Vorhang auf – Was Augsburger Studierendentheater zu bieten haben

„Studenten und Theater, in Augsburg kein einfaches Thema“, sagt Klaus Vogelgsang, Theaterbeauftragter an der Universität Augsburg, in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen im November 2018. Dabei haben gerade Studierendentheater eine lange Tradition an der Universität Augsburg. Immer wieder gab es aktive Theatergruppen, die jährlich Stücke aufführten. Auch heute sind theaterbegeisterte Studierende aktiv.

Universitäre Theater in Augsburg: Die Anfänge

Bereits 1977 wurde mit dem Romanistentheater eine studentische Theatergruppe an der Universität Augsburg gegründet. Die Gruppe war nicht nur in Augsburg aktiv, sondern auch im In- und Ausland.  Das Romanistentheater gab Gastspiele in Berlin, Regensburg, Paris und Versailles. Die Gruppe inszenierte bis zu ihrer Auflösung 2006 insgesamt 34 Stücke.

Das englischsprachige AnglistenTheater wurde 1980 gegründet und ist immer noch aktiv. Damit ist das AnglistenTheater das älteste noch aktive studentische Theater Augsburgs. Neben klassischen Aufführungen wie „Macbeth“ oder „A Midsummer Night´s Dream“ von William Shakespeare werden auch moderne Romane wie „Electra“ von Nick Payne inszeniert. Pandemiebedingt pausierte die Gruppe in den letzten beiden Jahren, für den Sommer 2022 sind jedoch wieder Vorstellungen angekündigt. An drei Terminen im Mai und Juni inszeniert die Gruppe Stücke von Harold Pinter im Sensemble Theater.

So1Theater: Schauspielern kann jeder

Im Jahr 2015 gründete sich die Gruppe So1Theater als Teil des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA). Heute leiten Patricia Lang und Klaus Weber das Theater als Regisseur:innen. Mitmachen kann jeder. Klaus hat das Studium schon abgeschlossen. Die meisten Darsteller:innen seien aber Studierende aus unterschiedlichen Studiengänge. Jurist:innen und BWL-Studierende sind genauso vertreten wie die Sozialwissenschaften. Die abendlichen Proben und Aufführungen finden im Hörsaal II des C-Gebäudes am Campus der Universität Augsburg statt. „Als Studierende bekommen wir den Raum kostenlos“, sagt Klaus.

Wie die Stücke ausgewählt werden, hänge von der Besetzung des Theaters ab, sagt Klaus. „Dieses Semester haben Patricia und ich das Stück herausgesucht, weil wir so viele neue Darsteller haben. Wir mussten schauen, was wir dieses Semester machen können. Da war das logistisch einfacher, dass nur wir beide das entschieden haben“, sagt er. Im Juli 2022 wird die Gruppe den Krimi „Der Hund von Baskerville“ von „Sherlock Holmes“-Autor Arthur Conan Doyle vorführen.

Vier Wochen vor dem bayerischen Lockdown im März 2020 hat So1Theater ihr letztes Stück aufgeführt. Die Gruppe habe immer wieder Aufführungen verschieben müssen, das vorbereitete Theaterstück wurde verworfen, sagt Klaus. Trotz der pandemiebedingten Pause haben die Augsburger Studierenden großes Interesse, am Theater mitzuwirken. „Wir mussten einigen Leuten absagen“, berichtet er. „Ein paar Leute habe ich dann an Philip Bonaventura von Augsburg OnStage weitergeleitet.“ Die Gruppengröße sei immer von den zu besetzenden Rollen im Stück abhängig, erzählt Klaus. Auch an Zuschauer:innen mangelt es nicht. „Bei unserem letzten Stück Dantons Tod war der Hörsaal II komplett überbelegt“, erinnert sich Klaus. Über neue Schauspieler:innen freue er sich aber. Er sagt: „Die Quintessenz, die ich mitgeben möchte: Bei uns kann jeder mitmachen, egal ob er Erfahrung hat oder nicht. Theater kann jeder.“

Der Cast von So1Theater bei der Aufführung von "Dantons Tod" © Björn Petrak

"Kommt vorbei und füllt den Saal": Augsburg OnStage im Profil

Seit November 2021 gibt es Augsburg OnStage. Lucienne Springer arbeitet als Lehrerin und ist Darstellerin bei der Gruppe. Davor war sie bei So1Theater aktiv. „Während Corona ist die alte Gruppe ein bisschen eingeschlafen“, erzählt sie. Viele Darsteller:innen hätten zudem das Studium beendet. Regisseur Philipp Bonaventura ergänzt: „Die Idee war, nochmal etwas Neues aufzubauen und am Konzept zu feilen. So ist das Ganze entstanden.“ Geprobt wird an der Universität. Teil der Universität seien sie aber nicht, sagt Philipp: „Wir sind als studentische Initiative eingetragen. Wir finanzieren uns über den Ticketverkauf und teilweise über Sponsoring.“ Ein Großteil der Schaupieler:innen seien Studierende aus diversen Studiengängen, sagt er: „Wir stehen aber allen Leuten von 18 bis 35 Jahren offen.“ Zurzeit umfasse die Gruppe 20 bis 29 Mitglieder.

Die Stückauswahl solle dabei divers sein, sagt Lucienne. „Wir wechseln oft ab. Nächstes Semester wird was witzigeres kommen“, sagt sie. Geplant sei „Mord im Orientexpress von Agatha Christie, sagt Philipp. Auch bei Augsburg OnStage sucht die Regie die Stücke aus, achtet aber auch auf die Schaupieler:innen. „Wer Ideen während dem Probenprozess hat, kann und soll die unbedingt äußern“, sagt Philipp.

Lucienne erinnert sich an März 2020, als sie noch in der anderen Gruppe aktiv war. „Am Anfang waren wir noch in der Uni in einem Raum“, sagt Lucienne. „Irgendwann war es uns nicht mehr erlaubt, in der Uni zu spielen.“ Nach der Gründung von Augsburg OnStage hätten sie ihr erstes Stück in einem Pfarrsaal in der Augsburger Innenstadt inszeniert, sagt Philipp. „Zum Glück können wir wieder hier spielen.“ Die politisch Verantwortlichen kritisiert er: „Ich finde es sehr fragwürdig, wie mit Kunst und Kultur seitens des Staates während der Pandemie umgegangen wurde.“ Viele finanzielle Hilfen seien nie angekommen und Kulturschaffende seien als unwichtig angesehen worden, sagt Philipp. „Um die Kultur zu unterstützen, geht man am besten wieder ins Theater“. Damit könne sofort angefangen werden. „Diese Woche und am Wochenende kann man zu uns in unser Stück Terror kommen“, sagt er. Das Stück sei aktuell und spannend, sagt Philipp: „Den Ausgang des Stücks kann man als Einzelperson selbst mitbestimmen.“ Lucienne ergänzt mit einem Lachen: „Kommt vorbei und füllt den Saal.“

Die Besetzung von Augsburg OnStage © Augsburg OnStage

Theaterkritik: Terror von Ferdinand von Schirach

Derzeit führt Augsburg OnStage unter der Regie von Philipp Bonaventura das Stück „Terror“ vom Autor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach auf. Die Premiere war am Mittwoch, dem 4. Mai 2022. Es folgen Aufführungen am Freitag, dem 6. Mai, und am Samstag, dem 7. Mai 2022.

Im Stück geht es um ein von Terroristen gekapertes Flugzeug der Lufthansa, das in die voll besetzte Allianz-Arena in München gesteuert werden soll. Kampfpilot Lars Koch erhält den Befehl, nicht auf die Maschine zu schießen. Entgegen dieser Anweisung schießt er das Flugzeug ab. Dafür muss er sich vor Gericht für sein Handeln verantworten.

Das Bühnenbild ist schlicht gehalten. Genauso wie in einem echten Gerichtssaal. Die für das deutsche Gericht typischen Tische, Roben der Prozessbeteiligten und prominent platzierten Gesetzesbücher versetzen die Zuschauer:innen in eine strafrechtliche Verhandlung vor dem Schwurgericht. Da wundert es nur das geübte Auge, warum im Strafprozess zivilrechtliche Gesetzestexte benötigt werden. Am Einlass steht als Justizbeamter Julius Butze – jetzt wird es ernst. Dramatische Musik versetzt den Zuschauerraum ähnlich wie in Gerichtssendungen ins Geschehen. Regieassistentin Timea Harmat sorgt besonnen für den richtigen Einsatz der Technik. Die Prozessbeteiligten sitzen mit ernster Miene auf ihren Plätzen – immerhin geht es um möglichen Mord in 164 Fällen.

Die vorsitzende Richterin, dargestellt von Julia Winkler, führt nicht von der Bühne, sondern von der linken Treppe au,s in das Stück ein. Souverän führt sie die fiktive Verhandlung und durchbricht die vierte Wand, indem sie immer wieder Fragen an die Zuschauer:innen richtet. Auch der Angeklagte, gespielt von Matthias Kroh, wird vom rechten Rand aus auf die Bühne geführt. Schon diese eher ungewöhnliche Art der Einführung ins Stück sorgt für Aufmerksamkeit.

Matthias Kroh, der angeklagte Soldat, trägt Uniform. Seine Körperhaltung ist stramm. Die Klamotten sitzen. Der Haarschnitt ist kurz. So stellen sich die Zuschauer:innen einen Soldaten vor. Nur, wenn seine Rolle emotional wird, verliert der Angeklagte die Fassung und seine Körperhaltung. Ein einziges Mal entglitt dem Schauspieler ein kurzes Lächeln, wo es keins geben sollte. Eine gelungene Darstellung von Matthias Kroh.

Auch Philipp Bonaventura, der den Verteidiger darstellt, füllt seine Rolle als widerspenstiger Anwalt gut aus. Mimik, Gestik und Körperhaltung strahlen Ablehnung gegen die Staatsanwältin aus. Durch seine Art, den Sachverhalt darzustellen, bringt er das nötige Drama in die Vorführung ein. Am Anfang noch sehr in seiner Theaterstimme redend, spricht Philipp Bonaventura immer natürlicher und fesselt den Zuschauerraum.

Die Staatsanwältin, gespielt von Katja Blessing, ist so, wie sich der juristische Laie eine Staatsanwältin vorstellt. Vor allem durch ihr Plädoyer am Ende, in dem sie die Grenze zwischen Moralvorstellung und Recht zieht, blicken die Zuschauer:innen gespannt zu Katja Blessing auf. Ihre Rolle stößt die Diskussion an, die sich auch in die Pause hineinzieht: Wie hätten wir uns entschieden? Hat der Angeklagte sich richtig verhalten?

Sein Name sorgt für einen Lacher: Oberstleutnant Christoper Karl Lauterbach, der von Felix Krauß dargestellt wird, sagt als Zeuge aus. Nerdig, präzise Ausdrucksweise und Kurzhaarschnitt. So stellt Felix Krauß den Vorgesetzen des Angeklagten pointiert dar. Auch wenn er sich an manchen Stellen versprochen hat, störte das die schauspielerische Leistung nicht.

Ganz großes Theater hat Lucienne Springer gezeigt. Sie spielte die Nebenklägerin, deren Mann im vom Angeklagten abgeschossenen Flugzeug saß. Von Anfang an zeigte sie ein trauerndes Gesicht. Auch während andere Personen im Mittepunkt standen, reagierte sie wie eine trauernde Witwe. Augenbrauen hochziehen, Tränen wegwischen, fassungslose Blicke, wegdrehen vom Angeklagten. Lucienne Springer hat sich voll und ganz in ihre Rolle eingefunden. Während ihrem Hauptpart blicken die Zuschauer:innen gebannt auf die Schauspielerin.

Auch die Protokollführerin leistet gute Arbeit. Zwar hat die Darstellerin Emmilie Strauß kaum Redetext. Trotzdem trägt sie durch ihre Mimik, Kopfschütteln an den richtigen Stellen und dem ordnungsgemäßen Protokollführen zum Gesamteindruck bei. Einzig eins irritiert: Die Schauspielerin benutzt ein Notebook der Marke „Apple“. So etwas kennen deutsche Gerichte nicht – da sind Faxgeräte noch an der Tagesordnung.

Insgesamt verspricht Augsburg OnStage eine spannende Vorführung, bei der die Zuschauer:innen aktiv am Verlauf teilnehmen, indem sie Richter:innen spielen dürfen. 

Termine

Schreibe einen Kommentar