, sondern eher um einen Rollentausch. Frauen sollen an die Stelle der Männer treten, ihre Positionen besetzen oder sie zumindest ergänzen. Dabei bleibt abgesehen vom häufigeren Geschlecht aber eben jenes Rollenbild intakt, das in der Vergangenheit zu Ungleichheiten geführt hat. Für die Gesellschaft bedeutet das Stillstand und auf persönlicher Ebene häufig Schwierigkeiten – und zwar nicht nur für Männer. Die Schriftstellerin Christa Wolf hat sich in ihrem Werk immer wieder mit Emanzipationsprozessen auseinandergesetzt. In Bezug auf das Verhältnis von Männern und Frauen macht sie zum Beispiel in Medea mehr als deutlich, dass beide Seiten unter Rollenklischees leiden. Für ihren gesellschaftlichen Führungsanspruch haben Männer nämlich sehr lange den Preis eines übersteigerten Wettbewerbs untereinander gezahlt. Das Männerideal sah Erfolg, Härte und Durchsetzungkraft voraus, erst beim Militär und später in Politik und Wirtschaft. Nicht zufällig gehen Emanzipationsdebatten oft mit Diskussionen um ein neues Männerbild einher. Natürlich rechtfertigt das nicht, Frauen zu benachteiligen. Allerdings ist die rohe oder gar stumpfe Reaktion mancher Männer auf Forderungen nach mehr Gleichberechtigung nicht nur die Folge von Boshaftigkeit, sondern geht ebenso auf ein überzogen kämpferisches Selbstverständnis zurück.

Rollenbilder – nicht nur Frage des Geschlechts

Wer erfolgreiche Frauen betrachtet, findet viele dieser Eigenschaften wieder. Angela Merkels Karriere wird zum Beispiel eher mit Zweckrationalität und Durchsetzungsstärke als mit der Emanzipation in Verbindung gebracht. Sie spielt mit Bravour nach den Regeln der „Männerwelt“. Aber ist es nicht irritierend wenn der weibliche Weg zur Macht darin liegt, ein besserer Mann zu sein? Vor allem für junge Frauen bedeutet eine solche Emanzipation weniger die Befreiung als einen großen persönlichen Druck. Gerade wer sich einen Lebensstil wünscht, der auch zu den alten Rollenbildern passen könnte, kann sich schnell zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Ansprüchen verlieren. Dass ausweislich etlicher Meinungsführer mal ein Hausmütterchen ist, wer zuhause bei den Kindern bleibt, aber kurz darauf schon wieder eine Rabenmutter, wer trotz Familie arbeitet, macht die Entscheidung nicht leichter.

Ist es wirklich Gleichberechtigung, sich zwischen Blitzkarriere, Partnersuche und Familiengründung aufzureiben, um nur keine der gesellschaftlich hart erkämpften Chancen zu vergeuden? Die Lösung kann nur darin liegen, Emanzipation endlich wieder als etwas persönliches zu verstehen. Dabei hilft es nur, alte Rollenklischees abzulegen und zwar egal ob es um Geschlechterrollen oder ein abgenutztes Verständnis von Erfolg und Führung geht. Vor heißt das, alle Lebensentwürfe als berechtigt zu akzeptieren, ob sie nun traditionell oder modern sind. Dann Gleichheitsfragen betreffen immer auch die Freiheit und selbst wohlmeinende Bevormundung sperrt ein – heute wie vor 100 Jahren.

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