#blacklivesmatter – Silent Protest in Augsburg

In ganz Deutschland versammelten sich am Samstagmittag, dem 06.06.2020, zehntausende Menschen, um gegen Rassismus und für eine gerechtere Welt zu demonstrieren. Allein in Augsburg kamen laut VeranstalterInnen 3.000 Menschen zusammen, um ihre Solidarität mit der Black Community zu bekunden, eigene Erfahrungen mit Rassismus zu teilen und den getöteten Opfern des Rassismus weltweit zu gedenken.

© Sabrina Zierer

Auf den sozialen Medien kommt man am Thema Rassismus momentan nicht mehr vorbei. In der letzten Woche gab es eine Informationsflut an Aufklärung und Konfrontation damit, dass schwarze Menschen diskriminiert werden. Die Ermordungen mehrerer AfroamerikanerInnen in den USA trat eine weltweite Bewegung los. Einigen Deutschen scheint nicht ganz klar zu sein, dass das was so weit weg klingt auch vor unserer Haustür passiert. Deshalb organisierten Persons of Colour deutschlandweit die Silent Protests. In vielen Städten, wie München, Berlin oder Flensburg trafen sich Leute zum Protest. Sie wurden begleitet von RednerInnen, darunter auch PolitikerInnen wie Aminata Touré (Vizepräsidentin LT Schleswig-Holstein) oder Lisa Mcqueen (OB-Kandidatin Augsburg 2020 von DIE PARTEI). Auch in Deutschland sei Rassismus ein Problem und eben auch bei uns, in Augsburg. Der Augsburger Teil der Silent Protest-Bewegung organisierte gestern die Demonstration an der Erhard-Wunderlich-Sporthalle am Wittelsbacher Park. Unsere AutorInnen Ilaria, Charlotte und Justin waren vor Ort.

13:45 Uhr in Göggingen. Mit schwarzen Klamotten, schwarzer Basecap und schwarzem Rucksack bewege ich mich in Richtung Erhard-Wunderlich-Sporthalle. Ich befinde mich im Wohngebiet und laufe auf eine Kreuzung zu. Da kommen von allen Richtungen schwarz gekleidete Menschen auf mich zu. Wir sehen uns. Unser gemeinsames, stillschweigend vereinbartes Ziel ist klar: Wir wollen heute alle gegen Rassismus und für eine gerechte Behandlung von Persons of Colour protestieren. Wir setzen unseren Weg fort und kommen an der Sporthalle an. Davor: Tausende Menschen stehend auf dem Parkplatz und darauf wartend, dass der Silent Protest beginnen kann.

14:00 Uhr Erhard-Wunderlich-Sporthalle Augsburg, die erste Begrüßung ertönt von der Bühne. 14:15 Uhr, Polizei und OrdnerInnen weisen auf die Einhaltung des Sicherheitsabstands hin. 14:17 Uhr, ich treffe mich mit Charlotte, wir machen uns auf, Interviews zu führen. 14:40 Uhr, wir sind mit den Interviews fertig und kämpfen uns nach vorne. 14:45 Uhr, erneute Durchsage der OrdnerInnen, man solle den Sicherheitsabstand wahren, ansonsten könne die Protestaktion nicht starten. 14:55 Uhr, endlich hält jeder den Sicherheitsabstand ein, die Polizei läuft durch die Menge und kontrolliert, dass dies auch so bleibt.

Ich kannte diesen Mann nicht, aber ich weiß, er ist gestorben, weil er die gleiche Hautfarbe hat, mit der ich geboren bin

Unsere Autorin Ilaria befindet sich derweil in Stuttgart: Hier sind anstatt den 700 angemeldeten Personen fast über 10 000 Demonstrierende erschienen. Auf dem hinteren Teil der Wiese stehen die Menschen noch mit deutlichem Abstand zueinander. Richtet man den Blick jedoch nach vorne zur Bühne wird klar, dass es bei der großen Menschenansammlung fast unmöglich ist, den Abstand einzuhalten. Während aus den Lautsprechern das Lied „Read all about it“ von Emelie Sandé erklingt, werden die Rufe „black lives matter“ immer lauter. Es ist 14:45 Uhr und im strömenden Regen gedenken wir George Floyd, indem wir niederknien und unsere Fäuste nach oben strecken.

Deutschlandweit wurde um 14:45 Uhr 8 Minuten und 46 Sekunden lang eine Schweigeminute für den US-Amerikaner George Floyd eingelegt. Der dunkelhäutige Floyd wurde von mehreren Polizisten fixiert und per Knie auf seinem Hals exakt so lange zu Boden gedrückt. Floyd wurde daraufhin in einem Krankenhaus für tot erklärt. Die beteiligten Polizeibeamten wurden entlassen und wegen Mord bzw. Beihilfe zum Mord festgenommen. In Augsburg geht die Menge zeitversetzt um 15.45 Uhr auf die Knie, viele TeilnehmerInnen strecken die Faust in die Höhe. Ich laufe von der Mitte der Demonstranten weiter nach vorne um Fotos für den Artikel zu machen: Ich drehe mich um und sehe in die Gesichter der Tausenden Menschen, die sich in Augsburg zu Floyds Gedenken versammelt haben. Ich blicke in ernste Gesichter, traurige Gesichter. Nur andere Pressevertreter und ich stehen in der Menge. Nachdem ich die Fotos gemacht habe, gehe ich wieder zurück an meinen Platz, knie mich hin und strecke auch die Faust in die Höhe. Mein Fuß schmerzt, ich verändere die Sitzposition. Mein Arm wird schwer und fängt ebenfalls an zu schmerzen. George Floyd aber, denke ich mir, hatte nicht den Luxus, das Knie des Polizeibeamten von seinem Nacken zu entfernen, um kurz auszuspannen. George Floyd schmerzte nicht nur der erhobene Arm, ihm wurde der Sauerstoff abgeschnürt, als der Polizist sich auf ihn kniete. Ich strecke meinen Arm etwas weiter nach oben. Wenn George Floyd solche Qualen vor seinem gewaltsamen Tod durch den Beamten erfahren musste, dann kann ich auch 8 Minuten und 46 Sekunden meinen Arm in die Höhe halten. Für George Floyd. Für alle ermordeten Schwarzen MitbürgerInnen. Für eine gerechtere Welt und gegen Rassismus.

8 Minuten und 46 Sekunden vergehen schnell oder auch weniger schnell. Für George Floyd müssen sie sich wie eine Ewigkeit angefühlt haben, für mich waren es nur einige Minuten mit schwerem Arm. Die Zeit ist vorbei. Die Moderatorin bedankt sich bei jedem. Die Menge jubelt und klatscht: “No justice, no peace. No justice, no peace”.

Nach den Minuten der Stille melden sich Betroffene zu Wort. Augsburger RednerInnen legten ihre Erfahrungen mit Rassismus dar. So sprach die gebürtige Afrikanerin Marcy von Beschimpfungen, Benachteiligungen, aber auch, wie dankbar sie sei, dass ihr so viele Menschen zuhören. Andere RednerInnen berichteten von rassistischen Bemerkungen durch AlterskameradInnen schon seit der Grundschule. Auch ‘zufällige’ Polizeikontrollen, Nachfragen, ob man wirklich Deutsch spreche und woher man denn nun wirklich komme, seien keine Seltenheit. Den engagierten RednerInnen kostete es augenscheinlich Kraft, ihre Erfahrungen und Schmerzen zu teilen. Viele bedankten sich für die Unterstützung der Demonstrierenden, vielen fehlten die Worte, um auszudrücken, was rassistische Ereignisse mit ihnen machen. Der Konsens der Beteiligten ist klar: Es liegt an allen, vor allem an der weißen Bevölkerung, #blacklivesmatter nicht zu einem kurzlebigen Hashtag zu machen, sondern nachhaltig aktiv zu werden, sich gegen Rassismus auszusprechen und dementsprechend zu handeln. Wir Weiße waren noch nie Opfer von strukturellem Rassismus und werden es nie sein. Es reicht nicht aus “nicht-rassistisch” zu sein. Wir müssen uns mit der Thematik auseinandersetzen, uns informieren. Anti-Rassismus ist das, was wir in unserer Gesellschaft brauchen. 

Wir sind hier, wir sind stark, wir sind eine Einheit. Wir bekennen Farbe

Die Demonstrierenden jubeln und klatschen immer wieder. Mehrmals ertönen Rufe aus der Menge: “Officer, i can´t breathe”, “Enough is enough”, “George Floyd”. Vertreten sind alle Altersgruppen: Kindergartenkinder mit ihren Eltern, SchülerInnen, genauso wie StudentInnen, Auszubildende, Berufstätige und auch einige ältere Leute befinden sich unter den TeilnehmerInnen des Silent Protests. “Egal ob Weiß, Schwarz, Gelb oder Grün”, alle sind hier um sich der Ungerechtigkeit des Rassismus entgegenzustellen und ein Zeichen zu setzen. “Mensch ist Mensch”, ruft eine Rednerin. Die Menge klatscht und jubelt. An diesem Tag sind alle vereint, vereint in ihrem Bestreben benachteiligten dunkelhäutigen Menschen zu zeigen, dass sie akzeptiert werden und nicht alleine stehen. Den OrganisatorInnen ist es gelungen zahlreiche OrdnerInnen zu mobilisieren, die nicht nur für das Einhalten der Hygieneregeln zuständig waren, sondern auch AnsprechpartnerInnen für alle Demonstrierenden, sodass sich People of Colour, falls sie sich in einer Situation unwohl fühlten, melden konnten. Es wurde ein Raum geschaffen, in dem benachteiligte Stimmen gehört und respektiert wurden, in dem jeder willkommen war. Ein Raum frei von Hass und Diskriminierung. 

Wir sind vier weiße StudentInnen und haben uns gefragt, ob wir berechtigt sind, diesen Artikel zu schreiben. Wir wissen, dass wir niemals nachvollziehen können, wie sehr Schwarze unter Rassismus leiden, wie also können wir uns anmaßen, darüber zu schreiben. Wir glauben irgendwie, wir müssen es. Jeder muss es. Keiner von uns Vier hat und wird jemals strukturellen Rassismus erleben. Unsere schwarzen KommilitonInnen, Freunde, Bekannte, MitbürgerInnen schon. Menschen, die vielleicht dieselben oder bessere Noten schreiben als wir, dieselben Clubs besuchen, dieselben Probleme haben, ‘erwachsen’ zu werden. Menschen, die wie wir bald Jobs und Wohnungen suchen werden, werden weniger Chance haben als wir. Menschen, die neben uns im Hörsaal sitzen, werden es unter denselben Voraussetzungen schwerer im Leben haben als wir, weil es strukturellen Rassismus auch in Deutschland und auch in Augsburg gibt. Das nennt sich White Privilege. Wenige von uns sind daran tatsächlich Schuld. Es geht um ein Problem, dass sich jahrhundertelang entwickelt und verfestigt hat. Auch wenn wir vielleicht nicht direkt schuld daran sind, tragen wir doch die Verantwortung es besser zu machen als die Generationen vor uns. Wir waren gestern da, standen zu Tausenden nebeneinander, weil wir Rassismus nicht länger akzeptieren wollen, weil es keine Grundlage und keine Rechtfertigung dafür gibt und weil wir sehen, dass wir noch lange nicht so weit sind, wie manche Leute vielleicht denken. Der erste Schritt ist, dass wir alle anerkennen, dass Rassismus auch in Deutschland real ist, endlich zuhören, uns informieren und laut werden. Nicht nur gestern, heute oder morgen, sondern langfristig, auch oder vielleicht besonders als weiße StudentInnen, als Weiße in Deutschland und weltweit.

Es geht nicht um Weiß gegen Schwarz. Es geht um Menschlichkeit gegen Rassismus