Arbeiten im Reich der Mitte – Praktikum bei Siemens in Peking

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Eigentlich sollte es für Herbert M. in die USA gehen. Doch dann erfuhr er durch eine Freundin  von einer Praktikumsstelle bei Siemens in Peking. Vier Monate auf Chinesisch arbeiten und leben. Trotz fremder Schrift, respektlosen Europäern und großen Mengen Feinstaub war das Praktikum für Herbert eine sehr wertvolle Erfahrung.

Von Daniela Steffl – Fotos: privat

„Der große Kulturschock blieb aus“, erinnert sich Herbert, der im neunten Semester Finance and Information Management (FIM) an der Uni Augsburg studiert. Trotz der fremden Kultur und der unverständlichen Schrift fand sich Herbert in der westlich anmutenden Großstadt Peking schnell zurecht. Und auch die Schwierigkeiten bei den ersten Busfahrten – wie erwerbe ich ein Ticket auf Chinesisch? – erledigten sich von allein, denn Herbert kaufte sich ein Fahrrad. Während seines Praktikums wohnte Herbert zusammen mit vielen anderen Praktikanten in einem Apartmentgebäude nahe dem Kunstbezirk „798“ in Peking. Doch auch wenn sich sein Geist schnell an die neue Situation gewöhnt hatte, sein Körper litt. Schon nach wenigen Schritten auf der Straße kratzte der Hals. Herbert machte die hohe Umweltbelastung zu schaffen.

Die Unterschiede gehen weiter

Bereits nach wenigen Tagen bei Siemens stellte Herbert fest, dass die chinesische Arbeitsweise ganz anders ist als die deutsche. Die Chinesen erwarten für jede Aufgabe klare Anweisungen vom Chef. Und auch das Zeitmanagement sieht anders aus. „Die Mittagspause ist um Punkt zwölf Uhr, komme was da wolle.“ Ansonsten hatten er und seine Kollegen ähnliche Arbeitszeiten wie in Deutschland, von 8.30 bis 18 Uhr.
Im Managementzentrum war Herbert in der Abteilung für Risikomanagement und interne Steuerung beschäftigt. Dabei kümmerte er sich um die Pflege, Erweiterung und Verbesserung eines Servers, der internationale Regeln für Betriebsabläufe bei Siemens für den Bereich Nord-Ost-Asien verwaltet. Zusätzlich arbeitete er im Projektmanagement mit, das verschiedene operative Arbeitsabläufe bei Siemens verbessern soll. Dabei hatte er neben wenigen Ausnahmen chinesische Kollegen, mit denen er auf Englisch kommunizierte. Das war allerdings alles andere als einfach, hört sich doch chinesisch ausgesprochenes Englisch für deutsche Ohren sehr exotisch an.
Die Not mit dem lieben Geld blieb aber auch in Peking bestehen, da die Löhne dort nicht mit deutschen Standards vergleichbar sind. „Das Leben ist aber auf jeden Fall viel billiger“, weiß Herbert. „Man isst im Restaurant für drei oder vier Euro sehr gut“, erzählt er. Doch trotz der angenehmen Preise gibt er schmunzelnd zu, dass ihm sein Lohn durch das viele Reisen fast nie ausgereicht hat.

Von den „Westlern“ enttäuscht

Nach einigen Wochen im Reich der Mitte und um einige Lebenserfahrungen reicher schämte sich Herbert immer mehr für andere Europäer oder Amerikaner. Offenbar steige manchen die ausgesprochene Höflichkeit und Hofierung der Chinesen zu Kopf, die Herbert selbst meist als sehr unangenehm empfand. Besonders negativ im Gedächtnis blieb ihm der Umgang mancher europäischen Männer mit chinesischen Frauen in Bars oder Clubs, die von ihnen oft wie eine Ware behandelt werden.

Andenken aus China

Herbert nimmt aus der Zeit in China vor allem eines mit: Die vielen verschiedenen Denkweisen, die er kennengelernt hat, haben seinen Horizont extrem erweitert. Besonders im Umgang mit seinen chinesischen Kollegen hat er gemerkt, dass ein respektvoller und aufgeschlossener Umgang auch in fremden Kulturen mit positiven Reaktionen belohnt wird. Denn seine Kollegen machten große Augen, als Herbert ihnen nach regelmäßigem Sprachkurs auf Chinesisch antwortete. Zum anderen hat das Land auf Herbert einen viel positiveren Eindruck gemacht als es in westlichen Medien meist dargestellt wird. Da verwundert es nicht, dass er über das chinesische Essen genauso schwärmt wie über die Menschen. Einzig die Überwachung des Internets schränkte Herbert jeden Tag aufs Neue ein.

Offene und herzliche Chinesen

„Ich war besonders beeindruckt von der Herzlichkeit und Offenheit der Menschen dort“, erzählt Herbert. Egal ob im Büro oder auf der Straße, überall interessierten sich seine Gegenüber für die deutsche Kultur und Lebensweise. Vorbehalte oder gar Ablehnung– Fehlanzeige. Auch zu seinen Kollegen und vor allem zu seinem Chef, der sich sehr viel Zeit für intensive Gespräche mit ihm nahm, pflegte er ein sehr gutes Verhältnis. Das machte den Abschied Anfang Dezember sehr schwer. An seinem letzten Tag umarmte ihn sogar sein chinesischer Betreuer– eine höchst seltene Geste in China, die ihn sehr überraschte.
Herbert ist sich sicher. Er würde ein solches Praktikum sofort wieder machen und erklärt warum: „Die unglaublich vielfältige Kultur, der Respekt untereinander und die Neugier der Menschen hat mich am meisten beeindruckt und haben das Praktikum zu etwas Besonderem gemacht.“

 

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