In Augsburg kein Schwangerschaftsabbruch möglich – Wie kann das sein?

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von presstige mit FragDenStaat und CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk setzt datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen um. Zusammen wurden mehr als 300 öffentliche Kliniken zu Abtreibungen befragt. Die Ergebnisse stehen in einer Datenbank mit weiteren Infos online unter correctiv.org/schwangerschaftsabbruch.

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In Deutschland finden jährlich etwa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche statt. In einer gemeinsamen Recherche von CORRECTIV.Lokal und FragDenStaat befragten Journalist:innen bundesweit öffentliche Krankenhäuser mit gynäkologischem Fachbereich zu Schwangerschaftsabbrüchen in ihrem Haus. Auch presstige beteiligte sich an der Recherche.  

Das Ergebnis: nur 57% der Kliniken gibt an, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Weniger als 40% der angefragten Krankenhäuser gibt auch an, Abtreibungen nach der Beratungsregelung, also auf Wunsch der Schwangeren, ohne medizinische Notwendigkeit oder infolge einer Vergewaltigung durchzuführen. Dabei gehen rund 96% aller Abbrüche auf die Beratungsregelung zurück.  

Die Versorgungslage ist schlecht, und in Bayern noch schlechter. Hier gaben nur 35 von 83 Kliniken an, überhaupt Abtreibungen durchzuführen, und nur eine von zehn gab an, Abbrüche nach der Beratungsregelung anzubieten. Von zwölf Kliniken fehlt die Auskunft. In Augsburg führt kein Krankenhaus mit gynäkologischer Abteilung Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung durch, weder das Universitätsklinikum noch das Josefinum. Auch im Umland (Wertachkliniken Bobingen und Wertachkliniken Schwabmünchen) besteht diese Möglichkeit nicht. Ebenso bietet auch kein:e niedergelassene:r Ärzt:in in Augsburg Schwangerschaftsabbrüche an. 

Da stellt sich unweigerlich die Frage: Wie kann es sein, dass es in der drittgrößten Stadt Bayerns keine Möglichkeit gibt, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen? Wir haben bei Behörden und Vertreter:innen der Politik nachgefragt. Doch zuerst…

Eine rechtliche Einordnung

Nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz sind die Länder verpflichtet, ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen. Doch was bedeutet eigentlich „ausreichend“?

Wir haben Prof. Michael Kubiciel, Direktor des Instituts für die gesamten Strafrechtswissenschaften an der Universität Augsburg, um eine rechtliche Einordnung gebeten: Seiner vorläufigen Einschätzung nach wäre „eine regionale Verfügbarkeit“ ausreichend, da sich die Pflicht, für ein ausreichendes Angebot zu sorgen, auf die Länder bezieht. Das heißt, selbst wenn einzelne Landkreise keine Möglichkeiten bieten, sei in Bayern als Ganzes die Versorgung gedeckt. 

Auch wenn eine bessere Versorgung wünschenswert wäre, sei es nach dem Verständnis von Prof. Kubiciel letztlich „eine autonome Entscheidung der Krankenhäuser und vor allem auch der Ärzt:innen“, ob Schwangerschaftsabbrüche nach Beratungsregelung angeboten werden. Denn laut dem Schwangerschaftskonfliktgesetz kann niemand verpflichtet werden, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, es sei denn die Gesundheit der schwangeren Person ist in Gefahr. 

Was die Verantwortlichen sagen

Das Bayerische Ministerium für Gesundheit und Pflege verwies auf „knapp hundert für Schwangerschaftsabbrüche zugelassene Einrichtungen in Bayern“, und dass aus ihrer Sicht damit ein ausreichendes Angebot vorhanden sei, räumt aber ein, dass ein Rückgang an zugelassenen Einrichtungen vernommen werde, weshalb das Ministerium in „einen ersten Austausch“ mit der Bayerischen Landesärztekammer und der Bayerischen Krankenhausgesellschaft getreten sei. Gleichzeitig weist das Ministerium darauf hin, dass es letztlich die Entscheidung einzelner Ärzt:innen sei, ob sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten oder nicht. Zu solchen verpflichtet werden, können sie laut Gesetz nicht.

Auf Anfrage beim Ausschuss für Gesundheit und Pflege im Bayerischen Landtag meldeten sich die Mitglieder der Parteien FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der SPD bei uns.

Dr. Dominik Spitzer, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, sieht die Versorgung in Augsburg als gedeckt an. Dabei bezieht er sich auf den Familienausschuss des Bundestages, der beschlossen hat, dass eine Versorgung als ausreichend zu sehen sei, wenn die Vornahme des Abbruchs von einer Schwangeren „keine über einen Tag hinausgehende Abwesenheit von ihrem Wohnort verlangt.“ Gleichzeitig sieht er den Rückgang von Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, als problematisch an. Zudem fehle eine Datenbasis zur aktuellen Bedarfsanalyse und -prognose von Angeboten, sagt der Abgeordnete. „Dies gilt es dringend zu ändern!“, fordert er.

Aus Sicht der sozialpolitischen Sprecherin der Grünen Kerstin Celina werden Schwangerschaftsabbrüche nicht als Teil der notwendigen medizinischen Versorgung gesehen, wie sie uns in einem schriftlichen Statement berichtet, sondern „eher als private Aufgabe einzelner Ärzt:innen, die bereit sind, sich trotz aller Anfeindungen auf das Thema einzulassen.“ Die Lage sei katastrophal, von flächendeckender wohnortnaher Versorgung kann keine Rede sein, so die Abgeordnete. Ihre Kollegin im Ausschuss, und ebenfalls Landtagsabgeordnete der Grünen, Christina Haubrich sagt auf Nachfrage: „In keinem anderen medizinischen Bereich würden wir eine solche Unterversorgung einfach hinnehmen – das sollten wir auch hier nicht.“ Den Grund für die schlechte Versorgungslage sieht die Abgeordnete neben den problematischen rechtlichen Rahmenbedingungen und der mangelnden Ausbildung von Ärzt:innen in diesem Bereich vor allem im Mangel an politischem Willen seitens der bayerischen Regierungsparteien.

Ähnlich sieht es auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Pflege im bayerischen Landtag, Ruth Waldmann. Die Abgeordnete spricht von „einer völlig gestrigen Blockadehaltung“ der CSU zu dem Thema. Diese mache Symbolpolitik, um sich als Beschützerin des ungeborenen Lebens zu inszenieren. Dabei gehe es hier um medizinische Grundversorgung, die gewährleistet werden müsse. München federe viel der Nachfrage in Bayern ab, dabei sei es nicht die Aufgabe der Stadt München, sondern des Landes Bayern. Auch gingen immer mehr Ärzt:innen in den Ruhestand und finden keine Nachfolge. „Was wird den Frauen denn dann übrig bleiben?“, empört sich die Abgeordnete im Gespräch am Telefon – „Sollen sie dann zum Engelmacher gehen?“ (Engelmacher:in ist eine Bezeichnung für eine Person, die illegale Abtreibungen vornimmt, Anm. d. Red.)

Abgeordnete der CSU, der Freien Wähler und der AfD im Ausschuss für Gesundheit und Pflege des Bayerischen Landtages gaben keine Stellungnahme ab.

In einem Beschluss des Bayerischen Landtages vom 24.06.2021 zur Gewährleistung eines ausreichenden Angebots ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen, der auf einen Antrag der SPD folgte, werden jedoch deren Positionen deutlich. Laut der CSU-Abgeordneten Barbara Becker gebe es derzeit keinen Mangel, zukünftig könne ein solcher jedoch nicht ausgeschlossen werden. Doch der gesetzliche Auftrag liege in der Sicherstellung innerhalb des Freistaates als Ganzes, und nicht etwa in einer flächendeckenden Versorgung. Die Hälfte aller Abbrüche in Bayern würden in München durchgeführt werden, was daran liegen könne, dass die Betroffenen die Anonymität schätzten, führt die Abgeordnete aus. Peter Bauer von den Freien Wählern schließt sich den Ausführungen der CSU-Politikerin an. Mit den Stimmen der CSU, Freien Wähler und AfD wird der Antrag abgelehnt.

Was in Augsburg passiert

In Augsburg wird immer wieder auf den Missstand hingewiesen. Bereits 2018 sprach die Stadtratskommission zur Gleichstellung von Frauen und Männern eine Empfehlung an den damaligen Oberbürgermeister und das Ordnungsreferat aus, die Versorgungssituation nach der Beratungsregelung zu gewährleisten. Die Kommission beklagt, dass Betroffene für einen Abbruch nach München reisen müssten, was mit zusätzlichen Risiken und Zeit- und Kostenaufwand einherginge. „Das führt insbesondere für alleinstehende Frauen, Frauen mit geringem Einkommen und Frauen mit weiteren kleinen Kindern, die versorgt werden müssen, oft zu einer großen zusätzlichen psychischen und finanziellen Belastung“, heißt es im Empfehlungsschreiben. 

Oberbürgermeisterin Eva Weber teilte auf schriftliche Anfrage hin mit, dass sich sowohl die Gleichstellungsstelle als auch das städtische Gesundheitsamt darum bemühten, die Versorgungssituation in Augsburg zu verbessern. Auch sei der Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums gebeten worden, die Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen nach der Beratungsregelung in das Leistungsspektrum zu prüfen. Das Universitätsklinikum wurde im Zuge der gemeinsamen Recherche ebenfalls angefragt und gab lediglich an, dass in ihrem Haus keine Abbrüche nach der Beratungsregelung durchgeführt werden, eine Begründung wurde nicht mitgeteilt.

Was getan werden muss

Claudia Eser-Schuberth (B’90/Grüne), dritte Bürgermeisterin von Friedberg, nennt die Situation „eine der letzten Bastionen, wie Männer versuchen, Herrschaft über Frauen zu erhalten“. Die Politikerin beschäftigt sich seit 25 Jahren mit dem Thema und werde das auch weiterhin tun. Sie kenne selbst einige Frauen, die eine Schwangerschaft abgebrochen haben, und sagt, leichtfertig gehe keine mit dem Thema um. Sie würden auch nicht jahrelang leiden: „Das Schuldgefühl wird ihnen eingeredet, es wird gesellschaftlich erwartet, und wenn man keines hat, ist man komplett unten durch.“ Sie würde keiner Frau ihr Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch absprechen, jede Frau müsse das für sich selbst entscheiden. Letztendlich gehe es darum, wie viel Recht auf Selbstbestimmung wir Frauen zugestehen.

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Auch ein niedergelassener Gynäkologe aus Bayern, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, um sich vor Anfeindungen von Abtreibungsgegner:innen zu schützen, sieht die Frage nach der Versorgungslage in Bayern letztlich als Teil einer feministischen Diskussion. Er selbst darf und würde gerne Abbrüche nach der Beratungsregelung anbieten, doch das Krankenhaus, in dem er als Belegarzt arbeitet, sowie das Fachpersonal, das bei einem Abbruch benötigt wird, sei dagegen. Die Verantwortung für die Versorgungslage sieht er in der bayerischen Staatsregierung: „Aus meiner Sicht ist das ein rein politisches Thema. Die Landesregierung hält das Thema klein, wir haben es hier mit einem CSU-spezifischen Problem zu tun.“ Es bräuchte eine offene Diskussion, einen gesellschaftlichen Wandel. „Die Frau soll selbst über ihren eigenen Körper entscheiden. Aber wir leben in einer Republik der weißen, alten Männer“, sagt der Arzt abschließend.

Marianne Weiß von pro familia Augsburg fordert, dass der Abbruch einer Schwangerschaft zur gynäkologischen Grundversorgung gehören müsse und in jeder Region, beispielsweise in Frauenarztpraxen und Kreiskrankenhäusern, angeboten werden sollte. Sie argumentiert mit dem Menschenrecht auf Zugang zu sicherer Empfängnisverhütung, Geburtshilfe und Schwangerschaftsabbruch. Schwangerschaftsabbrüche müssten wohnortnah und bezahlbar stattfinden können mit einer Wahl zwischen den Methoden. Zudem sei eine zügige Terminvergabe wichtig, denn zeitliche Verzögerungen durch den Versorgungsengpass können je nach der Schwangerschaftswoche, in der sich die schwangere Person befindet, gesundheitlich und rechtlich von Bedeutung werden. 

Die Abgeordneten des Ausschusses für Gesundheit und Pflege Haubrich und Waldmann fordern, dass im ersten Schritt alle Universitätskliniken Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung anbieten sollen. Immerhin hätte die Staatsregierung bei diesen auch eine Durchgriffsmöglichkeit, da sie dem Land direkt unterstehen, so Waldmann. Zudem wäre es wichtig, das Thema in der medizinischen Ausbildung stärker zu verankern, konstatieren sowohl Haubrich als auch der FDP-Politiker Spitzer.

Eine Schlussfolgerung

Unter die „knapp hundert Einrichtungen“ (wie oben erwähnt) listet das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege 20 „Krankenhäuser mit Bereitschaftsanzeige“, darunter werden öffentliche Kliniken mit der Fachrichtung „Gynäkologie und Geburtshilfe“ gefasst. Nur neun der angefragten Kliniken gaben jedoch an, Abbrüche nach der Beratungsregelung durchzuführen. Auf die Frage hin, wie sich das Ministerium die Diskrepanz erkläre, verwies die Sprecherin auf die Tatsache, dass darunter durchaus auch einzelne Krankenhäuser von privaten Träger:innen gefasst sein könnten. Gleichzeitig räumte sie ein, dass die Bereitschaftsanzeige „nur die formale, gesetzliche Voraussetzung um Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu dürfen“ bedeute. Das heißt, ob Abbrüche nach der Beratungsregelung tatsächlich auch angeboten werden, könne nicht aus der Liste abgelesen werden.

Es zeigt sich, dass der bayerische Staat seiner Pflicht, eine ausreichende Versorgung sicherzustellen, nicht selbstständig nachkommt, sondern die Entscheidung darüber, ob Abtreibungen nach der Beratungsregelung durchgeführt werden oder nicht, den Entscheidungsträger:innen der einzelnen Krankenhäuser und niedergelassenen Ärzt:innen überlässt. Damit überträgt er die Verantwortung für die medizinische Grundversorgung für Frauen nicht gewählten Individuen.

1 thought on “In Augsburg kein Schwangerschaftsabbruch möglich – Wie kann das sein?”

  1. ich habe nach dem beschluss zu 219a gestern mal interessehalber “abtreibung augsburg” gegoogelt (fun fact am rande: mein iphone kennt das wort “abtreibung” nicht, ich muss es ihm genauso buchstabieren wie ein schimpfwort) und auf diesen artikel gestoßen. er ist fucking (buchstabier) hervorragend, meine hochachtung den autorinnen. der ginge, so wie er ist, anstandslos für die zeit oder die süddeutsche durch!

    ich war selbst vor ein paar jahren bei presstige, deswegen freut mich das umso mehr. gute arbeit, alle achtung!

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