Martin Kaufhold hat Germanistik und Geschichte studiert und ist seit 2003 Professor für Geschichte des Mittelalters in Augsburg.
Zusammen mit seinem Kollegen PD Dr. Mathias Kluge erstellte er den Podcast „Von Chlodwig bis Columbus“, der in jeder Folge ein Ereignis des Mittelalters erklärt und auch auf Spotify zu finden ist. Dieses Semester hielt er eine Vorlesung über das Christentum im Mittelalter, die ich mit Freude besucht habe. Kurz nach Ende der Vorlesungszeit habe ich ihn getroffen und wir haben über die Arbeit als Dozent, historisches Denken und bayrische Studierende, die sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen, gesprochen.
Presstige: Dann erstmal guten Tag, Herr Kaufhold, und vielen Dank, dass Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt haben. Als erste Frage etwas Positives für den Einstieg:
Was mögen Sie an Ihrem Beruf besonders?
Kaufhold: Mein Beruf gefällt mir nach wie vor sehr gut, da er die Verbindung ist aus einem fachlichen Interesse und der Zusammenarbeit und dem Kontakt mit Studierenden, der ein Privileg ist. Das Arbeiten mit jungen Leuten ist für Älterwerdende eine Chance und auch in der Regel sehr belebend.
Presstige: Sie haben mit Ihrem Kollegen Herrn Dr. Kluge einen Podcast über das Mittelalter gemacht. Da wollte ich Sie fragen, wo Sie die Stärken des Mediums Podcast sehen und ob ähnliche Projekte geplant sind?
Kaufhold: Ein Podcast, dessen muss man sich klar sein, ist sehr viel Arbeit. Aber der Versuch ist, dass man ein Publikum belehren und unterhalten möchte. Wir haben in jüngerer Zeit eine digitale Ausstellung über die Goldene Bulle gemacht, einen vierminütigen Animationsfilm für Lehrer und Schüler.
https://www.die-goldene-bulle.de
Presstige: Was sind die Vorteile von Historikerinnen und Historikern beim Betrachten des aktuellen politischen Geschehens?
Kaufhold: Erstaunlich viel Raum nimmt immer der augenblickliche Befund ein, aber der augenblickliche Befund ist eine vorübergehende Erscheinung. Was ich wirklich beunruhigend finde, ist das Fehlen historischer Dimensionen bei der Betrachtung des aktuellen Geschehens. Das erkennt man an vielen Fällen der letzten Zeit, bei denen man von Anfang sehen konnte, dass das Vorhaben scheitern muss. Das gilt sowohl für das G8, das schlicht schlecht gemacht war, wie aber auch für Boris Johnson, der in einer Weise Politik betrieben hat die für 2 Jahre funktionieren kann, aber sicher nicht langfristiger. Die meisten von uns werden noch die Folgen mitbekommen. Da ist die historische Perspektive eine Hilfe. Bei der historischen Perspektive sollte man sich klarmachen, wo etwas herkommt und auch wo etwas hingeht.
Presstige: Würden Sie sagen, es liegt an tatsächlichem Unwissen, Ignoranz oder fehlender Kompetenz, dass diese historische Perspektive ausgeblendet wird?
Kaufhold: Zum einen gibt es eine ungeheure Fülle an Informationen über die Gegenwart, das ist geradezu erdrückend. Es gibt eigentlich kaum Politikerinnen oder Politiker, die eine historische Perspektive haben. Vor 30 Jahren waren politische Interviews anders. Jetzt hat man den Eindruck, dass Interviews ein Kommentar zur aktuellen Meinungsumfrage sind. Das größere Problem dabei ist, dass viele nicht weiter über den aktuellen Befund hinausdenken.
Presstige: Eine Frage zum Nichtwissen: Gibt es Wissen oder Verständnisse, die sie Nicht-Historikerinnen und -Historikern mitgeben würden?
Kaufhold: Wir müssen uns Gedanken machen, wo die Gesellschaft sich hin entwickelt oder wo wir möchten, dass sie sich hin entwickelt. Da sollte man mit Rezepten arbeiten, die zukunftsfähig sind. Wenn man im Augenblick zum Beispiel sieht, dass in bayrischen Schulen mit dem Arbeiten mit IPads angefangen wird, während man lesen kann, dass in den Ländern, die damit früher begonnen haben wieder zurückrudern. Da muss man nicht besonders vorausschauend sein, um zu sehen, wohin sich das entwickelt. Das finde ich erstaunlich. Ich fände gut, wir würden mal nachdenken, wo wir hinwollen. Das geschieht zu wenig.
Presstige: Dann wollen wir mal weg von dem Allgemeinen und hin zur Uni und vielleicht zu einer etwas negativeren Frage: Welches Verhalten von Studierenden stört Sie oder können Sie überhaupt nicht nachvollziehen?
Kaufhold: Mir fehlt Verständnis für Studierende, die sich für ihr Fach nicht interessieren. Da tut sich ein Graben auf, den ich für nicht überbrückbar halte. Wenn man dieses Fach (Geschichte) studiert, muss man ein eigenständiges Bild von Geschichte gewinnen. Wenn man das nicht schafft, vertut man hier seine oder ihre Zeit. Desinteresse am Fach ist etwas, das verstehe ich nicht, bin aber auch festgelegt, dass ich das nicht verstehen möchte.
Presstige: Würden Sie sagen, es gibt Unterschiede von Lehramtstudierenden zu Bachelorstudierenden, auch bezogen auf das fehlende Interesse am Fach?
Kaufhold: Das würde ich nicht so sehen. In meinen Seminaren habe ich eine sehr positive Erfahrung. In allen Fällen gibt es sehr engagierte und interessierte Studierende. Was mir hier in Bayern auffällt, ist eine Haltung, die ich woanders noch nicht so erlebt habe. Dieses „Ich sage lieber nichts, bevor ich was falsches sage“. Und das muss irgendwo im Gymnasium passiert sein. Wir haben mehrere Jahre die Kinderuni gemacht, das heißt, universitäre Themen für Kinder im Grundschulalter vorbereiten. Und da hat man ein ungeheuer lebendiges Interesse gehabt. Irgendwo muss das untergangen sein, das muss in der Schule passiert sein. Wenn ich jetzt in einem Seminar sitze, kann es vorkommen, dass keiner die Hand hebt, und wenn man sie direkt fragt, sagen sie auch lieber nichts. Und wenn ich frage: „Warum sagen Sie jetzt nichts?“, kommt zum Teil die Antwort: „Weil ich nicht weiß, was sie wissen wollen“. Das ist die falscheste Antwort die eine Studentin oder ein Student geben kann.
Weil es kann ja nicht darum gehen, was ich wissen will, sondern was die Auffassung zu einer historischen Frage ist. Und die kann nicht davon abhängen, was der Professor dazu zu sagen hat.
Presstige: Sie sind ja seit 2003 an der Uni Augsburg, inwiefern hat sich das Klima an der Uni seitdem verändert? Anfang der 2000er stelle ich mir ein offeneres Diskussionsklima vor.
Kaufhold: Im Mittelalter sind die meisten Beteiligten bereits tot, deshalb spricht man jetzt auch nicht über lebende Gestalten und deren Perspektive. Da würde ich jetzt keine große Veränderung sehen. Man hat insgesamt eine Veränderung der Fachkultur mit diesem Sonderforschungsbereiche, ansonsten würde ich keine besonders große Veränderung sehen.
Presstige: Dann vielen Dank und eine schöne Vorlesungsfreie Zeit wünsche ich Ihnen. Haben Sie in den Semesterferien etwas Schönes geplant oder müssen Sie viel arbeiten?
Kaufhold: Ich muss ein Buch überarbeiten, das im Februar erscheinen soll. Insofern ist noch ein bisschen zu tun.
Presstige: Vielen Dank für das Interview!
Kaufhold: Danke für Ihr Interesse.