Kurt Gribl im Interview

„Ich bin ein Quereinsteiger, aber kein Quertreiber.“

Augsburgs neuer Oberbürgermeister Kurt Gribl spricht im Exklusiv – Interview mit presstige


Am 16. März hat Augsburg bei der OB-Stichwahl entschieden: In Zukunft wird Dr. Kurt Gribl die Geschicke der Stadt leiten. Der promovierte Jurist und Fachanwalt für Baurecht setzte sich deutlich gegen seinen Kontrahenten, den bisherigen Amtsinhaber Dr. Paul Wengert von der SPD durch. Gribl selbst war als parteiloser Kandidat für die CSU angetreten. Wenige Tage nach der Wahl und einen Monat vor Amtsantritt traf sich Gribl mit presstige an der Uni, um über seine politischen Ziele, das Verhältnis zwischen Stadt und Hochschulen und seine eigene Studentenzeit zu sprechen.

 

Von Jan Koenen und Michael Sentef

presstige: Vor wenigen Wochen wurden Sie gewählt, Ihre Amtszeit beginnt jedoch erst im Mai. Wie sieht denn derzeit Ihr Tagesablauf aus? Treffen Sie sich mit Ihrem Vorgänger und der lernt Sie an?

Kurt Gribl: Ganz falsche Vorstellung! Ich habe zwar gehört, es sei Tradition, dass der bisherige Amtsinhaber auf den neuen zukomme und ihm eine Gesprächsmöglichkeit anbiete, aber das hat bislang noch nicht stattgefunden. Das ist allerdings auch schwierig, da ich in meiner Kanzlei noch viele Angelegenheiten regeln muss. Insgesamt ist es ein ganz eigenartiges Stadium im Moment: Alle kommen schon mit ihren Anliegen auf mich zu, obwohl ich noch gar nicht im Amt bin.

 

presstige: Sie haben hier in Augsburg Jura studiert – wie war denn Ihr Studium?

Kurt Gribl: Ich habe noch schwerpunktmäßig in der Memminger Straße studiert, die Jura-Fakultät ist erst später rausgezogen, da war ich schon längst fertig. Trotzdem habe ich hier auf dem Campus einige Vorlesungen gehabt. Das war immer ein besonderes Erlebnis – da fühlte man sich richtig „universitär“.

 

presstige: Also sind sie ein Befürworter der Campus-Uni?

Kurt Gribl: Auf jeden Fall! Ich finde es wichtig, dass alles kompakt und eine abgeschlossene Einheit ist. Ein Nachteil des Standorts ist, dass das studentische Leben in der Innenstadt nicht so wahrgenommen wird. Da müsste man sehen, wie man dies noch mehr in die Stadt hinein tragen könnte.

 

presstige: Gibt es denn dazu schon konkrete Ideen?

Kurt Gribl: Ich will mit dem neuen Kulturreferenten Peter Grab einige Schritte weiter kommen. Er hat Erfahrung im Bereich Stadtmarketing und Kultur-Events. Zunächst muss man an der Bewusstseinsebene arbeiten, beispielsweise mit einer Imagekampagne der Hochschulen. Das ist so ähnlich wie im Wahlkampf: Man muss an seiner Bekanntheit arbeiten und den Menschen zeigen, mit wem sie es zu tun haben, um dann auf dieser Basis Inhalte aufzubauen.

 

presstige: Welches war Ihr schönstes Studien-Erlebnis?

Kurt Gribl: Das war gleich hier drin (deutet auf die Zentralbibliothek). Hier in der Universitäts-Bibliothek habe ich es genossen, mich in eine stille Ecke zurückzuziehen und dann einfach mal ganz für mich zu sein. Sich in Ruhe etwas zu erarbeiten – das ist etwas, was später im Leben eigentlich nie mehr möglich ist. Eine andere schöne Erinnerung ist für mich unser geregeltes Weißwurstessen unter Studenten in der Cafeteria. Was ich als Student ganz lustig fand, waren die Vorlesungen in der Mensa. Dort habe ich bei laufendem Geschirrband, während die Tabletts in die Küche fuhren, Strafrecht bei Professor Rüping gehört. Das war so 1986. Nur in der Mensa und im großen Hörsaal war zu dieser Zeit Platz für so viele Studenten.

 

presstige: Ihr ganzer Wahlkampf war sehr auf jugendlich getrimmt. Wir sind beispielsweise Freunde bei myspace. Meinen Sie, diese jugendliche Ansprache war vielleicht das Zünglein an der Waage?

Kurt Gribl: Ich denke, das war die Vielseitigkeit meines Wahlkampfs. Ich hatte eine gute Werbeagentur, die viele Sachen vorgeschlagen hat. Erfolgreich war der Mix, dieses Crossover-Marketing, denn man kann die Menschen nur in ihren eigenen Kreisen ansprechen, und da sind myspace oder auch xing eine gute Möglichkeit.

 

presstige: Verwunderlich, dass bei Ihrem 100 Punkte-Programm für den Wahlkampf die Hochschulen gar nicht aufgetaucht sind.

Kurt Gribl: Das liegt daran, dass diese 100 Punkte nicht die entscheidenden Themen sind, mit denen man die Geschicke Augsburgs für die nächsten 6, 12 oder 18 Jahre leiten kann. Diese sehr früh von mir entworfenen Punkte sollten vielmehr ein Vehikel sein, um mit den Menschen in Verbindung zu treten. Da ging’s um die kleinen Sorgen der Bürger. Das ist auch der Grund, warum die Uni hier nicht auftaucht. Ich wollte nicht die Sachaussagen machen, bei denen ich nicht selbst gestalten kann, sondern nur die Landespolitik.

 

presstige: Während des Wahlkampfes haben Sie sehr auf Bürgernähe gesetzt. Auch in der nahen Zukunft schenken Sie den Augsburgern Gehör, etwa wenn Sie im Mai in die KHG kommen. Befürchten Sie nicht, dass diese input-orientierte Haltung im Tagesgeschäft irgendwann untergeht?

Kurt Gribl: Die Sorge habe ich sicherlich. Bei der Zeiteinteilung sehe ich einen der wesentlichen Fehler der bisherigen Stadtregierung. Mein Amtsvorgänger war sicherlich sehr fleißig, viel unterwegs und hat alles Mögliche gemacht. Aber wenn ich sehe, dass ein Oberbürgermeister dann so nebenbei das Wirtschaftsressort in eigener Zuständigkeit leiten will, das dann nicht gelingt, aber gleichzeitig noch so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass für andere Themen weniger Platz bleibt, dann steht für mich fest, dass so ein wesentliches Ressort nicht im OB-Referat angesiedelt werden kann. Bei den Koalitionsverhandlungen habe ich Wert darauf gelegt, dass unser Wahlkampf-Motto „Näher am Menschen“ bei allen drei Bürgermeistern in Form von Bürgerkontakten auch im Referat seinen festen Platz erhält. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Bürgerversammlungen soll auch eine Art Sprechstunde eingerichtet werden.

 

presstige: Wie hätten Sie sich als Oberbürgermeister beim Thema Musikhochschule verhalten?

Kurt Gribl: Da hätte ich am 27. September 2007 von der Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, ein eigenständiges Bläserinstitut einzurichten. Das wäre eine Variante gewesen, die der Augsburger Politik genommen worden ist, weil sie dort nicht einmal zur Beschlussfassung eingereicht wurde. Ich bin überhaupt extrem enttäuscht von der gesamten Entwicklung um die Musikhochschule. Dinge wurden anders gestaltet als zuvor diskutiert. Man ist von einer Notlösung in die andere gestolpert. Der Tag, an dem ich mein Vertrauen verloren habe, war der 10. März 2007 – das weiß ich noch so genau, weil wir da unsere Listenaufstellung hatten und gleichzeitig die Bläser auf dem Rathausplatz demonstrierten. In den beiden Wochen zuvor war ich mehrfach in München bei Stoiber und Goppel gewesen. Wir hatten ein sinnvolles Konzept für die Musik in Augsburg erarbeitet, das dann übers Wochenende eine ganz andere Gestalt gefunden hat – da war ich schon ein bisschen enttäuscht. Ich spreche es durchaus offen an, wenn ich mit dem Input der Landespolitik nicht zufrieden bin.

 

presstige: Sie sind ja schließlich auch kein CSU-Mitglied, sondern als parteiloser Kandidat aufgestellt worden. Das Geld für den Wahlkampf ist aber sicherlich von der Partei gekommen. Wie ist es denn um Ihre Loyalität bestellt?

Kurt Gribl: Ich bin ein Quereinsteiger, aber kein Quertreiber! An der Loyalität darf es unabhängig vom Parteibuch keine Zweifel geben. Dies gilt, obwohl das Geld für den Wahlkampf nicht von der Partei kommt. Im Übrigen finde ich es gut, dass eine Initiative wie Pro Augsburg die Bedürfnisse der Bürger unmittelbar in die Politik einbringen will. Politik muss durchlässig sein und darf sich nicht mit Parteiprogrammen und festen Abläufen verselbständigen. Dennoch sind die institutionalisierten Parteien unverzichtbar: Sie sind der Garant für das Demokratieprinzip, für Kontinuität, Tradition und die Weitergabe von Erfahrung.

 

presstige: Könnte es sein, dass es angesichts des bayernweiten Trends eher ein Vorteil für Sie war, kein Mitglied der CSU zu sein?

Kurt Gribl: Das weiß ich nicht. Es war nicht einfach, das Vertrauen und den Rückhalt in der eigenen Partei zu bekommen – das musste ich mir erarbeiten. An dem Tag, an dem meine Kandidatur bekannt gegeben wurde, habe ich die klare Aussage gemacht: Ich werde der Partei beitreten. Nach der Wahl. Unabhängig davon, wie sie ausgeht. Wäre ich schon vorher Parteimitglied geworden, dann hätte ich innerhalb der Partei bei Null anfangen müssen. Ich habe schon darauf spekuliert, dass ich nach einem erfolgreichen Wahlkampf mit einem größeren politischen Gewicht in die Partei eintreten könnte und so eher die Möglichkeit hätte, auch Veränderungen und neue Denkprozesse in die Partei einzubringen. Mich in diesem Sinne als „Quertreiber“ zu bezeichnen, wäre eine Auszeichnung, denn das hat dann ja nichts mit meiner Loyalität zu tun, sondern vielmehr mit meinem Input in die Partei.

 

presstige: Was gefällt Ihnen gar nicht an Augsburg?

Kurt Gribl: (überlegt lange) Das etwas eingeschränkte Selbstbewusstsein der Augsburger vielleicht … Aber auch bei dieser Aussage würde ich nicht allzu sehr aus mir herausgehen, dafür bin ich viel zu sehr Augsburger (lacht).

 

presstige: Was empfehlen Sie einem jungen Menschen, der eine ähnlich steile Karriere hinlegen möchte wie Kurt Gribl? Gibt es da ein Geheimrezept?

Kurt Gribl: Als Student habe ich nicht daran gedacht, Oberbürgermeister zu werden. Man kann also nicht von einer geheimen Rezeptur sprechen. Viel Glück und Fügung sind mit dabei. Kurz vor dem Abitur wollte ich mit aller Kraft Tiermedizin studieren. Ich bin dann zur Juristerei gekommen, weil ich vergeblich meinen Studienplatz eingeklagt habe. Man muss so eine Fügung dann auch annehmen. Ich habe irgendwann einen Schnitt gemacht und war konsequent, indem ich gesagt habe: Das ist jetzt meine Entscheidung. Ich habe dann mit Freude das Studium durchgeführt und könnte es mir heute auch gar nicht anders vorstellen. Es gehört dazu, Situationen zu akzeptieren und nicht zu zaudern und zu klagen.

 

presstige: Was halten Sie von den Studiengebühren?

Kurt Gribl: Dass Studiengebühren von den meisten Studenten nicht gern gesehen werden, ist mir klar, da kann ich mich gut hineinversetzen. Vor allem vor dem Hintergrund der Chancengleichheit sind die Gebühren nicht gerechtfertigt. Es gibt ja ohnehin schon eine Menge Kriterien, die zu einer gewissen Selektion führen, die aber objektiv begründet und mehr auf das Fachliche bezogen sind und nicht von der persönlichen wirtschaftlichen Situation abhängen. Die Studiengebühren sollen ja wohl unter anderem verhindern, dass das Studienangebot missbraucht wird. Diesen Missbrauch könnte man aber auch durch andere Mechanismen verhindern, etwa durch Leistungskontrolle statt durch monetäre Anforderungen.

 

presstige: Immerhin könnte man den Studiengebühren zugute halten, dass sie für einen Dienstleistungsgedanken sorgen, der im Sinne der Studenten ist.

Kurt Gribl: Das lässt sich auch anders erreichen. Diesen Charakter könnte ich ebenso gut durch Vorgaben in der Universitätsstruktur verankern. Studiengebühren sind in meinen Augen zur Erreichung der zu ihrer Begründung genannten Zwecke nicht die Ultima Ratio.

 

presstige: Noch eine Frage zur Tagespolitik: Was halten Sie vom Rauchverbot und dessen strenger Durchsetzung? Hätten Sie es auch so gemacht?

Kurt Gribl: Ich hätte es richtig gefunden, wenn man von Anfang an das Wagnis eingegangen wäre, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, bei denen man stärker differenziert hätte. Nichts anderes passiert ja jetzt wieder. Nun ist man dabei, das Paket aufzuschnüren und mit Ausnahmen und Übergangsregelungen zu arbeiten. Das trägt nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit bei. Zur Durchsetzung: Natürlich muss der Gesetzesvollzug in erster Linie funktionieren. Aber er muss in gewisser Weise auch noch sympathisch sein. Das ist ja das gleiche wie beim Parkzettel und der Verkehrsüberwachung. Natürlich brauchen wir Regeln, aber die Frage ist: Wie viele Freiheiten gestehen wir zu und wo ziehen wir die Linie, um auch noch bürgernah und sympathisch zu bleiben? Eine gewisse Gelassenheit nach dem bayerischen Motto „leben und leben lassen“ gehört dazu.

 

presstige: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Kurt Gribl: Am liebsten in der zweiten Amtsperiode.

 

presstige: Und in zwölfeinhalb Jahren?

Kurt Gribl: So weit will ich nicht vorgreifen. Angenommen, meine Politik ist bis dahin noch akzeptiert, könnte ich mir vorstellen, auch ein drittes Mal anzutreten. In Sachen Lebenserwartung dürfte das dann ja noch möglich sein …

 

presstige: Und wo sehen Sie Augsburg in zwölf Jahren?

Kurt Gribl: Ich denke, dass sich die Augsburger Wirtschaft im Bereich der Zukunftstechnologien in den kommenden sechs Jahren stark entwickeln wird. Zum anderen: Ich hoffe, dass wir dann ein sympathisches Augsburg haben, in dem sich die Bürger wohl fühlen. Dass die Bürger fest

stellen, dass der neue Politikstil nicht über ihre Köpfe hin-weg geht, sondern sie einbindet – auch wenn man es nicht jedem recht gemacht haben kann. Aber wenn ich die Leute einbinde, denen ich es nicht recht machen kann, dann habe ich zumindest eine höhere Chance auf Akzeptanz.

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