Diese Sache mit der Schönheit

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Ich habe die Schönheit auf einen Kaffee eingeladen. Sie trinkt ihn mit laktosefreier Milch und ohne Zucker. Wegen ihrer Figur, sagt sie. Wir sind zum Zwiegespräch verabredet. Ich möchte von ihr wissen, warum sie so beliebt ist. Warum sie sich für so wichtig hält. Und was sich sonst noch so hinter ihrer hübschen Erscheinung verbirgt.

Ich nippe an meinem Kaffee. Ich mag gar keinen Kaffee, aber jetzt trinke ich einen mit laktosefreier Milch und ohne Zucker, weil ich mich neben der Schönheit schlecht gefühlt habe, etwas anderes zu bestellen. Die Schönheit lächelt mich an wie die strahlende Sonne persönlich und ich kriege schon wieder Komplexe. Gut, deswegen sind wir ja hier.

„Was wolltest du mich denn fragen?“, fragt sie.

„Verschiedenes“, sage ich.

„Gut. Fang an“, antwortet sie. Lächelnd.

Ich räuspere mich und versuche, professionell zu wirken.  Und dann fange ich an.

Es erstaunt mich oft, dass wir ihr so viel Bedeutung beimessen. Mit ihr meine ich die Schönheit und mit wir meine ich uns, die Gesellschaft. Es mag sein, dass es einzelne Individuen gibt, die sich dem Sirenengesang der Schönheit entziehen können, die sich einfach die Ohren zuhalten und ignorieren können, was sich so schwer ignorieren lässt. Aber der gesellschaftliche Rest folgt den Sirenenrufen und kentert mit voller Wucht im Rhein. Oder so ähnlich.

Irgendwann wurden wir alle geboren. Und mit der Geburt bekamen wir einen Körper, einen Raum, um im Leben existieren zu können. Dieser Raum sieht immer sehr unterschiedlich aus. Große Augen, kleine Augen, eng, weit auseinander, große und kleine Nasen, volles oder dünnes Haar, dick oder dünn, groß oder klein, wie auch immer. Solange der Raum funktionstüchtig ist und einen zuverlässig durch das Leben trägt, ist der wichtigste Punkt erfüllt. Wie er aussieht, ist doch rein objektiv betrachtet erstmal egal.

 „Ich bin egal?“, fragt die Schönheit pikiert.

„Äh…“, sage ich. „Nicht direkt egal“ sage ich. „Aber meinst du nicht, dass zum Beispiel die Gesundheit ein bisschen wichtiger ist?“

„Na hör mal“, sagt die Schönheit. „Damals bei der Evolution haben sich nur die gesündesten und schönsten Menschen fortgepflanzt.“

„Ich habe jetzt trotzdem -4 Dioptrien“, sage ich.

„Das ist nicht der Punkt“, sagt die Schönheit. 

„Was ich meine, ist, dass man in unserer jetzigen Zeit nicht mehr natürlich ausselektiert wird, wenn man nichts sieht oder nicht so stark oder groß ist wie die anderen“, erkläre ich.

Wenn man geboren wird, als Baby, denkt man nicht darüber nach, wie man aussieht. Das könnte daran liegen, dass man als Baby allgemein noch nicht nachdenkt. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo der Körper mehr ist als dieser Raum, der einen durch die Welt trägt und der nervt, wenn er krank ist. Irgendwann beginnt man darüber nachzudenken, wie er aussieht. Man vergleicht. Vielleicht ordnet man sich selbst auf einer imaginären Skala ein. Oder man wird (teils unfreiwillig) von anderen eingeordnet. Je nachdem ob du bei deiner Geburt das Glück hattest, gerade diese Art von Genetik zu bekommen, die gerade dem aktuellen Schönheitsideal entspricht, tut diese Einordnung weh – oder sie bestärkt dich und macht dich stolz. Warum eigentlich? Weil das Übereinstimmen mit dem aktuellen Schönheitsideal, das normschön-sein, zu einem erstrebenswerten Zustand geworden ist – wie eine Währung, die zu zahlst. Und entweder du besitzt diese Währung bereits, dann good for you. Oder eben nicht. Dann kannst du dich entweder ändern, um die Währung auch zu besitzen oder du akzeptierst, dass du wohl einfach Pech hattest bei der Verteilung der „das-ist-gerade-schön-Genetik“.

 “Aber Schönheitsideale sind ja weltweit gesehen total unterschiedlich”, verteidigt sich die Schönheit.

„Stimmt“, sage ich. „Dazu hab ich sogar eine kleine Anekdote!”

“Wie klein ist die?”, fragt die Schönheit skeptisch. “Ich habe nicht sehr viel Zeit.”

“Klein. Ich war in Irland mit einer Freundin am Strand und wir haben überlegt, wo wir uns hinsetzen.  Ich wollte mich in die Sonne setzen, weil ich braun werden wollte. Meine Freundin von den Philippinen wollte in den Schatten, sie wollte auf gar keinen Fall braun werden. Da waren die Schönheitsideale, denen wir beide entsprechen wollten, total konträr.”

“Eben”, sagt die Schönheit. “Und außerdem ändert es sich ja auch die ganze Zeit, was gerade schön ist. Alle paar Jahre werde ich neu definiert.”

“Aber es war doch immer so, dass die Abweichung vom Schönheitsideal belächelt wurde. Warum kann es nicht einfach egal sein, ob man dem Ideal entspricht oder nicht? Es ist doch prinzipiell überhaupt nicht relevant.“

Die Schönheit seufzt. „Es gibt relevantere Dinge“, gibt sie zu.

Dass es relevantere Dinge gibt, kann man schnell vergessen. Selbsternannte Kommentator:innen aus Verwandschaft, Freundes- und Bekanntenkreis teilen ungefragt ihre negative Meinung zum eigenen Aussehen und geben einem oft wohlgemeinte, aber selbstüberschätzende Tipps wie: „Nimm doch mal ab!“ „Das, was du da anhast, steht dir leider gar nicht“, „Wieso trägst du denn ein Kleid, bei so dünnen Beinen wäre eine Hose besser“ „Mach doch dies, mach doch das“ etc. etc. mit auf den Lebensweg und vermitteln das angenehme Gefühl „Kannste schon so machen, ist aber falsch“.  Plakate erinnern uns daran, dass ein Body nicht reicht, um an den Strand zu gehen, nein, es muss ein Bikini-Body her. Weh dem, der sich einfach mit einem stinknormalen Körper in die Sonne legt, ohne so ein bisschen Beauty-Druck macht der Sommer doch keinen Spaß. Instagram-Influencer:innen erzählen uns hinter Filtern, die so gut gemacht sind, dass sie einem als Filter nicht auffallen, dass wir uns doch bitte selbst lieben sollen. Hot5 von Taff bringt uns bei, dass man die Intelligenz anhand des Gesichts bewerten kann und beweist mit Sprüchen wie „Du solltest echt mal wieder ins Fitnessstudio gehen“, dass es Formate gibt, die man sich anschauen kann und Formate, wo man es einfach lassen sollte. Klatschzeitschriften zeigen auf Seite 5 die Paparazzi Fotos von Stars mit Bildunterschriften wie: „Achtung, Cellulite Alarm!!! Fans machen sich Sorgen!! Lässt Star xy sich gehen???“ und geben auf Seite 6 Tipps, wie man zu mehr Selbstliebe findet. Und von den Prinzessinnen in den Märchen der Gebrüder Grimm lernen Frauen schon von klein auf, dass man primär schön sein muss, um dann vom Prinzen geheiratet zu werden. Ist man schön, aber schläft die ganze Zeit, wühlt sich der Prinz trotzdem für einen durch die Dornenhecke. Ist man schön, aber tot, erweckt dich der Prinz einfach mit einem Kuss zum Leben (ob man eine tote, unbekannte Person küssen sollte, ist wieder eine andere Debatte). Und auch die Froschkönigprinzessin, die charakterlich eher ein wenig schwierig ist, wird am Ende geheiratet, sie ist schließlich die schönste Tochter des Königs. Ihre Schwestern sind (natürlich) auch alle sehr schön, das ist aber das Einzige, was man über sie erfährt. Vielleicht sind diese Prinzessinnen auch mutig, intelligent, ziemlich witzig, können boxen, erschrecken ab und zu Wanderer im Wald, diskutieren über den Sinn der Monarchie oder schreiben wütende Gedichte, aber all das erfährt man nicht. Sie sind schön, das reicht.  

„Ja, das ist doch lange her“, ruft die Schönheit etwas empört. „Gebrüder Grimm, ich bitte dich.“

„Aber es ist doch immer noch so!“, sage ich „Wusstest du, dass es mittlerweile einen Begriff dafür gibt, dass man eine gestörte Köperwahrnehmung hat, weil man dauernd Gesichtsfilter auf Instagram und Snapchat benutzt?“

Snapchat-Dysmorphophobie ist der Begriff dafür. Vor allem Jugendliche benutzen diese Filter und sie sind es auch, die dann mit der Diskrepanz zwischen dem Filter-Ich und dem echten Ich nicht mehr klarkommen. Außerdem kommt es immer häufiger vor, dass Menschen Schönheitschirurg:innen mit dem Ziel aufsuchen, auf Selfies besser auszusehen. Die Ärztin Dagmar Pauli kommt zu dem Schluss, dass Schönheit immer mehr zu etwas wird, das man macht, nicht etwas, das man automatisch ist. Normschön geboren werden reicht nicht mehr aus, die Normschönheit muss konstant durch Diäten, Muskelaufbau, Kosmetikprodukte und ähnliches gehalten und optimiert werden.

Es gibt es auch Gegenbewegungen. Die Body-Positivity-Bewegung zum Beispiel mit dem Motto: „Alle Körper sind schön!“. Oder die Body-Neutrality-Bewegung. Diese hat zum Ziel, dem Körper und seinem Aussehen neutral gegenüberzustehen. Weder negativ noch positiv. Der Körper wird als Funktionsgegenstand verstanden und nicht als etwas, über dessen Aussehen man permanent nachdenken oder den man besonders toll finden muss.

„Hm“, sagt die Schönheit. „Aber es macht doch auch Spaß schön auszusehen.“

„Klar“, sage ich. „Aber es gibt doch so viel wichtigere Dinge!“

„Was denn?“, fragt die Schönheit.

„Zum Beispiel, dass man gesund ist. Physisch und psychisch. Oder dass man respektvoll mit anderen umgeht. Dass man sich Dinge traut. Dass man für Menschen da ist, die einen brauchen. Dass man etwas hat, was einem Spaß macht. Dass man sich für Dinge begeistern kann. Dass man Humor hat. Dass man träumen kann. Mir egal, such dir was aus!“

„Aber das eine schließt doch das andere nicht aus“, überlegt die Schönheit.

„Hm. Da hast du Recht“, sage ich. „Ich finde nur, der Fokus liegt falsch. Kennst du dieses Gedicht von Rupi Kaur?“

„Ich fürchte, du musst ein bisschen spezifischer werden“, sagt die Schönheit ein bisschen spöttisch.

„Na gut. Es geht so:

i want to apologize to all the women
i`ve called pretty
before i`ve called them intelligent or brave
i am sorry i made it sound as though
something as simple as what you`re born with
is the most you have to be proud of when your
spirit has crushed mountains
from now on i will say things like
you are resilient or you are extraordinary
not because i don`t think you`re pretty
but because you are so much more than that

“Das ist ein interessantes Gedicht“, sagt die Schönheit. „Aber fändest du es nicht schade, wenn man sich gar nicht mehr sagen darf, dass man sich schön findet?“

Ich finde nicht, dass man sich und andere nicht schön finden darf. Ich finde auch nicht, dass man keine Komplimente für das Aussehen einer Person machen darf. Ich finde aber, dass man sich ab und an klarmachen kann, dass jede:r Schönheit anders definiert. Und dass man auch andere Komplimente machen kann, Komplimente, die nicht an der Fassade kratzen, sondern die ein kleines Fenster bauen und durch sie hindurchschauen. Menschen sind mehr als ihre Hülle, mehr als ihr Körper, mehr als ihre Kleidung. 

“Warum geht es eigentlich immer nur um Menschen, wenn du über mich sprichst?“, fragt die Schönheit. „Du findest doch auch das Meer schön. Und Musik. Und den Mond.”

„Ja das stimmt“, sage ich. „Ich glaube, weil ich Menschen zutraue, mehr zu sein, als nur ihre äußere Hülle.“

„Der Mond kann auch mehr“, sagt die Schönheit. „Er kontrolliert Ebbe und Flut. Und das Meer ist überlebenswichtig für den Menschen. Sie sind viel mehr als nur die äußere Hülle.“

„Hm“, gebe ich kleinlaut zu. „Das weiß ich ja.“

„Aber sagst du es auch?“, fragt die Schönheit.

„Selten.“

„Vielleicht dürfen Dinge und Menschen auch einfach schön sein“, sagt die Schönheit. „Solange man nicht vergisst, dass es nur eine Hülle ist. Solange man genau so sehr sieht und wertschätzt, was sie noch ausmacht. Und man ihre Diversität annimmt und nicht alle in eine normierte Form, in ein Schönheitsideal zu pressen versucht.“

„Das hast du schön gesagt“, sage ich.

„Ist eine Berufskrankheit“, sagt die Schönheit.

Sie fragt nach Zucker und schüttet sich eine große Menge davon in die Tasse.

„Scheiß auf die Figur“, sagt sie und ext den Kaffee.

© Anne-Sophie Liehr

2 thoughts on “Diese Sache mit der Schönheit”

  1. Danke für diesen wundervollen Artikel!
    Meine beste Freundin hat ihn mir geschickt, weil wir uns vor kurzem über Körper und die unterschiedliche Bedeutung für jeden persönlich unterhalten haben.

    Es tut gut, dankbar zu sein, einen gesunden und schönen Körper zu haben, der einem ermöglicht, dieses wunderschöne Leben mit allen Sinnen zu genießen. Und umso mehr man die Schönheit in anderen und überall sieht, umso schöner findet man auch sich selbst. Ein Glückskreislauf. <3

    Liebe Grüße
    Kerstin

  2. Liebe anne sophie
    Ich fand deinen artikel ebenso geistreich wie unterhaltsam-und darin steckt eben die kunst ! würde mich freien wenn du eine kolumne draus machst….
    Liebe grüsse
    Konstantin

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