Überwachungskameras, Personalausweis mit Fingerabdruck und Gesichtserkennung,Aufgabe der Anonymität im Internet – dies sind nur ein paar von unzähligen Beispielen für die realitätgewordene Vision George Orwells. Nur die Universität Augsburg ist weitgehend frei von staatlicher Kontrollherrschaft. Oder?
Von Sebastian Baumeister, Florian Saule, Nadine Weckerle
Das Thermometer ist auf 20 Grad Celsius gesunken. Es ist einer der kältesten Januartage seit fast 50 Jahren. Der Eiseskälte zum Trotz machen wir MUK-Studierende (Medien und Kontrolle) uns daran, für eine Reportage über das Studium an der Uni Augsburg zu recherchieren. Wir treffen uns am mehrfach untertunnelten Königsplatz und nehmen den CityExpress, kurz CE, zur Uni. Nach Körperscan und 35-sekündiger Fahrt öffnen sich die Türen des Hochgeschwindigkeitszugs. Eine einheitliche Masse an Studierenden, bekleidet mit eleganten, grauen Studentenuniformen, strömt aus der Bahn – uns inbegriffen.
Einlasskontrolle
An der Schleuse zum Universitätsgelände geht es sehr gesittet zu. In Reih und Glied warten die Studierenden darauf, vom Sicherheitspersonal kontrolliert zu werden. Nach der obligatorischen Frage nach Waffen, Drogen und anderen verbotenen Gegenständen muss sich jeder Student einer gründlichen Leibes- und Taschenvisitation unterziehen: „Keine spitzen i-Liner!… keine Flüssignahrung!… keine Lasercutter!…“ Während ein Sicherheitsmann die Gepäckstücke durchsucht, reihen wir uns in die Schlange vor dem Körperscanner ein. Alle Studierenden akzeptieren diese allmorgendliche Prozedur regungslos und gleichgültig. Neben uns wird ein Ersti zur Sicherheitsbelehrung abgeführt, weil er wohl vergessen hatte eine antike Büroklammer seines Urgroßvaters vorzuzeigen, die in seiner Tasche gefunden wurde. Wir passieren den Scanner ohne Schwierigkeiten. Die letzte Hürde bevor wir den Campus betreten dürfen stellt eine Identitätskontrolle in Form eines Augen- und Fingerabdruckscanners dar. Die zugehörigen persönlichen Daten werden aus der Facebook-Identity-Card (FIC) ermittelt. Sie hat vor Jahren den Personalausweis abgelöst. Nach Bestätigung der Identität öffnet sich direkt neben uns eine Klappe aus der wir unseren täglichen leistungssteigernden Medikamentencocktail, bestehend aus Guarana, L-Tyrosin und verschiedenen Vitaminen, entnehmen. Dieser hilft uns, den vor uns liegenden, 14-stündigen Gehirnmarathon durchzuhalten. Eine Sicherheitsdame überwacht die Einnahme mit strengem Blick.
Avocadosaft und Tofuburger
Auf dem Campusgelände schallt uns blechern die Stimme des Universitätspräsidenten aus zahlreichen Lautsprechern entgegen. Er zitiert aus dem Manifest der Internationalen Universitätsmaxime (MIUM), welches das Campusleben überall auf der Welt reglementiert. Das allgegenwärtige Sicherheitspersonal und unzählige Kameras helfen der Universitätsobrigkeit, die Verordnungen des MIUM durchzusetzen und Querulanten aufzustöbern. Ein paar Meter weiter werden wir von Studierenden umringt, die mit leuchtenden Reklamepads stillschweigend für das neue i-brain werben. Diese Art der Werbung hat dramatisch zugenommen, seit das Holografieren an und in den Universitätsgebäuden auf Strafe verboten wurde.
Unser erster Weg führt uns wie jeden Tag in die „Caféte“. Der Name des Aufenthaltsraumes leitet sich von einem koffeinhaltigen Getränk (Kaffee) ab, das hier in früheren Zeiten konsumiert wurde. Heutzutage werden zum Glück nur noch unbedenkliche Getränke wie Wasser und zuckerfreie Fruchtsäfte angeboten. Außerdem kann man hier Lebensmittel von McDonalds erwerben. Seit der Einführung von Vollkorn- und Tofuburgern hat sich McDonalds zum gesündesten und größten Lebensmittelproduzenten der Welt entwickelt. Nach Facebook stellt es damit das zweitmächtigste Unternehmen auf dem Globus dar. Wir entscheiden uns jeder für einen Avocadosaft und einen McToff, zahlen beides mit der FIC und konsumieren unser Menü im Stehen in der laut MIUM dafür vorgeschriebenen Zeit von fünf Minuten. Kaum sind wir fertig, ertönt auch schon eine computergenerierte Stimme aus den Lautsprechern: „Bitte begeben sie sich umgehend in Ihre Vorlesungssäle.“ Unverzüglich verlassen sämtliche Studierende stillschweigend die Caféte um der Anweisung folge zu leisten.
Effizientes Studieren
Es ist genau 8:35 Uhr als wir uns auf den Weg zum Hörsaal 42 machen, in dem unsere erste Vorlesung stattfindet. Vor dem Sitzungssaal prüft das Sicherheitspersonal abermals unsere Identität. Wir betreten den Saal und setzen uns auf die Plätze, die uns durch unsere FIC-Nummern zugeteilt wurden. Auf dem 3000 Zoll Apple-I-Screen des Hörsaales und auf den kleinen, platzintegrierten Apple-I-Terminals ist bereits der Kopf des Dozenten zu sehen, der darauf wartet, mit seinem Gastvortrag zu beginnen. Heutiger Redner ist Professor Dr. Georg Uhrwell, CEO des weltumspannenden Medienmonopols FRM (FOX-RTL-Media). Er hält einen internationalen Vortrag zum Thema „Rezipientenkontrolle“. Punkt 8:45 Uhr nehmen die MUK-Studierenden auf der ganzen Welt Platz, setzen ihre 6D-Visors auf und Dr. Uhrwell beginnt mit seiner Vorlesung. Sie wird weltweit live ausgestrahlt und in der Weltsprache „Neusprach“ gehalten. Während des Vortrags werden Begleittexte und Vorlesungsinhalte auf die ipadsX42P der Studierenden geladen. Durch den direkten Download der Unterlagen wurde das lästige Mitschreiben überflüssig, die Vorlesungszeiten konnten auf 30 Minuten verkürzt und der Lerninhalt gemäß des neuen Néngshǒu–Abschlusses[WH1] vergrößert werden. Drei Stunden und sechs Vorlesungen später verkünden computergenerierte Lautsprecherdurchsagen die Mittagspaus
MIUM-Verordnung 27b, iCook21 und BiB
Dazu treffen sich alle Studierenden der Uni um 12 Uhr in der McMensa, um gemeinsam das Essen einzunehmen. Auch hier wurde jedem Studenten ein fester Platz zugewiesen. Über ein Terminal wählen wir aus verschiedenen Normmenüs des preisgekrönten iCook21 aus. RoboButler servieren die Speisen. Für das Mittagessen haben die Studierenden genau 25 Minuten Zeit (MIUM-Verordnung 27b). Sicherheitskräfte sorgen natürlich auch im Speisesaal für Ruhe, Ordnung und die Einhaltung der Universitätsregeln. Nachdem wir unser vorgefertigtes Menü regelkonform eingenommen haben, bleibt uns noch kurz Zeit, um uns auf die folgenden Vorlesungen vorzubereiten. Dies geschieht bequem über die eBooksXL7, welche auf den i-padsX42P der Studenten zu finden sind. Historiker vermuten, dass sich das Wort eBook vom neuenglischen Wort „book“ ableitet. „Books“ bestanden aus umweltfeindlichem Material, (was zur vollkommenen Rodung des Regenwalds führte). Daher verschwanden die „BiBs“ (buildings including books) ausnahmslos vom Universitätsgelände. Mit den ipadsX42P in der Hand geht es zurück zum Hörsaalzentrum, wo uns weitere Vorträge, Sicherheitskontrollen und Seminare erwarten.
Nach 15 Vorlesungen und fünf Seminaren (es ist 22:00 Uhr) uns daran, die Erlebnisse des Tages festzuhalten und diesen kurzen Bericht über die Universität Augsburg im Jahre 2121 niederzuschreiben: Wir mögen unsere Bildungsanstalt und sind davon überzeugt, dass euch die Uni Augsburg genauso gut gefällt wir uns. Denn sie steht für Ordnung, Bildung, Disziplin, Solidarität, Einheit und Sicherheit. In diesem Sinne: Frohes Studieren!