Nichts ist so schön wie die Vorurteile zwischen Akademikern und dem Rest der Bevölkerung
Von Tanja Thomsen
Ach, wir Studenten sind schon ein arrogantes Volk. Denken, wir haben die Weisheit mit Löffeln gefressen und bilden uns voller Stolz ein, dass wir die Elite sind, die nach der Pisa-Studie noch das letzte bisschen Ehre für Deutschland rettet, bevor die Welt an allgemeiner Verdummung zugrunde geht. Die Idealisten unter uns studieren Pädagogik, um Bildung und Wahrheit in die Welt hinaus zu tragen. An Orte, an die sich ein BWL-Student wohl niemals wagen würde. Orte, an denen rotzende und spotzende Ghetto-Kinder in Perspektivlosigkeit leben, an denen Hauptschüler nie etwas von Goethe und Schiller gehört haben, keinen geraden Satz sprechen können. Wer nicht idealistisch genug ist, lebt in seiner kleinen, heilen Welt gemütlich vor sich hin und pflegt seine Vorurteile. Soweit die eine Sichtweise.
Pseudo-intellektuelle Fachidioten
Die andere macht aus Studenten pseudo-intellektuelle Fachidioten, denen nach dem Studium erst einmal eine Ausbildung empfohlen wird, weil man ihnen weder zutraut, eine Telefonanlage, geschweige denn einen Computer richtig zu bedienen. Da können sie gleich noch lernen, wie Arbeiten im Team, Bescheidenheit und Einsatzfreude funktionieren, und sich selbst von manchem Maurer noch abgucken, wie man eine Wurstsemmel richtig belegt. Lebensunfähig und eingebildet statt ausgebildet entlässt die Hochschule ihre Studenten also in ein Arbeitsleben, wo sie von allen Seiten belächelt werden, mitleidig ob so verquerer Weltsicht und Realitätsferne, ärgerlich ob ihrer in vielen Semestern antrainierten Faulheit und belustigt ob der handwerklichen Unfähigkeit. Aber trinkfest sind sie, wegen der täglichen Parties und der Strandgelage in den Semesterferien.
Die nackte Wahrheit
Wenn man für die Ausbildung ein hervorragendes Abitur vorweisen muss und dann als Kollegen Hauptschulabbrecher hat, wenn man die ehemaligen Studienkollegen als Supermarktkassierer oder Fitnesstrainer trifft, wenn die Patienten über Krankheiten mehr wissen als ihre Ärzte, und der Obdachlose eine fundiertere Meinung hat als ein Student der Politikwissenschaften, scheint es den Studenten und den Hauptschüler nicht zu geben.
Die Vorurteile erwachsen eher dem Einheitsbrei, der sich überall ausbreitet und die Leute glauben macht, andere, weniger qualifizierte nähmen ihnen Arbeitsplätze weg, verwässerten das (Aus-)Bildungsniveau und die Aussagekraft von Zeugnissen. Wieso glaubt der Arbeitgeber nur, dass der Trottel mit zwei linken Händen die Maschine besser repariert, wenn er sein Abitur mit einer Eins abgeschlossen hat?
„Es kommt trotz der Ausbildung immer auf den Menschen an, den man einstellt. Die Person muss eine gewisse Grundqualifikation mitbringen und dann menschlich in das vorhandene Team passen bzw. die Firmenmentalität mittragen. Es werden bei mir keine Bewerbungen wegen einer Schulbildung aussortiert. Wenn die Bewerbung vernünftig ist, schaue ich mir die Leute auch an“, sagt der Personalchef einer Augsburger Firma im graphischen Gewerbe mit etwa 100 Mitarbeitern, der anonym bleiben möchte. Der Mensch soll also im Mittelpunkt stehen, weil jeder – von der Schul- und Ausbildung unabhängig – einen wertvollen Beitrag zum Arbeitsleben leisten kann. Und wer bereit ist, auch den Menschen hinter einem Zeugnis zu sehen, wird schnell feststellen, dass nicht alle Studenten faul und weltfremd, dass nicht alle Hauptschüler dumm und ohne Umgangsformen sind.
Leider ist diese Einsicht bisher nicht zu allen Arbeitgebern vorgedrungen, und Berufseinsteiger müssen sich weiterhin oft an Vorurteilen und falschen Vorstellungen messen lassen.