“We slept in Democracy and woke up in Dictatorship” – lautet die Kampfparole von jungen Menschen in Myanmar, die seit Monaten für Demokratie und gegen die Militärherrschaft Junta protestieren. Am 01.02.2021 führte das Militär Myanmars einen Putsch durch und verhaftete am gleichen Tag Aung San Suu Kyi (ASSK) – die Vorsitzende der Oppositionspartei “Nationale Liga für Demokratie” (NLD). Worum handelt es sich bei diesem Militärputsch? Findet so eine politische Krise zum ersten Mal in diesem Land statt? Wir blicken auf den bisherigen Verlauf der Proteste gegen den Militärputsch, um die Antwort auf die Frage nach #WhatsHappeningInMyanmar herauszufinden.
Überblick über Myanmar
Die Republik der Union Myanmar ist das zweitgrößte Land in Südostasien und grenzt an die Länder Indien, China, Bangladesch, Laos und Thailand. Aus mehr als 130 ethnischen Gruppen mit verschiedenen Religionen wie Buddhismus, Christentum, Islam, Animismus und Hinduismus besteht die Vielfalt der myanmarischen Gesellschaft. Von 1886 bis 1948 war Myanmar unter dem Namen Burma eine britische Kolonie und erlangte erst 1948 seine staatliche Unabhängigkeit.
Die Stellvertreterpartei des Militärs und die demokratische Partei in Myanmar
1962 putschte das Militär Myanmars – die sogenannte Tatmadaw – zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit und übernahm von 1962 bis 2010 die politische Macht. Währenddessen baute es ein Regierungssystem unter einem militärischen Regime auf.
Unter dem Militärregime geriet Myanmar in eine Wirtschaftskrise. Aus diesem Grund fanden am 08.08.1988 in Yangon (der ehemaligen Hauptstadt Myanmars) und anderen Städten groß angelegte Proteste gegen die Bundesregierung statt. Das Ereignis „der Aufstand 8888“ übte einen starken Einfluss auf die Gründung der Partei NLD unter der Führung von ASSK aus. Im gleichen Jahr wurde das Gesetz über Mehrparteienwahlen verabschiedet. Bei den Wahlen 1990 gewann die NLD gegenüber der „Solidarity and Development Party“ (USDP) – die vom Militär unterstützte Partei. Aber das Militär bestritt nicht nur dieses Wahlergebnis, sondern nutzte auch seine politische Macht, um der NLD-Führerin ihrer Freiheit zu berauben und die politische Aktivität der NLD einzuschränken. Die NLD-Führerin Aung San Suu Kyi stand bis 2010 insgesamt 15 Jahre unter Hausarrest. Das war das erste Mal, dass das Militär sich weigerte, seine Macht abzugeben.
Angesichts der internationalen Wirtschaftssanktionen gegen ihre Diktatur führte die Militärregierung die sogenannte Sieben-Schritt-Roadmap zu einer „disziplinierten Demokratie“ durch, wobei die Streitkräfte ihre Macht trotz des Umbaus des Regierungssystems implizit bewahren konnten. 2010 fanden erstmals nach 20 Jahren wieder Wahlen statt, jedoch boykottierte die NLD-Führerin ASSK diese Wahlen, weil sie die Verfassung immer noch für undemokratisch hielt. Daher gewann die Stellvertreterpartei des Militärs die Wahlen ohne Oppositionspartei in jenem Jahr. Erst 2011 kehrte die NLD offiziell mit politischen Aktivitäten zurück.
Bei den Wahlen im November 2015 gewann die NLD-Partei und Myanmar wurde seitdem offiziell ein demokratisches Land. Tatsächlich verfügt das Militär jedoch in hohem Maße immer noch über die politische und wirtschaftliche Macht, daher ist der Aufbauprozess einer echten Demokratie für das Land mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert.
Ausgangslage der aktuellen Proteste gegen den Militärputsch
Nach der ersten Amtszeit wurde die NLD-Partei bei der Wahl im November 2020 mit überwältigender Mehrheit der Stimmen wiedergewählt. Die Wiederwahl der NLD brachte die implizite Macht des Militärs in Gefahr. Die Geschichte wiederholte sich, als das Militär und die dem Militär nahestehende Partei USDP die NLD des Wahlbetrugs anklagten und Neuwahlen einforderten. Nachdem die nationale Wahlkommission eine Erklärung abgegeben hatte, in der der oben genannten Vorwurf zurückgewiesen wurde, wurden die NLD-Führerin ASSK, Staatspräsident Win Myint und andere führende Politiker:innen der NLD vom Militär festgenommen. Gleichzeitig besetzte das Militär verschiedene Ministerposten mit ihren eigenen Angehörigen.
Militärherrschaft vs. junge Generation
Die jungen Bürger:innen Myanmars wollten diesmal die Machtübernahme der Generäle nicht zulassen und organisierten einige Tage nach der Verhaftung am 01.02.2021 von ASSK landesweit friedliche Proteste, um die Freilassung der NLD-Führerin zu fordern. Die jungen Menschen riefen zur Teilnahme an Demonstrationen auf Online-Plattformen und sozialen Medien auf. Tausende Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen legten ihre Arbeit nieder und nahmen an dieser Bewegung teil. In einem Online-Artikel von Deutschlandfunk Kultur bezeichnen die Autor:innen diese Demokratiebewegung als „jung, digital und entschlossen“.
In gewaltlosen Protesten zeigen Demonstrierende den Drei-Finger-Gruß als Symbol ihrer Bewegung, das sowohl als Zeichen des Widerstands gegen das Regime steht als auch Solidarität und Respekt untereinander bedeuten soll. Dieses Handzeichen wurde zum ersten Mal in Demonstrationen gegen die autokratischen Machthaber in Thailand verwendet und tatsächlich von dem Film „The Hunger Games“ aus dem Jahr 2012 übernommen. Um die Ausweitung der Bewegung zu unterdrücken, sperrte das Militärregime soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram. Außerdem brachen die Telekommunikation und die Übertragung von Nachrichtenstationen zeitweise zusammen.
Wie die Warnung der UN vor drastischen Folgen für Demonstrierende vorhersah, eskalierte die Situation aufgrund der gewaltigen Reaktionen der Militärjunta. Bisher wurden fast 800 Demonstrierende von den Sicherheitskräften getötet und tausende willkürlich auf der Straße verhaftet oder sogar nachts aus ihren eigenen Häusern geholt und abgeführt. Am 04.03.2021 erschienen überall auf sozialen Medien Fotos der 19-jährigen Demonstrantin Kyal Sin, die während der Demonstration von den Sicherheitskräften durch einen Kopfschuss getötet wurde. Der Tod vieler jungen Demonstrierenden wie Kyal Sin zeigt erneut die mörderische Gewalt des Militärregimes auf und facht die Proteste weiter an.
Obwohl einige Prominente, Soziale Medien-Influencer:innen und Journalist:innen, die sich gegen den Putsch ausgesprochen hatten, von myanmarischen Sicherheitskräfte inhaftiert wurden, beschloss die myanmarische Kandidatin einer internationalen Misswahl Han Lay (22) bei einem Auftritt in Thailand im vergangenen April, über die aktuelle Situation in Myanmar zu sprechen und um internationale Hilfe für ihr Land zu bitten. Besonders kritisierte Han Lay in ihrem Vortrag den Machtmissbrauch der militärischen Führer und betonte den ausdauernden Kampf der Bürger:innen um die Demokratie für Myanmar.
Einige Wochen vor diesem Wettbewerb hatte Han Lay mit ihren Kommiliton:innen an der Universität Yangon an Protesten auf der Straße teilgenommen. Viele ihrer Kommilition:innen waren danach inhaftiert worden. Nach dem Wettbewerb beschloss Han Lay, aus Sicherheitsgründen zunächst drei Monate in Thailand zu bleiben.
Internationale Reaktionen nach dem Putsch
Die USA (am 10.02.2021) und die EU (am 22.03.2021) verhängten bis heute gültige, harte Wirtschaftssanktionen gegen die myanmarische Militärführung, um auf eine sofortige Rückkehr zur Demokratie und die Freilassung aller inhaftierten Politiker:innen und Aktivist:innen hinzuwirken.
Anfang Mai forderten mehr als 200 zivilgesellschaftliche Organisationen ein dringendes UN-Waffenembargo gegen Myanmar und sind der Meinung, dass eine reine Verurteilung der Militärführung keinen echten Einfluss auf die aktuelle Situation in Myanmar hat.
“Es ist an der Zeit, dass der UN-Sicherheitsrat seine einzigartigen Befugnisse nutzt, um ein umfassendes globales Waffenembargo zu verhängen, um zu versuchen, den Amoklauf des Militärs zu beenden.”
-Lawrence Moss, Senior UN Advocate von Amnesty International–
Als ich anfing, diesen Artikel zu schreiben, hatte ich große Hoffnung, zum Schluss vom Ende dieses gewaltsamen Putschs berichten zu können. Bedauerlicherweise ist ein Ende der Gewalt der Militärjunta gegen Demonstrierende in Myanmar aktuell nicht abzusehen. Hoffentlich bekommen die Menschen in Myanmar bald die Rechte zurück, für die sie kämpfen und die sie verdient haben.