Guck’ mal, wer da klingelt

Die Suche nach der Wohlfühl-WG. Oder: Zwischen Ernüchterung und Hoffnung – auf beiden Seiten der Tür

Sich türmende Geschirrstapel. Kaputte Waschmaschinen. Putzpläne, die sowieso nur existieren, um sich nicht daran halten zu müssen. Aber nicht nur das erwartet einen bei der WG-Suche, sondern auch die erwartungsvolle Spannung, bevor die Tür aufgeht und man erstmals auf den Bewerber beziehungsweise die potenziellen Mitbewohner trifft. Dabei kann schon der erste Eindruck entscheidend sein.

 

Von Lisa Hartmann – Fotos: Judica Klinger

Immer wieder wandert der Blick auf die Küchenuhr: Zehn vor Neun. Fünf vor Neun. Neun. Kurz nach. Die Betten sind gemacht, die Wohnung aufgeräumt. Alles wartet auf den Bewerber, doch der lässt sich bislang Zeit. „Besser, als wenn sie vor lauter Aufregung schon immer zehn Minuten zu früh auftauchen“, so Svenja, die gemeinsam mit ihrer Mitbewohnerin Martina auf der Suche nach einem neuen WG-Mitglied ist. Dann endlich das lang ersehnte Klingeln. Svenja springt auf, eilt zur Tür. „Hallo.“ Ein leises Raunen zur Antwort und schon betritt Matteo die Küche, dicht gefolgt von Svenja und deren Blick, der bereits Bände spricht

Sind stille Wasser tief?

Matteo wirkt sportlich, seine Kleidung, als wäre es ihm nicht gerade egal, wie er das Haus verlässt. An und für sich nicht schlecht aussehend – wäre da nur nicht das permanente Fehlen auch nur eines Anfluges von einem Lächeln. Er gibt allen die Hand, bleibt etwas unsicher stehen und schweigt. „Willst du dir vielleicht erst mal das Zimmer anschauen, das wir vermieten?“ Nicken. So recht will der Gesprächsfunke noch immer nicht überspringen – obwohl sich die beiden Mädchen Mühe geben: „Und – wie gefällt’s dir?“ – „Ja.“ Aha. Matteo bleibt stehen und klopft mit den Fingern einen Takt auf dem Türrahmen: Tick tock. Tick tick tock. Sonst aber bleibt es unangenehm still in der Wohnung.

Kein wirklich rund verlaufendes WG-Casting. Manchmal zeigt sich eben schon recht schnell, ob hier der passende Deckel zum Topf vor der Türe steht oder auch nicht. Deshalb ist gerade an den Moment kurz nach dem Klingeln die größte Erwartung geknüpft: Die Tür öffnet sich und endlich erhält die vom Telefon her bekannte Stimme ein Gesicht. Dabei ist die Palette potenzieller Möglichkeiten groß und reicht – um mal ein paar Klischees abzuklappern – vom Neo-Hippie über den durchgestylten Business-Typen bis hin zum freundlichen Informatik-Studenten mit Nerd-Brille. Ebenso spannend ist es aber auch für den Bewerber, sich endlich ein Bild von der WG und den Bewohnern machen zu können.

Die Qual der Wahl

Ortswechsel. Statt leisem „Tick tock“ ist in Chrissys Zimmer das Radio zu hören und ein riesiger Klamottenberg zu sehen. Auch Chrissy ist auf der Suche nach einer WG. Daheim bei ihren Eltern hat sie lange genug gewohnt und es reizt sie, in die Stadt zu ziehen, „mal mehr unter Leute zu kommen“.

Da der erste Eindruck beim WG-Casting zählt, spielt für Chrissy auch das Styling eine nicht ganz unwesentliche Rolle: Wirkt die weiße Bluse zu seriös? Das schwarze Paillettentop zu tussig? Ein Kleidungsstück nach dem anderen landet auf dem Klamottenberg, der zusehends wächst. Daneben hat sich auch ein zweiter Haufen mit möglicherweise WG-Casting-kompatiblen Stücken gebildet, den Chrissy noch einmal eingehender untersucht. Schließlich entscheidet sie sich für ein dunkelblaues T-Shirt und Jeans. Sportlich-schick geht es zum Bahnhof, anschließend mit der Straßenbahn weiter. Um auch ja rechtzeitig da zu sein und eventuelle Zugverspätungen einzuplanen, fährt sie extra eine Stunde früher los, als es nötig gewesen wäre, und verbringt den Rest der Zeit lesend auf einer Bank. „Zu überpünktlich da zu sein, macht sicher auch keinen guten Eindruck.“

Dann aber ist es endlich soweit, Chrissy klingelt an der Tür, durch die sie möglicherweise schon bald tagtäglich ein und aus gehen wird. Leicht nervös tänzelt sie von einem Bein auf das andere – noch ein letztes Mal tief durchatmen – und schon wird die Türe aufgerissen und ein braungebrannter Hüne von gefühlten drei Metern Größe begrüßt Chrissy mit einem lässigen Handschlag.

Stimmt die Chemie?

Im Inneren der geräumigen Wohnung lernt sie auch die anderen Mitbewohner kennen: Allesamt freundlich und zuvorkommend, nur in Sachen Humor zeichnet sich schon sehr schnell eine gewisse Diskrepanz ab: „Willst erstmal einen durchziehen? Natürlich nur Spaß!“ Aha. Haha. Chrissy kann sich nur ein nervöses Lachen abringen. Es wird im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht das einzige bleiben.

Man spricht über das Studium, den früheren Wohnort, Hobbies und nicht zuletzt darüber, was sich jeder vom Zusammenleben in der WG erwartet, wobei deutlich wird, dass hier völlig verschiedene Vorstellungen aufeinander treffen. Eine ernüchternde Erkenntnis, aber schließlich hätte auf Dauer niemand etwas von einem disharmonischen Miteinander. Aus genau diesem Grund ist das erste Gespräch auch so entscheidend – schwimmt man auf einer Wellenlänge? Stimmt die Chemie? Erscheint es vorstellbar, diesen Personen auch völlig verschlafen nach einer durchzechten Nacht in der Küche zu begegnen? Im Fall von Chrissy scheinbar nicht.

Und auch die WG um Svenja hat sich schnell entschieden. Das fehlende Gespräch mit Matteo hat sie nicht gerade von ihm überzeugt. Oft scheint es zwar auf den ersten Blick so, als hätte nur der Bewerber etwas zu verlieren – die bereits festen Mitglieder einer Wohngemeinschaft gehen aber ebenfalls mit gewissen Hoffnungen in jedes neue Gespräch. Daher kann ein schlecht gelaufenes für sie neben neuem Gesprächsstoff auch Ernüchterung bedeuten, wie hier im Falle von Svenja und Martina. Sie haben sich schließlich – was nicht allzu sehr verwundern dürfte – gegen Matteo ausgesprochen. Stattdessen wird Sebastian einziehen, der als Vierter die WG besichtigt hat. Anders als Matteo kam er sofort mit den beiden Mädels ins Gespräch und machte einen selbstständigen Eindruck, ganz so „wie jemand, dem man nicht erst das Abspülen beibringen muss“. Gemeinsam setzten sie sich in die Küche, tranken ein Bier und waren sich schnell einig – das ist er, der richtige Mitbewohner.

Chrissy dagegen wurde nicht ganz so schnell fündig. Noch zehn weitere WGs musste sie besuchen, bevor es auch bei ihr funkte. Wichtig waren ihr vor allem ähnliche Interessen und Hobbies sowie eine helle, freundliche Wohnung. Das alles gepaart fand Chrissy schließlich in WG Nummer Elf, aber wie heißt es doch so schön: Manchmal muss man viele Frösche küssen, bevor der Richtige dabei ist.

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