Augsburgs Abtreibungsgegner:innen – eine laute Minderheit

Der Augsburger Verein sundaysforlife tritt für ein grundsätzliches Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen ein. Die Aktivist:innen wollen “das verletzlichste Mitglied der Gesellschaft” schützen, gefährden damit aber die Gesundheit und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Abtreibungsgegner:innen sind in der Minderheit, doch sie sind gut vernetzt – auch politisch.

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von Presstige mit FragDenStaat und CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk setzt  datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen um. Zusammen wurden mehr als 300 öffentliche Kliniken zu Abtreibungen befragt. Die Ergebnisse stehen in einer Datenbank mit weiteren Infos online unter http://correctiv.org/schwangerschaftsabbruch.

Es ist ein Sonntag Vormittag, die Glocken des Perlachturms schlagen zweimal. Halb zwölf. Wie jeden Sonntag versammelt sich eine kleine Gruppe an Menschen vor dem Rathaus. Die Männer und Frauen haben ein großes Banner dabei und stemmen sich gegen den Wind, um es gerade zu halten. Sie sprechen die Vorbeilaufenden nicht an, sie stehen nur da mit ihren Schildern. Wartend, mahnend, hoffend?

Ein älteres Ehepaar beugt sich vor, um die Schrift auf einem der Plakate besser lesen zu können. “Gegen Abtreibung?” sagt die Frau stirnrunzelnd, “So ein Quatsch.” Sie gehen weiter, in dieselbe Richtung, aus der drei Geistliche, gehüllt in schwarze Roben, ihres Weges kommen. Sie nicken den Menschen hinter ihrem Banner im Vorbeigehen freundlich zu. Eine Gruppe junger Menschen überquert den Platz, schon aus der Ferne rufen sie ihnen “Pro Choice!” entgegen.

“Sundaysforlife” nennt sich die Gruppe, die die Versammlung vor dem Rathausplatz organisiert. Nicht nur hier trifft man auf die Abtreibungsgegner:innen. Beschäftigt man sich mit dem Thema Schwangerschaftsabbrüche in Augsburg, stößt man unweigerlich auch auf sie: auf Podiumsdiskussionen neben Vertreter:innen von pro familia, in Fernsehbeiträgen, in den Sozialen Medien. Sie sind in der Minderheit. Müssen wir trotzdem über sie berichten? Oder können wir vier Tage lang über Schwangerschaftsabbrüche schreiben, ohne uns Abtreibungsgegner:innen zu widmen? Welche Kritik möchte schwangere Menschen und Embryonen schützen? Und welche diskriminiert Frauen?

Die Mitglieder von sundaysforlife protestieren vor dem Rathaus gegen Abtreibungen © Franziska Riesinger

Eine Minderheit mit guten Verbindungen

Abtreibungsgegner:innen gibt es in ganz Deutschland. Insbesondere die Stiftung “JA ZUM LEBEN” unterstützt hierzulande “Institutionen, Vereine und Personen, die sich für das Recht auf Leben für alle von Beginn ihrer Existenz an einsetzen”, lautet es auf der Webseite der Stiftung. Auch die Abtreibungsgegner:innen aus Augsburg werden von dieser unterstützt. Sundaysforlife finanziere sich als gemeinnütziger Verein selbst durch Spenden und werde nur für einzelne Projekte von JA ZUM LEBEN unterstützt. Im Falle einer Vereinsauflösung sieht deren Satzung allerdings vor, dass deren gesamtes Vermögen der Stiftung JA ZUM LEBEN zufällt. Dabei finanziert diese auch homophobe und transfeindliche Initiativen, wie die FamilienAllianz; verbreitet Falschnachrichten, in denen sie die Gefährlichkeit illegaler Abtreibungen leugnet und die Daten der WHO als manipuliert bezeichnet; und pflegt Verbindungen ins rechte Spektrum, wobei sie nicht damit hadert, Menschen wie Christa Meves mit Sonderpreisen zu ehren, die durch Verbindungen ins rechtsextreme Spektrum auffallen.

Trotz ihrer guten Verbindungen, stellen radikale Abteribungsgegner:innen jedoch nur eine kleine Minderheit dar. Die meisten Deutschen sind der Meinung, dass es Frauen möglich sein sollte, ihre Schwangerschaft abzubrechen, wenn sie das möchten. 2016 fand das Marktforschungsinstitut “ipsos” heraus, dass 84% der Bevölkerung der Meinung war, dass Abtreibungen erlaubt sein sollten, wenn sich die Frau dafür entscheidet (50%) oder wenn bestimmte Umstände erfüllt seien (34%). Zwei Jahre später erhielt die “ALLBUS-Gruppe” eine 88%ige Zustimmung zu der Aussage “Frauen sollten selbst über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können.” Dabei stimmten 68% voll und weitere 20% eher zu. Aktiv gegen Abtreibungen vorgehen, das machen nur wenige, wie die Abtreibungsgegner:innen aus Augsburg.

Im Gespräch mit den Abtreibungsgegner:innen

Geht man auf die Männer und Frauen vor dem Rathaus zu, zeigen sie sich offen fürs Gespräch. Sie möchten ungeborenes Leben schützen, das für sie ab der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle beginnt. Ein Schwangerschaftsabbruch kommt für sie deshalb einer gezielten Tötung an einem Menschen gleich. 

“Allein in Deutschland fühlen sich jedes Jahr über 100.000 Frauen zu dieser Entscheidung genötigt,” ist auf der Webseite von sundaysforlife zu lesen. Oft würden Frauen zu einem Schwangerschaftsabbruch gedrängt, den viele von ihnen in ihrem späteren Leben bereuen würden. Die Studienlage zu diesem Thema belegt jedoch, dass die meisten Frauen langfristig gut mit ihrer Entscheidung klar kommen und keine negativen psychischen Folgen erleiden.

Passen Frauen, die sich selbstbestimmt dagegen entscheiden, (nochmal) Mutter zu werden, also einfach nicht in das Weltbild der Gruppe? Ist es einfacher, Übeltäter zu suchen, die der vermeintlich natürlichen Rolle der Frau im Weg stehen, als das eigene Frauenbild zu überdenken?

Im Gespräch mit uns behaupten die Abtreibungsgegner:innen, dass nicht jede Beratungsstelle alles tue, um die Schwangere in Not zu unterstützen und Alternativen aufzuzeigen. Damit würden einige Berater:innen ihrem vom Gesetzgeber vorgegebenen Auftrag nicht nachkommen. Auch würden oft wichtige Informationen verschwiegen, z.B. wie eine Abtreibung tatsächlich durchgeführt werde und welche Folgen eine Abtreibung haben kann. Im Dialog mit uns weist Frau Weiß von pro familia  diesen Vorwurf von sich: “Warum sollten Mitarbeiter:innen von uns für eine Abtreibung werben? Oder was haben wir davon, wenn jemand gegen seinen Willen ein Kind bekommt? Uns geht es sowohl um das Wohl des ungeborenen Kindes als auch um das Wohl der schwangeren Frau.”

Tatsächlich legte eine neue Umfrage von CORRECTIV.Lokal jedoch Missstände bei der Pflichtberatung in Deutschland offen. In dieser nicht-repräsentativen Befragung nahmen 1.297 Menschen teil, die in den letzten 15 Jahren selbst mindestens einen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen. Jede fünfte dieser Personen berichtete dabei von Problemen bei der Pflichtberatung. Die meisten dieser Betroffenen erzählten, dass die Berater:innen sie gedrängt hätten, die Schwangerschaft fortzuführen. Einige wenige fühlten sich dagegen zu einem Schwangerschaftsabbruch überredet. 

Vernetzungen ins rechte Spektrum und zur Kirche

Ein anderes Thema, auf das die Gruppe immer wieder zu sprechen kommt, ist der Film “Unplanned”. Einige reden sehr betroffen von der US-Amerikanischen Produktion, einem Propagandafilm gegen die Organisation “Planned Parenthood”, welche sich in den USA für Familienplanung einsetzt und unter anderem Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Der Film wurde von dem evangelikalen Studio “Pure Flix” veröffentlicht und von der Stiftung JA ZUM LEBEN ins Deutsche übersetzt. In mehreren Online-Vorführungen zeigte auch sundaysforlife den Film und diskutierte bei anschließenden Podiumsdiskussionen darüber. Neben Hubert Hüppe, Bundestagsabgeordneten der CDU, war dabei beispielsweise auch Birgit Kelle geladen. Die deutsche Publizistin arbeitete bereits mit der AfD zusammen, vertritt ein reaktionäres Frauenbild und äußert sich LQBTQ-feindlich, insbesondere immer wieder durch transfeindliche  Beiträge. Auf Nachfrage von presstige äußert sich sundaysforlife zu diesen Positonen und Verbindungen nicht, und betont stattdessen, dass sie Birgit Kelle eingeladen hätten, weil sie sich schon lange mit Abtreibung befasse, diese klar ablehne und sich sehr gut mit dem Thema auskenne.

Doch auch sonst finden sich Verbindungen ins rechte Spektrum. Wir erfahren, dass etwa ein Drittel der Anwesenden am Rathausplatz, die sich der offenen Versammlung angeschlossen haben, dem Verein “Aktion Lebensrecht für Alle” angehört, der nach eigenen Angaben größten Organisation gegen Abtreibungen in Deutschland mit rund 11.000 Mitgliedern. Die langjährige Vorsitzende des Regionalverbandes Martina Kempf in Freiburg war Gründerin der „Christen in der Alternative für Deutschland” und trat für die AfD als Direktkandidatin in der Bundestagswahl an.

Auf Nachfrage, ob es sich bei sundaysforlife um einen christlichen Verein handelt, verneinen die Anwesenden. Sie seien zwar gläubig, ihr Verein sei jedoch nicht per se christlich. Informiert man sich jedoch über die Vorstände, werden die Verbindungen zur Kirche deutlich: Der Vorstand Mathias Blum war als Missionar in Uganda tätig, wie die Augsburger Allgemeine berichtete. Heute ist er ehrenamtlich als Gremienmitglied im Bereich “Öffentlichkeitsarbeit” und “Glaubensweitergabe” des Pastoralrats der Pfarreiengemeinschaft Breitenthal, einem Verbund von 5 Pfarreien der Diözese Augsburg tätig. Eine der vehementesten Verfechter:innen im Gespräch, die uns ihren Namen nicht nennen will, gehört außerdem der evangelikalen Bewegung „charismatische Erneuerung”, einer konservativen, konfessionsübergreifenden Gemeinschaft an. 

Für ein grundsätzliches Verbot von Abtreibungen

Der Verein unterstützt jedes Bestreben, das die Anzahl von Abtreibungen reduziert. Die Mitglieder setzen sich deshalb für ein grundsätzliches Verbot von Abtreibungen ein, bestätigt Vorstand Andreas Düren per Mail. Eine Ausnahme für Schwangerschaftabbrüche nach medizinischer oder kriminologischer Indikation räumt er nicht ein. In einem Blogbeitrag schreibt sundaysforlife, dargestellt anhand der Auflistung mehrer Studien, dass Verbote die tatsächliche Anzahl von Abtreibungen reduzieren würden. Die aufgeführten Studien beschränken sich darauf, die Anzahl der durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche zu messen. Wie es aber den Frauen geht, die gar kein Kind bekommen wollten, aber aufgrund der Gesetzeslage keine Abtreibung durchführen lassen konnten, wird in den Studien nicht berücksichtigt. Außerdem stellen sie wissenschaftliche Erkenntnisse der WHO in Frage und verharmlosen die Gefährlichkeit illegal durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche für die Gesundheit von Frauen, indem sie diese nicht in die Argumentation miteinbeziehen. 

Und die Abtreibungsgegner:innen gehen auch aktiv gegen Ärzt:innen und Aktivist:innen vor, die sich für Schwangerschaftsabbrüche einsetzen:  Andreas Düren zeigte 2021 die Ärztin Alicia Baier an, die in einem Interview Informationen zu Abtreibungen gab. Das Verfahren gegen sie wurde eingestellt.

Der moderne Look der Webseite und die gut designten Plakate von sundaysforlife sollen den regressiven Ansichten einen zeitgemäßen jungen Anstrich verleihen. Blickt man jedoch hinter die Kulissen, verbergen sich dort die gleichen christlich konservativen Kräfte, die bis ins christlich-fundamentalistische und rechte Spektrum reichen. Die Abtreibungsgegner:innen aus Augsburg sind in der Minderheit, doch sie sind gut vernetzt – ihr Einfluss reicht bis in die Politik. Sie sollten nicht unterschätzt werden.

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