Ein kritischer Blick durch die Augen junger Lehrer

Rezension zum Dokumentarfilm Zwischen den Stühlen

Text: Michael Müller – Foto: © Weltkino

Wer in Deutschland Lehrer werden möchte, erlebt den Berufseinstieg im Grunde noch als Schüler. Denn im Referendariat halten angehende Pädagogen zwar bereits Unterricht und vergeben Noten, doch stehen sie dabei selbst noch unter Beobachtung und Prüfungsdruck. Jakob Schmidts Dokumentarfilm Zwischen den Stühlen begleitet drei von ihnen auf dem Weg vom Studenten zum Lehrer – und lenkt so auf elegante Weise den Blick auf die Widersprüche eines Systems.

Es braucht mehr als ein Studium für einen guten Lehrer. Wahrscheinlich kann nahezu jeder ein Beispiel aus der eigenen Schulzeit nennen, das diese Binsenweisheit bestätigt. Daher erscheint es nur folgerichtig, dass angehende Lehrkräfte den berühmten Praxisschock in organisierter Form durchmachen. Denn genau darum geht es im Referendariat, aus theoretische perfekt geschulten auch praktisch gute Lehrer zu machen. Am kommenden Donnerstag, 18. Mai 2017 läuft der Dokumentarfilm Zwischen den Stühlen von Jakob Schmidt in den deutschen Kinos, der die Referendare Anna, Katja und Ralf auf diesem Weg aus dem Studium in den Berufsalltag begleitet. Damit eröffnet er eine ganz besondere Perspektive auf das deutsche Schulsystem, die in gängigen Debatten um unser Bildungssystem bisher nur selten anzutreffen war.

Denn ein Referendar ist lange kein Lehrer wie jeder andere. Einerseits darf er bereits unterrichten und sogar Noten vergeben, andererseits wird er jedoch auch selbst bewertet – und das nicht gerade wenig. Neben der üblichen Eingewöhnung, mit denen jeder Berufsanfänger zu kämpfen hat, gilt es nämlich Unterrichtsentwürfe einzureichen, Lehrproben zu halten und im Seminar selbst die Schulbank zu drücken. Wie sehr dieser Prüfungsstress belastet, macht Zwischen den Stühlen sehr deutlich, was unter anderem daran liegt, dass sich die Darstellung sehr nah an den Protagonisten  bewegt. Durch geschickte Szenenwahl gelingt es dem Film, die Charaktere der drei Referendare auch auf engem Raum plastisch nach zu zeichnen. Der Zuschauer lernt ihre Überzeugungen kennen, ebenso wie ihre ganz persönlichen Stärken und Schwächen. Durch seine Erzählweise weckt der Film große Empathie gegenüber seinen Helden, weshalb die Spannung hinsichtlich der Frage, ob sie ihr Referendariat erfolgreich abschließen können, bis zum Ende erhalten bleibt.

Daneben wirft der Film jedoch auch Fragen auf, die weit über Einzelschicksale hinaus weisen. Denn bei allen persönlichen Unterschieden zeigt Zwischen den Stühlen nämlich vor allem auch drei junge Lehrer, deren Ideale von den Realitäten des Schulsystems auf eine harte Probe gestellt werden. Das beginnt beim regelmäßigen Auseinanderfallen von Theorie und Praxis und führt teilweise bis zu der Erkenntnis, dass das eigene Berufsbild schlicht nicht mit den Anforderungen der Ausbildung zusammenpasst. Auch wenn sich die drei Protagonisten unterschiedlich gut im System zurechtfinden, wirft der Grundtenor des Films kritische Fragen auf. Nach welchen Grundsätzen sollten Lehrer ausgebildet werden? Welches Bildungsideal steckt hinter dieser Ausbildung? Wie sieht gute Bildung überhaupt aus? Doch die vielleicht präsenteste Frage lautet: Wie viel Raum bietet ein Bildungssystem dem einzelnen Menschen, sei es nun ein Schüler oder ein Lehrer?

Innovative Systemkritik am Beispiel des Einzelnen

Gerade in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Schulsystem profitiert der Film sehr davon, dass seine Protagonisten als Referendare im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Sprung sind. Gemessen an ihrem Alter und ihrer Rolle als Auszubildende, sind sie ihren Schülern deutlich näher als manch älterer Kollege. Dennoch tragen sie auch bereits den Bildungsauftrag der Schule auf ihren Schultern. Dieser Zwischenstatus ermöglicht ihnen einen offenen und verständnisvollen Blick auf das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, das viel zu oft von einem Denken in Fronten dominiert wird – und damit auch einen kritischen Blick auf die eigene Rolle. Damit wird ihre Suche  nach einem funktionierenden Selbstbild zum Sinnbild des Ringens einer Gesellschaft um ein Verständnis von guter Bildung.

Was den Umgang mit dem momentanen Schulsystem anbelangt, macht Zwischen den Stühlen keinen Hehl aus seiner Position. Sowohl in der Lehrerausbildung als auch im Schulalltag sei messbare Leistung bedeutender als individueller Lernfortschritt. Um diese Botschaft zu vermitteln, verlässt die Dokumentation an einigen Stellen jene beobachtende Perspektive, die das Genre in der Regel auszeichnet. Wer sich daran nicht stört, erhält innovativ und gut gemachte Einblicke in den Bildungsbetrieb, die vor allem durch ihre neuen Perspektive bestechen. Eine abschließende Antwort hat der Film dabei zwar nicht parat, doch er stellt mit Sicherheit die richtigen Fragen. Und Fragen sind ja bekanntlich der Anfang allen Lernens.

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