Einsamkeit im Studium

Warum es auch ohne eine Pandemie gar nicht immer so leicht ist, Freund:innen im Studium zu finden

Das Studium – die beste Zeit des Lebens. Sagen viele. Stereotype Bilder schwirren in den Köpfen herum von Studentenpartys, Clubbesuchen, Abenden am See in großer Runde, WG-Unternehmungen und Mensa-Gesprächen. Oft mit dabei: Die Annahme, man würde im Studium die Freund:innen fürs Leben kennenlernen. Menschen mit den gleichen Ansichten und Werten, die große Freundesgruppe mit der man gelegentlich Bierpong spielt und feiern geht. 

Dass das zur Zeit von Covid-19 sehr schwierig ist, steht außer Frage und wird oft thematisiert. Worüber weniger geredet wird, ist der Fakt, dass das Finden von Freund:innen im universitären Kontext auch ohne eine weltweite Pandemie oft gar nicht so leicht ist, wie man erwarten würde.  Wie ist das, wenn die Zeit als Student:in nicht die Beste des Lebens ist? Wenn man in einem vollen Hörsaal einsam ist? Wenn das hoch gelobte und gefeierte Studentenleben aus Alleinsein besteht ?

 
 

Neue Stadt, neue Freundschaften

Diese Erfahrung hat Lea (21 Jahre alt) gemacht. Sie erzählt mir, dass sie angenommen hatte, zu Beginn ihres Studiums viele Menschen kennenzulernen, die ihr ähnlich sind:

„Ich dachte mir, die haben sich ja den gleichen Studiengang rausgesucht wie ich, also müssen wir irgendwie ähnliche Interessen haben.“ 

Wie viele Studierende hatte auch Lea erwartet, schnell mit neuen Leuten mit ähnlichen Ansichten Kontakt zu knüpfen, mit ihnen abends feiern zu gehen und Zeit zu verbringen.

Die Realität war eine andere, als sie ihr Studium in einer fremden Stadt begonnen hatte: das Freund:innen finden stellt sich als schwierig heraus.

 

 

Die Schwierigkeit, Leute kennenzulernen

Einen Grund dafür sieht sie darin, den Einstieg verpasst zu haben. In der Kennenlernphase verbrachte sie die meiste Zeit mit einem Mädchen, das sie bereits kannte und kam dadurch  selten mit neuen Leuten in Kontakt. Und die, mit denen sie Kontakt hatte, waren nicht die mit Freundschaftspotenzial: „In den Gruppen, wo ich eingeteilt war, waren nicht die Personen dabei, die wirklich zu mir gepasst haben“, erklärt sie.  „Das Einzige, was einen verbunden hat, war das Studium. Gleiche Interessen waren meistens nicht dabei.“

Das ist keine Seltenheit. Manch ein:e Studierende:r lernt in der Kennenlernphase des ersten Semesters niemand passenden kennen. Und mit zunehmender Zeit wird es nicht leichter, erklärt der Psychologe der Universität Göttingen, Günter Reich, im Gespräch mit ze.tt. Im Januar nach Semesterstart sei die Phase des Kennenlernens abgeschlossen und das Hineinkommen in gebildete Gruppen schwierig.

 

Von dieser Erfahrung berichtet Lea ebenfalls. Obwohl sie sich als eine Person beschreibt, die in ihrer Heimatstadt immer von Leuten umgeben war und die gerne und problemlos neue Kontakte knüpft, steht sie im Laufe des ersten Semesters immer mehr vor dem Problem, dass sich bereits Gruppen gebildet haben, von denen sie kein Teil ist.

 

„Eigentlich gehe ich schon offen auf Leute zu und hab überhaupt kein Problem damit, Leute kennenzulernen”, erklärt sie. „Die Schwierigkeit bei mir war, dass – als ich das gemacht hab – viele schon Leute gefunden hatten, die gut zu ihnen passen. Die haben dann kein großartiges Interesse, neue Leute dazu zu nehmen.“

Aus Angst sich aufzudrängen, sei sie dann allein geblieben.

 

Trotzdem versucht Lea immer wieder, Leute kennenzulernen: Sie nimmt an den Ersti-Veranstaltungen teil, engagiert sich in der Fachschaft ihres Studiengangs und meldet sich beim Uni-Sport an.  Freundschaften bilden sich allerdings trotzdem nicht. Auch Leas Wohnsituation ist hinderlich. Während des ersten Semesters wohnt sie in einem Wohnheim, an dem noch gebaut wird, und ist zu Beginn komplett allein in ihrem Stockwerk.

Photo by Ahmed Nishaath on Unsplash

 Einsamkeit und ihre Auswirkungen

 

Leas Situation spitzt sich im Laufe des ersten Semesters immer weiter zu. Lea sagt, irgendwann hätte sie all ihre Freizeit nur allein in ihrer Wohnung verbracht, in der sie sich unwohl fühlte.

 

„Mein ganzes Leben hat sich in einem Zimmer abgespielt. Ich habe nur gelernt, gegessen und geschlafen.“

 

Über den Punkt, unbedingt neue Leute kennenlernen zu wollen, war sie bereits hinaus. Sie sei depressiv geworden, erzählt sie mir, und hätte die Motivation verloren, etwas an ihrer Situation zu verändern. Hinzu kommen im Laufe der Wochen Schlafprobleme und eine leichte Essstörung. Besonders, sagt Lea, habe ihr neben den sozialen Kontakten vor allem der körperliche Kontakt gefehlt: „Ich habe es total vermisst, dass einfach jemand da ist, der einen mal in den Arm nimmt. Ich hätte nie gedacht, dass einen das so fertig machen kann, wenn man keinen körperlichen Kontakt zu Menschen mehr hat.“

 

Einsamkeit ist etwas, worüber man selten spricht. Vor allem, wenn es einen selbst betrifft. Dabei sind Studien zufolge neben älteren Personen besonders Menschen zwischen 20 und 30 anfällig für Einsamkeit.  In der Pandemie hat sich dieses Phänomen verstärkt: Die Uni Mainz kommt zu dem Ergebnis, dass ein erheblicher Teil der Studierenden in der Pandemie unter Einsamkeit und Depressionen litten. Was also lässt sich – die Corona-Beschränkungen mal außer Acht gelassen – dagegen tun?

 

 

Lösungsansätze

 

Expert:innen raten, zu Beginn des Studiums die Kennenlernveranstaltungen wahrzunehmen,  um den „Absprung“ in der Kennenlernphase nicht zu verpassen. Außerdem wird empfohlen, Lerngruppen zu bilden, sich während des Studiums in verschiedenen Gruppen zu engagieren und eine WG dem Wohnen allein vorzuziehen.

 

Die psychologischen Beratungsstellen der Universitäten und Hochschulen stellen eine Anlaufstelle für Hilfesuchende dar, ebenso die Telefonhotline „Nightline“, die von Studierenden für Studierende betrieben wird und allen anonym ein offenes Ohr bietet, die eines brauchen.

 

Ich habe Lea gefragt, was sie Menschen raten würde, denen es ähnlich geht wie ihr damals. Ihre Antwort:

 

„Ich würde raten sich frühzeitig Hilfe zu holen, wenn man merkt, dass es einem nicht gut geht. Ich denke Einsamkeit ist etwas, das jeder mal im Leben erfahren wird. Und es ist keine Schande zu Beratungsstellen zu gehen, selbst wenn es noch nicht so schlimm ist. Sondern einfach mal, um zu erzählen: Hey, es fällt mir schwer, Leute kennenzulernen, ich fühle mich einsam und mir geht’s nicht gut damit.“

 

Auch Apps wie Bumble, die neben der Dating-Funktion ein Feature zum Freund:innen suchen hat, wären eine gute Möglichkeit, um neue Leute zu treffen. Einen Umzug in eine WG hält Lea ebenfalls für einen guten Tipp, alleine wohnen sei nicht hilfreich, wenn man sich ohnehin einsam fühlt.

Außerdem betont sie, dass es nicht an einem selbst liegt, wenn man sich einsam fühlt, sondern dass jedem Menschen das passieren kann. Dass diese Situation, wie schwer sie sich auch anfühlen mag, wieder vorbeigehen wird, irgendwann. Und dass es, sollte es wirklich gar nicht funktionieren, auch keine Schande ist zu sagen: „Hey, das hier ist es einfach nicht. Ich probiere was Neues aus!“

 

Inzwischen geht es Lea besser.   Am Ende des ersten Semesters ist sie aus ihrer 1-Zimmer-Wohnung in eine große WG umgezogen, wodurch sich ihre Situation und ihre psychische Gesundheit sehr verbessert haben, wie sie mir berichtet. Über ein Praktikum und durch die WG hat sie inzwischen auch einige Freund:innen gefunden, mit denen sie ab und zu etwas unternimmt. Am Ende unseres Gesprächs erzählt Lea, dass sie sich auf den nächsten Tag freue. Der Grund: “Da treffe ich eine von Bumble. Und mit der vibet es richtig gut!” sagt sie – und lacht dabei.

 
 

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