Teilzeitzuhause

Hier die Heimat, da das Zuhause, dort daheim?

Studieren bedeutet für viele junge Menschen, ihrer alten Heimat den Rücken zu kehren und in eine neue Stadt zu ziehen. Andere wiederrum entscheiden sich für das Pendeln. Nach einem Jahr in Augsburg haben wir zwei Sichten auf unser “Zuhause“.

Von Corinna Scherer & Petra Maier – Illustration: Katharina Netolitzky

Corinna: “Zuhause” ist das Best-Of des Lebens

“Wenn ich Zuhause bin – also das andere Zuhause”. Erstaunlich viele meiner Aussagen beginnen seit Oktober letzten Jahres auf diese Weise. Für mein Studium bin ich aus einer Kleinstadt im Norden Münchens nach Augsburg gezogen. Bewusst habe ich mich für einen Ort nahe der alten Heimat entschieden, um am Wochenende leicht zurückfahren zu können. Und so pendle ich jeden Freitag heim zu meinen alten Schulfreunden, meiner Familie und unserem Reihenhaus. Und jeden Sonntagabend fahre ich heim zu meinen Unifreunden, meiner Mitbewohnerin und unserer Augsburger Wohnung.

Häufig kommt es mir so vor, als würde nicht ICH darüber entscheiden, wo ich zu Hause bin. Wenn ich zu meiner Familie komme, ist es für mich so, als sei ich nie weggewesen. Vor kurzem fiel in einem Gespräch mit meinem Bruder jedoch der Satz: “Du bist ja eigentlich eh nicht mehr da. Du bekommst das ja nicht so mit”. Erst da wurde mir bewusst, dass ich für meine Familie ja wirklich nur noch eine Art Wochenendbesuch bin und nicht mehr jeden Familienstreit mitbekomme. Natürlich heißt Ausziehen, dass man nicht mehr überall dabei ist, aber angefühlt hatte es sich für mich anders. Die meiste Zeit verbringe ich tatsächlich in Augsburg. Unternehmungen mit Augsburger Freunden muss ich allerdings unter die Woche legen, woraus sie schließen, dass ich “immer in München” bin. Dass ich mich manchmal hin- und hergerissen fühle, liegt somit wesentlich an meinem Umfeld. Ich selbst liebe es, in Augsburg meinen eigenen Haushalt zu führen und mag es nicht, kein Fahrrad dort zu haben. Ich liebe es, in meiner alten Heimat direkt Natur vor der Haustüre zu haben und mag es nicht, meine Zeit nicht völlig frei einteilen zu können. Am liebsten hätte ich das Beste von beidem. Da das nicht geht, ist mein Zuhause somit die Summe aller Menschen, Orte und Augenblicke, die mir etwas bedeuten. Egal, ob aus der einen oder der anderen Heimat.

Petra: Zuhause ist dort, wo ich bin

Ein richtiges Zuhause habe ich nicht. Klingt irgendwie hart, ist es aber nicht. Denn Zuhause ist für mich dort, wo ich gerade bin. Nach meinem Abi musste ich erst einmal raus aus der heilen Welt: Knapp sieben Monate reiste ich durch Neuseeland, Thailand, Kambodscha und Vietnam. Eine sehr erlebnisreiche Zeit, in der ich lernte, dass es egal ist, wo man sich befindet – man kann sich überall heimisch fühlen. Entscheidend ist für mich dabei nicht der Ort, sondern viel mehr, mit wem ich dort bin, wie es mir geht und was ich erlebe. Zuhause ist für mich folglich ein Gefühl, das man überall haben kann. Natürlich kann auch ich wie viele andere Studenten mein Elternhaus als Zuhause bezeichnen – richtig ist die Bezeichnung aber irgendwie nicht mehr. Ich freue mich zwar immer wieder „heimzukommen“ und fühle mich nach wie vor wohl in der alten Heimat – dennoch ist es nicht das Gleiche wie früher, als ich noch dort wohnte. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich nicht so häufig „daheim“ bin. Denn inzwischen habe ich auch in Augsburg einen Platz gefunden, den ich als Zuhause bezeichnen kann. Man könnte meine Situation ähnlich wie in der Werbung formulieren: In Baden-Württemberg daheim, wohnhaft in Bayern und in der Welt zu Hause. Auf ein Zuhause kann und will ich mich nämlich nicht festlegen. Es gibt dafür einfach noch zu viele Orte, die das Potenzial dazu haben.

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