„Das sind Feuilleton-Gespenster“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Werner Schneider über Generationen und warum wir keine mehr sind

Generation Praktikum, Generation Y, Net Generation – für unsere Altersgruppe geistern viele Bezeichnungen durch Presse und Bestseller. Doch was ist dran an diesen Zuordnungen? Prof. Dr. Werner Schneider, der an der Universität Augsburg eine Professur für Soziologie innehat, erklärt presstige, warum Generationen heute auch nicht mehr das sind, was sie früher mal waren.

Von Birgit Zurmühlen & Dominik Wellenhofer – Foto: Sebastian Baumeister

 

presstige: Wie entsteht Ihrer Meinung nach eine Generation?

Prof. Dr. Schneider: Zuerst muss man klären, was man mit Generation eigentlich meint. Die Soziologie folgt hier dem klassischen Konzept des Soziologen Karl Mannheim, der sagt, dass Generationen entstehen, wenn eine Gruppe im gleichen Alter einer ähnlichen Lebenssituation unterliegt und dadurch ähnliche Sozialisierungserfahrungen macht. Aber erst, wenn sie sich dessen bewusst wird und eine gemeinsame Identität entwickelt, dann wird sie gleichsam zu einem ‚kollektiven Subjekt’. Allerdings gilt nicht für jede Kohorte so eine einschneidende historische Erfahrung, woraus sich dann eine Gemeinsamkeit in den Überzeugungen, in der Weltsicht entwickeln kann. Ich halte diesen Generationenansatz nach wie vor für brauchbar. Wichtig dabei ist natürlich, dass die Gruppe, um gemeinsame ‚prägende’ Erfahrungen zu machen, altershomogen sein muss. 1989 zum Beispiel machte es natürlich einen Unterschied, ob der Mauerfall im Alter von 15 oder von 65 miterlebt wurde, da — abhängig vom Alter – mit diesem Ereignis ganz unterschiedliche Erfahrungen und Erwartungen einhergingen.

Würden Sie auch sagen, dass sich eine Generation im Laufe ihres jungen Erwachsenenalters definiert?

Wir werden zwar bezüglich der Vorstellung, es gebe im Leben von Menschen eine ganz besondere Prägephase, immer skeptischer, da sich Lebensläufe pluralisieren und es über den gesamten Lebensverlauf vielfältige Entwicklungsdynamiken gibt. Denken Sie allein, wie sich im privaten und beruflichen Bereich die Entwicklungen wegbewegt haben von klassischen Rollenmustern. Aber im Prinzip, ja, die Verortung der Generationenbildung in der Jugend, im jungen Erwachsenenalter macht Sinn. Das liegt aus meiner Sicht in einem kulturellen Muster der modernen Gesellschaft begründet, demzufolge Jugend symbolisch für gesellschaftlichen Wandel steht.

Hängt der Generationenbegriff Ihrer Meinung nach immer mit einem Ereignis zusammen oder können auch Lebensumstände generationenfördernd sein?

Ich glaube, es braucht solche generationsprägende und –stiftende Ereignisse, damit so etwas wie eine gemeinsame Identität entsteht. Ähnliche Lebensverhältnisse allein reichen nicht. Solche Ereignisse, die – und das ist wichtig – für ein bestimmtes Alter gleichsam auf bestimmte Art wirksam werden, fehlen heutzutage, während sich in unserer Gesellschaft andauernd und recht schnell die Lebensumstände ändern. Allein aus der Vielfalt dieser Veränderungen entstehen aber nicht automatisch permanent neue Generationen im soziologischen Sinne.

In unsere heutigen Generation gibt es ja den Begriff „digital bohemian“: Menschen definieren sich über die neuen Medien. Kann das auch eine Art Generation sein?

Da muss man unterscheiden. Durch ein solches Label vergewissert sich jemand seiner Individualität, indem er sagt: „Das bin ich, das ist mein Lifestyle.“ Aber wir reden von Generationen im Sinne einer großen Gruppe von Menschen, die der Überzeugung sind, dass alle ähnliches erlebt und gemeinsame Ziele haben. Das scheint mir bei den digital bohemians gar nicht gemeint.

Wie stehen Sie zu Begriffen wie Generation Praktikum oder Generation Internet?

Das sind genau solche Stereotypen. Man müsste empirisch prüfen, wie weit diese reichen und für wie viele Menschen sie in gleicher Weise alltagspraktisch relevant sind, und zwar in dem Bewusstsein, dass damit eine ‚Generationenerfahrung’, ein Generationenschicksal bezeichnet ist. Ich denke, das fehlt hier. Unsichere Beschäftigungsverhältnisse, prekäre Berufssituationen etc. sind keine Erfahrung spezifischer Alterskohorten. Das Fehlen von Generationsgestalten lässt sich auch dadurch erklären, dass wir heutzutage in ganz unterschiedlichen Welten leben können, auch wenn wir das gleiche Alter haben. Die privaten Lebensverhältnisse differenzieren und pluralisieren sich, die Unterschiede in den Lebenswelten werden größer.

Aber kann es nicht sein, dass sich bedingt durch die Individualisierung der Gesellschaft mehrere Sparten bilden, die später einmal als Generationen bezeichnet werden?

Dann würde ich nicht den Begriff Generation verwenden. Wenn man den Generationenbegriff entsprechend verflacht, könnte man zum Beispiel auch von einer Generation „Individualtourismus“ im Gegensatz zu „Pauschaltourismus“ reden. Gleiches gilt für die Generation Praktikum oder die Generation Golf. Das sind Feuilleton-Gespenster. Das sind meiner Meinung nach nichts anderes als mit dem Generationenbegriff hantierende Beschreibungsversuche von momentan als interessant, spannend und verkaufsfördernd erachteten Themen.

Was meinen Sie, warum diese Feuilleton-Gespenster entstehen?

Man produziert in der heutigen individualisierten Gesellschaft permanent neue Selbst-Deutungsangebote, und dazu eignet sich der Generationenbegriff ganz gut, weil er gewünschte oder unterstellte Gemeinsamkeiten und Identifikationsoptionen transportiert. Aber dient das zur Unterhaltung oder kann man sagen, diese Angebote korrespondieren mit einer Alltagsperspektive, in der das Bewusstsein entsteht, dass man anders ist als diejenigen, die nicht der Generation angehören? Ich sehe beispielsweise keine Generation Praktikum, sondern nur Studierende, die durch neue Studiengänge durch die Bank zu Praktika gezwungen werden.

Aber die Bologna-Reform wäre doch jetzt ein Ereignis, woraus sich eine Generation entwickeln könnte.

Richtig, aber hier fehlt die symbolische Rahmung des „Wir als Kollektiv“. Sie machen dann zwar alle ein Praktikum, aber sie machen das ganz unterschiedlich und allein. Dass Sie das machen müssen, bedeutet nicht, dass Sie eine gemeinsam geteilte Perspektive auf die Welt entwickeln, auf die anderen, die mit ihnen gleiches erfahren, und auf sich selbst und ihr Leben.

Fühlen sie sich denn selbst einer Generation zugehörig?

Also ich wüsste nicht, welcher Generation ich mich zugehörig fühlen könnte, da ich für die 68er zu jung bin und hinterher, insbesondere mit der zunehmenden Pluralisierung von Jugendkulturen, es mit Generationen im Sinne Mannheims nicht mehr weit her ist. Also ich persönlich fühle mich keiner Generation zugehörig.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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