Italian Brainrot- ein popkulturelles Onlinephänomen zwischen Eskapismus und Onlinesucht

In der Ukraine herrscht Krieg, in den USA wird mit den Werten der Demokratie gespielt, und
der Klimawandel schreitet unaufhaltsam voran. Doch für viele junge Menschen scheint
derzeit etwas ganz anderes im Mittelpunkt zu stehen: Die Liebesaffäre von Ballerina
Capuccina und Tung Tung Tung Sahur – oder die Frage, warum Brr Brr Patapim von der
Polizei verhaftet wurde.

“Italian Brainrot”

Falls ihr euch jetzt fragt, was diese Namen bedeuten sollen, seid ihr vermutlich nicht viel auf
TikTok oder Instagram unterwegs. Denn genau dort kursieren aktuell KI-generierte Hybrid-
Fabelwesen, halb Tier, halb Gegenstand, mit skurrilen, pseudo-italienischen Namen
wie Bombardiro Crocodilo – zur Hälfte Krokodil, zur Hälfte Kampfjet – oder Trallalero
Trallala, ein Hai mit Nike-Schuhen.

Was zunächst mit Memes begann, entwickelt sich nun zu einem eigenen Kosmos: Mit
komplexen Geschichten, Liebesdramen, KI-generierten Songs und Tanzvideos. Besonders
beliebt: Ballerina Capuccina, eine elegante Tänzerin mit einer Kaffeetasse als Kopf. Das
alles fällt unter den Begriff „Italian Brainrot“ – ein Internetphänomen, das durch ironisch-
überzeichnete Italo-Ästhetik, absurde Charaktere und KI-Content besticht. Der Begriff
„Brainrot“ (zu Deutsch etwa „Hirnfäule“) nimmt die Absurdität und Sinnlosigkeit des Trends
schon im Namen selbst auf die Schippe.

Lustiger Unsinn oder bedenkliche Entwicklung?

So weit, so gut: Italian Brainrot ist ein Internetphänomen, das enorme Aufmerksamkeit
erreicht, eine Art Rückzugsmöglichkeit aus dem Alltag bietet – und trotzdem irgendwie auch
problematisch ist? Auf den ersten Blick wirkt Italian Brainrot einfach nur lustig: schräge,
überzeichnete Wesen, um die skurrile Geschichten gesponnen werden. Doch die schiere
Menge an Content wirkt spätestens dann bedenklich, wenn man tiefer in die TikTok-Welt
eintaucht. Schnell verbringt man unglaublich viel Zeit mit etwas so Absurdem und Sinnlosem.
Besonders bei einer vorwiegend sehr jungen Zielgruppe stellt sich – wie bei der Social-
Media-Nutzung generell – die Frage nach den langfristigen Folgen.
Der Begriff „Brainrot“ nimmt den eigenen Unsinn zwar ironisch auf
die Schippe, doch was dieser permanente Reiz-Content mit der Konzentrationsfähigkeit,
Aufmerksamkeitsspanne und dem psychischen Wohlbefinden von Kindern, Jugendlichen und
jungen Erwachsenen macht, wird zunehmend klarer. Studien zeigen: Aufmerksamkeit und
Konzentration nehmen ab, während ein Zusammenhang zwischen intensiver Social-Media-
Nutzung und depressiven Symptomen immer deutlicher erkennbar wird.

Ist eine solche Ladung von zeitaufwendigen und unendlich verfügbaren Nonsens damit das
Richtige? Oder ist es irgendwie auch egal, weil ohne „Italian Brainrot“ anderer Content den
Raum einnehmen würde?

Die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt

Die Frage ist auch, ob die junge Zielgruppe überhaupt in der Lage ist, zu abstrahieren, dass es
sich bei vielen Inhalten um Fiktion handelt – besonders dann, wenn plötzlich Donald Trump
oder Bernie Sanders mit KI-generierter Stimme Italian Brainrot-Charaktere in reale politische
Konflikte einbinden, etwa bei Angriffen auf Huthi-Rebellen im Jemen. Ist das moralisch noch
vertretbar? Hier zeigt sich das klassische Problem von KI-generierten Inhalten: Es gibt immer
Menschen, die nicht erkennen, dass etwas nicht echt ist. Zwar ist offensichtlich, dass wir uns
in einem absurden Paralleluniversum befinden – doch unter fast jedem KI-Clip finden sich
dennoch Kommentare, die ernst gemeinte Fragen stellen.
Noch bedenklicher wird es, wenn Privatpersonen beginnen, in einem „alternativen
Universum“ mithilfe fiktiver Charaktere ihre eigene politische Realität zu konstruieren – und
zu verbreiten. Wie stark das verfängt und junge Menschen möglicherweise unterbewusst in
ihrer Meinungsbildung beeinflusst, ist kaum abzuschätzen. Zwar handelt es sich dabei um
Nischen des Phänomens, doch wer einmal in dieser Bubble gelandet ist, bekommt vom
Algorithmus immer mehr davon serviert.

Fazit: Ein Mittelfinger mit Nebenwirkungen

Natürlich gab es schon deutlich gefährlichere Trends auf Social Media. Italian
Brainrot bleibt in erster Linie absurder Spaß – eine Art metaphorischer Mittelfinger der Gen
Z an die Absurdität der Welt. Doch bei all dem ironischen Nonsens schwingt auch eine
gewisse Verantwortung mit. Denn was als lustiger Zeitvertreib beginnt, kann schnell eine ernstere Dimension annehmen.

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