Netflix and Diversity? Über die Chancen und Fehlbarkeiten des Streamingdienstes

Dies ist der erste Artikel unserer monatlichen Cross-Media-Reihe, gemeinsam mit dem Augsburger Uni-Radio KanalC! Also für mehr spannende Infos zu den neuesten Serien und dem ein oder anderen Fail des Streaming-Giganten Netflix, hört am nächsten Montag ab 21:50 Uhr bei Radio Fantasy rein oder streamt es hier!

© Ruth Tam

Es ist Donnerstagabend, draußen zeigt sich das Wetter von seiner ungemütlichsten Seite und die Pandemie verhindert jegliches Treffen in Kneipen oder Bars. Den durchschnittlichen Studierenden zieht es in solch einer aussichtslosen Situation meistens vor den Fernseher oder Laptop, auf dessen Bildschirm dann kurze Zeit später das uns allen bekannte Netflix-Logo aufflimmert. Manchmal habe ich den Eindruck, dass uns die Pandemie zu noch größeren Serien-Junkies und Couchpotatoes gemacht hat, als es vorher sowieso schon der Fall war. Wenn wir schon an unseren Abenden auf die Couch verbannt werden, dann wäre es ja ganz schön, wenn man wenigstens etwas mitnehmen könnte von den Serien und Filmen. Wenn sie einen in neue Kulturen einführen und zu einem Perspektivwechsel verhelfen. Wenn die Serien uns Bestsellerbücher geschmackvoll näherbringen und eine gleichberechtigte Repräsentation aller Bevölkerungsgruppen besteht. Inwiefern das der Fall ist, bei welchen Punkten sich das deutsche Fernsehen etwas von den Streaming-Anbietern abgucken kann und wo sich Netflix und co. noch einige Fehlbarkeiten leisten, dass erfahrt ihr jetzt hier!

Dear white people – So sieht Diversität aus!

Wirft man einen Blick auf die Film- und Fernsehproduktion im deutschsprachigen Raum, so zeigt sich, dass die Branche ein offensichtliches Problem mit der Überrepräsentation von weißen Männern hat – und zwar auf allen Ebenen, also sowie vor als auch hinter den Kameras. Das hat zur Folge, dass die Gesellschaft in ihrer Vielfältigkeit und Diversität nicht widergespiegelt wird. Ein Problem, dass die Streamingplattform Netflix scheinbar erkannt hat. Sie hat sich selbst einen Diversitätsauftrag erteilt. Regelmäßig veröffentlicht das Unternehmen einen “Inclusion-Report”, um die Fortschritte bezüglich Inklusion und Diversität in der eigenen Unternehmenskultur darzustellen. Das scheint zu wirken, denn innerhalb der letzten Jahre ist Netflix zu einem der Vorreiter in Bezug auf Repräsentation von Diversität auf unseren Bildschirmen geworden.

Diversity ist ein Ansatz, der die Vielfalt in unserer Gesellschaft aufzeigen möchte. Alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, Alter oder ihrer Religion oder Herkunft, sollen Anerkennung empfinden und wertgeschätzt werden. Diversity hinterfragt unseren Umgang mit Vielfalt in unserer Gesellschaft. Fehlende Diversity begünstigt Diskriminierung.

Der Anfang wurde 2013 mit einer der ersten von Netflix selbst produzierten Serien gemacht: „Orange ist he new black“, schlug wie eine Bombe in die heteronormativ geprägte Serienwelt ein. Größtenteils von Frauen produziert, wurden ganz nach dem Motto „Von und über Frauen“, die Schicksale der unterschiedlichsten Haftinsassinnen mit all ihren Differenzen in Herkunft, Farbe und Sexualität auf dem Bildschirm zelebriert. Der Erfolg war groß und bis heute folgten zahlreiche weitere Serien und Filme mit diversem Cast, welche sich auch an politische und gesellschaftliche Thematiken herantrauen. So werden in „Dear white people“ teils unterhaltend und teils ernst über Alltagsrassismen und fehlenden Anti-Rassismus in der weißen Bevölkerung aufgeklärt. In „sex education“ werden verschiedene Sexualitäten anhand von Charakteren vorgestellt, die nicht unterschiedlicher sein könnten und Serien wie “Julie and the Phantoms” oder “Noch nie in meinem Leben” lassen sich zwar als typische Teenie-Romcoms identifizieren, folgen aber keiner Hauptfigur, die den westlichen Schönheitsidealen entspricht. Nein, hier spielen die Hauptrollen people of color, die sonst meistens nur für die Rolle der Ratschlag gebenden besten Freundin herhalten müssen.

Orange is the new black ©Netflix

Die Repräsentation von marginalisierten Gruppen ist dabei weder klischeehaft noch übertrieben. Die Diversität wirkt nicht wie gewollt und nicht gekonnt, sondern tatsächlich authentisch. Die Unterschiede in Sexualität, sozialen Faktoren und Religion werden in den Alltag der fiktionalen Charaktere integriert und erscheinen somit wie das Natürlichste der Welt. Im Gegensatz zum deutschen Fernsehen wird Netflix weltweit gestreamt. Die Serien flackern in Südamerika genauso über den Bildschirm wie in Europa oder Asien. Es gilt also der Anspruch Inhalte für die Welt zu produzieren – und die ist nun mal vielfältig. Gerade das scheint bei den Zuschauenden anzukommen: Die vorhin vorgestellten Serien waren durchaus erfolgreich und haben gezeigt, dass Diversität und Quote sich nicht ausschließen müssen. Ob es sich also nur um eine erfolgreiche Marketingstrategie des Streaming-Giganten oder um die tatsächliche Intention der Repräsentation aller Menschen handelt, bleibt offen. So oder so muss endlich erkannt werden, dass eine größere Vielfalt an Geschichten und Menschen eine Bereicherung ist – nicht nur für den Streaminganbieter, sondern auch für uns Zuschauende. Es lässt sich also hoffen, dass die Netflix-Erfolge Druck auf die deutsche Fernsehwelt ausüben werden – denn diese muss sich verändern, wenn sie nicht an Relevanz verlieren möchte. Sollte ihr das gelingen, steht einer bunten und vielfältigen Fernsehlandschaft nichts mehr im Wege.

13 reasons why – Wir dir diese Serien nicht ans Herz legen

Die Geschichte von Netflix zeugt aber nicht nur von Erfolg und jubelnden Zuschauenden. Immer wieder schleichen sich Misserfolge und Enttäuschungen in das Serienangebot, die für viel Entrüstung unter den Fans sorgen und uns zeigen, dass Probleme wie Sexismus und Rassismus in den Produktionen weiter bestehen.

Leider sorgen auch Skandalfilme wie der unter einer polnischen Produktion entstandene „365 days“ nicht gerade für geringe Streamingzahlen. Dabei wird in der Geschichte nicht nur ein stereotypisches Frauenbild reproduziert, sondern auch Mafiagewalt, Kidnapping und Vergewaltigung verharmlost und als „sexy“ dargestellt. Der Film handelt von einem Mafia-Boss der seine Traumfrau entführt und (großzügig wie er ist) ihr ein Jahr lang Zeit gibt, sich in ihn zu verlieben. Die Storyline ist dabei genauso erniedrigend wie sie klingt. Netflix wies jedoch sämtliche Vorwürfe von sich und weigerte sich, den Film von der Plattform zu löschen. Eine Reaktion, die nicht zu dem selbst aufgebauten Image als „Weltverbesserer-Plattform“ passt. Zu ähnlich viel Kritik hat die Serie „13 reasons why“ (im Deutschen: „Tote Mädchen lügen nicht“) geführt. Diese basiert auf einem Buch von Jay Asher, dass von einem Mädchen handelt, dass sich das Leben nimmt und zuvor 13 Kassetten mit Botschaften hinterlässt. Der Serie wird Romantisierung von Selbstverletzungen und Selbstmord vorgeworfen. Hinzu kommt, dass die Story aufgrund des anfänglichen Erfolges auf drei Staffeln gestreckt wurde. Dieses Hinauszögern einer negativen Botschaft aufgrund von Profit durch Streams wurde von vielen Kritiker_Innen als unangebracht empfunden. Dass Serien, die auf Büchern oder anderen alten Medienprodukten basieren, mit Kritik überschüttet werden, ist allerdings kein Einzelfall. Erst vor kurzem wurde die von Netflix produzierte Neuauflage der Serie „Winx“ in den sozialen Medien stark kritisiert. Dabei ging es nicht nur um die falsche oder fehlerhafte Darstellung der Feenwelt, sondern auch um die fehlende Repräsentation von marginalisierten Gruppen. Sowohl der einzige queere Charakter als auch die einzige schwarze Figur in der Serie sind bloß Nebendarstellerinnen, ohne eigene Hintergrundgeschichte. Die in der ursprünglichen Serie vorkommenden Latina und asiatischen Charaktere, wurden in der Netflixproduktion ersetzt oder mit weißen Schauspielerinnen besetzt. Dieses Vorgehen nennt man auch Whitewashing.

Whitewashing in der Unterhaltungsindustrie bezeichnet den Umstand, dass viele geschichtlich nicht-weiße Charaktere aufgrund von Casting- und Marketingentscheidungen übermäßig häufig von weißen Menschen gespielt werden.

Auch wenn sich schon viel Positives getan hat, ist wohl doch noch nicht alles schön und bunt in der Netflix-Welt. Das verlangt von uns Zuschauenden eine ständige Reflexion, von dem was wir gerade konsumieren. Denn nur durch das Aufmerksam machen der strukturellen Probleme in den Produktionen, besteht die Chance auf Verbesserungen. Netflix and Diversity here we go!

 

Quellen:

https://www.lpb-bw.de/diversity#c47786

https://about.netflix.com/de/news/netflix-inclusion-report-2021

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/diversitaet-als-geschaeftsmodell-von-netflix-16701341-p3.html