Sommer, Sonne, Semesterferien! Du suchst nach der perfekten Lektüre für den Sommer? In unserer Themenwoche stellen wir jeden Tag zwei spannende Bücher vor. An Tag drei wird es melancholisch mit dem englischen Klassiker “Good Morning, Midnight” von Jean Rhys. Humorvoll wird es dagegen mit “Marzahn mon amour – Geschichten einer Fußpflegerin” von Katja Oskamp.
Fast alle Texte für die Themenwoche “Sommer-Lesetipps entstanden im Rahmen des Workshops “Einstieg ins Journalistische Schreiben”. Dieser wurde vom Career Service der Universität Augsburg angeboten und von Lea Thies, der Leiterin von der Günter Holland Journalistenschule der Augsburger Allgemeinen, gehalten. Viele der Autorinnen sind deshalb nicht von presstige.
Jean Rhys: Good Morning, Midnight
Eine endlose Straße, in der die Straßenlaternen nur einen winzigen Kreis um sich herum beleuchten und Passanten immer tiefer in die Dunkelheit saugen, in der selbst seelenlose Häuser mit grauen Dächern sie abschätzig ansehen.
Heilung auf den dunklen Straßen finden
Die Atmosphäre von Good morning, midnight von Jean Rhys wird niemanden zum lauten Lachen bringen und nicht einmal ein winziges Lächeln hervorrufen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass das Funkeln aus den Augen flieht, sich die Augenbrauen zusammenziehen und man einen deutlichen Drang verspürt, das Buch für später wegzulegen und sich unter einer flauschigen Decke zu verstecken.
Die Hauptfigur des Romans, Sasha Jansen, kämpft mit den Erinnerungen an eine traumatische Vergangenheit, die fest an ihr klebt und sie nicht loslassen will. Sasha läuft ziellos durch Paris – eine Stadt, mit der sie untrennbar verbunden ist. Gleich zu Beginn der Erzählung wird klar, dass sie in Paris „alles verlor“ – sie trennte sich von ihrem Mann und erlebte den Tod ihres neugeborenen Kindes. Der ganze Roman ist ein Versuch, etwas zu überwinden, was unmöglich scheint, jemals vergessen zu werden.
In einer sich schnell entwickelnder Paranoia wird Sasha den Gedanken nicht los, dass sie auf der Straße nicht nur beobachtet wird, sondern dass sogar die Gebäude sie auf das Schärfste verurteilen. Die ziellose Beobachtung einer bereits vertrauten und doch so fremden Stadt wird zu einer Flucht vor den Monstern, die spüren können, wenn ein Mensch einsam ist, um ihn später „zu zermalmen und zu zerquetschen“.
Sasha kämpft um Erleichterung; um einen eigenen Ort und um die Sicherheit, die ihr vorenthalten wird. Sie bewegt sich nirgendshin und gleichzeitig durch die Straßen von Paris, ohne die Leser und Leserinnen dazu einzuladen, mit ihr zu kommen. Jeder, der diese Geschichte mit ihr erlebt, macht sich – brennend vor Mitgefühl und dem so menschlichen Wunsch, still für sie da zu sein – selbst auf den Weg, ihr zu folgen.
Einigen Lesern und Leserinnen wird der Roman zu düster, zu hoffnungslos erscheinen. Auch die Protagonistin mag Fragen aufwerfen, denn ihre Bewältigungsmethoden sind eher chaotisch und vollkommen unkontrolliert. Alkohol mischt sich mit Gesprächen mit Fremden und Veränderungen im Aussehen. Diese Art der Bewältigung könnte sogar zur Verurteilung führen, wenn man nur ihre Handlungen und nicht die Gründe für diese Handlungen betrachtet.
Good morning, midnight ruft bei mir einen Schwall von Gerechtigkeitsgefühlen hervor, der nur mit einer unaufhörlichen Regenwand vergleichbar ist. Der Drang, Sasha bei der Hand zu nehmen und zu sagen: „Du musst nicht weglaufen, deine Gefühle sind relevant und ich höre zu“, wird sich sicherlich bei vielen Menschen einstellen.
Nach dem Lesen – wenn die Gedanken nur noch mit Interpretationen des offenen Endes gefüllt sind – wird die Rückkehr in die Realität unwirklich erscheinen. Das Werk ist sowohl wegen dem gezeichneten, bitteren Bild eines schwarzen Loches, als auch wegen der endlosen Möglichkeit, selbst nach einer Antwort für das Ende zu suchen, unvorstellbar wertvoll und empfehlenswert zu lesen.
Rezension von Azaliia Sibgatullina.
Katja Oskamp: Marzahn, mon amour- Geschichten einer Fußpflegerin
Das Kind flügge, der Mann krank- eine erfolglose Berliner Schriftstellerin versucht ihrer aufkommenden Bitterkeit und gutgemeinten Ratschlägen von Freunden zu entfliehen und taucht ab.
Detailreich und mit lakonischem Witz beschreibt Katja Oskamp autobiografisch ihre zunächst heimliche Umschulung im „Fußpflegekurs A“ einer Charlottenburger Schule für Heilberufe und Kosmetik. Hier trifft die Mittvierzigerin auf andere Frauen, deren brüchigen Biografien neue Hoffnung gegeben werden soll. Nach erfolgreichem Bestehen der Prüfung zur Fußpflegerin findet die verkannte Autorin eine Anstellung in einem Kosmetikstudio in Marzahn. „Brille uff und ran anne Buletten”– hier kümmert sie sich um die malträtierten Füße der sogenannten Ureinwohner des Berliner Plattenbauviertels, deren Eigenheiten und ostdeutsche Biografien mit liebevollem Blick erzählt werden.
Die tragikomischen Portraits der 85-jährigen Frau Guse, die ihre fünf Kinder alleine großgezogen hat, dem krebskranken Herrn Paulke, der fidelen Frau Blumeier mit ihrem elektrischen Rollstuhl, die auf alles „wollt ick grade sagen” antwortet und weiteren Originalen des Viertels, die sich nicht unterkriegen lassen, driften durch unschlagbar trockenem Humor niemals in die Sentimentalität ab. Wer das Buch liest möchte gleich nach Marzahn fahren und sie alle kennenlernen. Hoffentlich sind sie noch da.
Rezension von Georgia Reinke-Stahl.