Mitbestimmen in der EU: Das European Citizens’ Panel in Brüssel

Presstige war in der EU-Kommission in Brüssel vor Ort, als 150 EU-Bürger:innen aus 27 Ländern ihre Verbesserungsvorschläge für das Bildungsprogramm Erasmus+ vortrugen. Wie funktioniert eine europäische Bürgerinitiative und viel wichtiger – kann sie überhaupt etwas bewegen?

Was bedeutet Demokratie? Die politischen Entscheidungen sollen den Mehrheitswillen der Bevölkerung abbilden. Das heißt: Alle dürfen mitentscheiden. Aber können die gewählten Politiker:innen überhaupt alle Bevölkerungsgruppen bei wichtigen Entscheidungen vertreten?

Mit den „Citizens‘ Panels“ möchte die Europäische Kommission das politische Leben in der Europäischen Union partizipativer gestalten und dadurch demokratische Prozesse fördern. Bei den europäischen Bürgerforen diskutieren verschiedene Menschen aus allen europäischen Mitgliedsstaaten darüber, wie wichtige gesellschaftsrelevante Themen in der EU verbessert werden können. Bei dem letzten European Citizens‘ Panel ging es um das Thema Lernmobilität und die Optimierung von Programmen wie Erasmus+. Presstige wurde von der Europäischen Kommission nach Brüssel eingeladen, um sich vor Ort ein Bild des Projekts zu machen.

(C) European Commission

Worum geht es bei den European Citizens’ Panels?

Per Zufallsprinzip bringt die Europäische Union ausgewählte Bürger:innen aus den 27 Mitgliedsstaaten zusammen, um auf europäischer Ebene über Themen zu diskutieren, die alle Bürger:innen in der EU betreffen. Die 150 ausgewählten Menschen sollen die Diversität in der Europäischen Union abbilden. Daher sollen in dem Bürgerforum Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtern, Alter, Bildungsstand und sozioökonomischen Hintergründen zusammentreffen. Durch verschiedene Auswahlprozesse möchte die EU-Kommission sicherstellen, dass die Diskussionsgruppen repräsentativ sind. Die Teilnehmenden werden dabei telefonisch von den Mitarbeitenden der Europäischen Kommission kontaktiert.

Diskutieren in 27 Sprachen: Wie funktioniert das?

An drei Wochenenden im März und April sind die 150 Teilnehmenden des Citizens Panel online und in der EU-Kommission in Brüssel zusammengekommen, um über die Lernmobilität in der EU zu diskutieren. In Kleingruppen haben sie Empfehlungen und Vorschläge entworfen, wie die Lernmobilität von Lernenden, Lehrkräften und Arbeitspersonal von einem Land ins andere erleichtert werden kann. Diskutiert wurde in der eigenen Muttersprache, die simultan von Dolmetscher:innen übersetzt wurde. Das allgemeine Ziel des Bürgerformus war es, die Lernmobilität in Europa für alle Menschen zugänglicher zu gestalten. Die Empfehlungen der Teilnehmenden werden in das Arbeitsprogramm der Kommission für 2023 einfließen.

(C) European Commission

Alle EU-Bürger:innen sollen an einer Lernmobilität teilnehmen können

Insgesamt haben die Teilnehmenden des Citizens‘ Panel 21 Empfehlungen zur Verbesserung der Lernmobilität in der EU ausgearbeitet. Das Gremium betonte dabei, wie wichtig es sei, das Bewusstsein für die Wahrnehmung von Erasmus+ und andere Förderprojekte weiter zu schärfen. Schließlich wissen viele Menschen nicht, dass es außer Erasmus+ auch viele andere Programme für Schüler:innen und Arbeitnehmende gibt. Zusätzlich soll die Teilnahme von Menschen mit geringeren finanziellen Möglichkeiten gefördert und die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für die Lernmobilität aufzeigt werden. Insgesamt haben die Teilnehmenden verschiedene Vorschläge abgegeben, um mehr Menschen eine Lernmobilität im Ausland möglich zu machen, egal aus welchem sozioökonomischen Hintergrund sie kommen.

Das sagen die Teilnehmenden zum European Citizens’ Panel

Bei der Abschlusssitzung des European Citizens‘ Panel zur Lernmobilität am 30. April 2023 waren auch einige deutsche Teilnehmer:innen dabei. Darunter auch der 18-jährige Abiturient Fritz Kamm aus Lübeck. Als ihn der Anruf aus Brüssel erreichte dachte er zunächst, es handle sich um einen schlechten Scherz. Obwohl er im Internet nicht viele Informationen zum Projekt der EU-Kommission gefunden hat, willigte er zur Teilnahme an dem Projekt ein. Bei den drei Sitzungen hat er versucht, sich mit seiner Meinung so gut wie es geht einzubringen: „Ich bin ein Fan von solchen Projekten und finde es schön, wenn Schüler so eine Möglichkeit bekommen. Das ist meiner Meinung nach eine unglaublich wertvolle Erfahrung .“

Die 18-jährige Schülerin Cilin Waked aus Duisburg hat durch die Teilnahme am Citizens‘ Panel gelernt, was es heißt, demokratische Entscheidungen in der Europäischen Union mitzugestalten: „Ich nehme mit, dass es ganz sinnvoll sein kann, sich mit so vielen verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Ländern zu treffen. Aber ich habe auch gesehen, dass es durchaus schwer sein kann, wenn man aus so unterschiedlichen Hintergründen kommt, sich auf eine Sache zu einigen. Es braucht sehr viel Arbeit, um Lösungen zu finden, die wirklich jeden befriedigen.“

Fritz Kamm aus Deutschland ist Teilnehmer beim
European Citizens’ Panel (C) Dietmar Klostermann

Mehr Diversität durch europäische Bürgerforen?

Am Ende der Abschlussveranstaltung des Citizens‘ Panel singen alle 150 Teilnehmenden aus den 27 EU-Ländern gemeinsam die EU-Hymne „Freude schöner Götterfunken“ – Jede:r in seiner eigenen Sprache. Die Atmosphäre ist herzlich und es ist deutlich, dass die Gruppenarbeit über die drei Wochen hinweg die Teilnehmenden zusammengeschweißt hat. Sie tauschen Telefonnummern aus und betonen, wie viel ihnen der interkulturelle Austausch bedeutet.

Neben der Harmonie, welche die gesamte Veranstaltung umgibt, stehen jedoch auch Fragen im Raum. Werden die Vorschläge der Bürger:innen wirklich etwas verändern können? Wer profitiert am Ende davon? Letztendlich bleibt auch die Frage offen: Wie divers war das Bürgerforum zur Lernmobilität wirklich? Wie viele People of Color haben teilgenommen, wie viele Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder geistigen Behinderungen durften ihre Perspektive teilen? Auf diese Fragen gibt das Organisationsteam keine konkreten Antworten. Es betont jedoch, dass sie das Feedback in die Konzeption der nächsten Citizens‘ Panels mit einfließen lassen. Der Konsens der Veranstaltung lautet daher: Es ist gar nicht so einfach, echte demokratische Entscheidungen zu treffen, welche die Wünsche und Perspektiven von Bürger:innen aus 27 Ländern miteinschließt. Noch wichtiger ist aber die Erkenntnis: Projekte wie diese braucht es, um die Europäische Union partizipativer zu gestalten.

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