Keine Prima Ballerina

Als Tänzerin und Choreografin ist Diana Wöhrl ständigem Druck ausgesetzt: finanziell, körperlich, emotional. Doch etwas anderes zu machen, kommt nicht in Frage. Stattdessen verändert die 26-Jährige die Theaterszene mit ihren eigenen Projekten. Ein Porträt.

Diana Wöhrl, Choreografin für zeitgenössischen Tanz, bei einer Tanzprobe; Foto: Sade Mamedova

Es ist ein Februarnachmittag, draußen stürmt es. Die Äste der Birke vor den Fenstern des Industriegebäudes tanzen im Wind. Drinnen beugen die Tänzer:innen ihre Rücken, strecken ihre Beine, räkeln sich am Boden. Mal bewegen sie sich zu Technobeats, mal hört man nur ihren Atem und das Tappen ihrer Füße.

„Let’s do it one more time“, sagt Diana Wöhrl. „Seid vorsichtig, okay?”

„How does it feel?“

„It’s okay. Ich hab dich, lass dich fallen.“

Bei der neuen Hebefigur müssen alle mitanpacken. In 16 Tagen werden sie sie auf der Augsburger Brechtbühne präsentieren. Sieben Tänzer:innen, vier Wochen, zwei Shows.

Es ist ein straffer Zeitplan, den Diana Wöhrl vorgibt. Die Choreografin hat sich entschieden, die Probe ihres aktuellen Projektes kürzer zu halten, damit die Gagen stimmen. Für eine längere Probenzeit reichten die Fördergelder nicht aus. Und auf Einnahmen aus Ticketverkäufen kann man sich zurzeit nur schwer verlassen.

„Auch mit ausverkauften Theatersälen finanziert der Ticketverkauf nur einen Teil der Ausgaben“, sagt die Augsburgerin und schiebt sich ihre Beanie in den Nacken. Sie hangelte sich schon vor der Pandemie von Projekt zu Projekt, von Finanzierung zu Finanzierung. Noch einen Antrag stellen. Warten. Hoffen.

Doch Diana Wöhrl ist hartnäckig, das war sie schon immer. Denn seit sie sich entschieden hatte, Tänzerin zu werden, musste sie sich rechtfertigen. Zu schlecht, zu alt, zu dick. Kein Beruf, von dem man leben kann. Mit 16 Jahren begann sie gegen den Willen ihrer Familie mit ihrer Tanzausbildung an der Ballettakademie Payer, später studierte sie zeitgenössischen und klassischen Tanz in Wien. Heute arbeitet sie als freie Choreografin.

Wie kann man unter Druck kreativ sein? „Das ist nicht immer leicht,“ sagt sie. „Denn wenn du schon gefördert wirst, dann steigt der Druck nochmal, jetzt auch was Gutes abzuliefern.“ Außerdem sei der Kostenaufwand in der freien Szene größer als bei Projekten an Kunsthäusern. Trotzdem hat sich Diana Wöhrl dafür entschieden, in diesem Umfeld zu arbeiten. Einem Umfeld, das freier gestaltbar ist als die Strukturen, die in die Gewölbe renommierter Theater eingeschrieben sind.

Kunstschaffende berichteten in den letzten Jahren von rassistischer, sexistischer und homophober Diskriminierung und der Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie sich darüber beschwerten. An einigen Theatern, wie in Berlin oder Wien, wandten sich Betroffene dann doch an die Öffentlichkeit.

Cholerisches Geschrei und Wutausbrüche gelten mithin als Ausdruck des künstlerischen Genies. Da muss man eben durch, wenn man es zu was bringen will. Oder? „Das war schon immer so,“ sagt Diana Wöhrl. „Und das ist scheiße. Deshalb ändern wir das jetzt.“

„Das war gut! Jetzt schaut euch dabei noch an. Let’s go again.“

In diesem Tanzsaal, versteckt im Industriegebiet, abgeschirmt vom Februarwetter, wird Deutsch und Englisch gesprochen. Die Sprachen gehen fließend ineinander über, so wie die Bewegungen der Tänzer:innen. Die Menschen machen sich die Szenen zu eigen und die Choreografie passt sich ihnen an. Auch der Rollstuhl, auf den einer der Tänzer angewiesen ist, wird Teil der Darstellung. Er war unsicher, ob das hier gehe mit den Rädern, sagt Dergin „Stix“ Tokmak. Bisher hat er hauptsächlich Hip-Hop getanzt. Doch nur wenn man es ausprobiert, kann Neues entstehen.

Ivana Oršolić (Vordergrund) und Soleil Veronique Jean-Marain; Foto: Diana Wöhrl
Melanie López, in Bewegung mit Dergin "Stix" Tokmak; Foto: Diana Wöhrl

Das ist auch Thema des Projektes „Nimm Platz!“, sagt Dramaturgin Petra Bergmann. Die Künstler:innen möchten damit den Umgang mit Unbekanntem bearbeiten. Mit ihrem Stil erreichen sie nicht alle. Das sei aber auch nicht ihr Ziel, sagt Diana Wöhrl und steckt sich eine Zigarette an. Man sieht ihre tätowierten Arme dabei, ihre Fingernägel sind bunt lackiert.

Für sie ist der Prozess genauso wichtig wie das Outcome auf der Bühne. „Während meiner Ausbildung wurde mir gesagt, dass ich zu emotional bin“, sagt sie. Dabei wollten die Zuschauer:innen ja unbedingt Emotionen auf der Bühne sehen – im Probenraum sollten diese aber mit der Jacke auf den Haken gehängt werden. Bei ihren Projekten hören sich die Tänzer:innen dagegen nicht nur gegenseitig zu, sondern auch sich selbst.

„Tanzen ist ein Hochleistungssport. In der Ausbildung lernen wir aber nicht, gesund mit unseren Körpern umzugehen.“ Sie hätte auch selbst schon krank getanzt, trotz Verletzung wieder die Schläppchen angezogen. Damit verbunden sei immer der Druck, fit zu bleiben. Und Schönheitsideale zu erfüllen. „Als ich mit 17 vorgetanzt habe, wurde mir gesagt, mein Arsch sei zu dick. Ich hatte 49 Kilo. Und gar keinen Arsch. Wer sagt denn, wie eine Tänzerin auszusehen hat?“

Etwas anderes zu machen, das kommt für Diana Wöhrl jedoch nicht in Frage. Als sie in der Tanzakademie ihre Projekte nicht zeigen durfte, gründete sie zusammen mit Korbinian Grabmeier den Verein Choreoloop, um ihre Darstellungen auf andere Bühnen zu bringen. Um gesehen zu werden. „Nicht als Prima Ballerina“ scherzt sie und ahmt die Position einer Pirouette nach. Zu elitär. Ihre Choreografien sollen anders sein. Selbst Kinder würden doch schon hopsen, wenn sie Musik hören. Emotionen durch Bewegungen ausdrücken. Tanzen, wie die Birke im Wind.

„Nimm Platz!“ feiert am 15. und 16. März 2022 Premiere auf der brechtbühne im Gaswerk. Karten gibt es hier. Hier geht es zur Webseite des Vereins Choreoloop.

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