Eine Liebeserklärung an Nummer 24

Kommentar: Warum es eine gute Wahl war, in Augsburg zu studieren.

Unser Autor sieht das Studienende heraufziehen und will uns deshalb in seinem letzten Kommentar erzählen, warum er Augsburg, jenes Provinznest, das Wikipedia auf Platz 24 bei den größten Städten Deutschlands führt, mag.

Von Reiner Schmidt

„Ist schon nett hier.“ Im Zug hat gerade eine Mitfahrerin, Typ Neu-Augsburgerin, eine Freundin, Typ geborene Augsburgerin, gefragt, wie sie die Stadt am Lech findet. Die Mimik, die diese Antwort flankiert, macht klar, wie sie ihr nett einordnet – als kleinen Bruder des menschlichen Exkrements. Bald darauf wird erwähnt, dass es nicht „sooo toll“ sei: Der „Augsburger Reflex“ hat zugeschlagen.

Der Reflex und ich

Was ich damit meine? Das „eigentlich ist Augsburg ein Provinznest“, dass der Augsburger loslässt, wenn Fremde nach der Meinung zu seiner Stadt fragen. Dieser Wesenszug ist zwar in Bayern verbreitet, da im zentralistisch organisierten weiß-blauen Land die Vorherrschaft Münchens nie ernsthaft in Frage gestellt wurde, aber so reflexartig habe ich das selten erlebt. Als ich vor knapp sechs Jahren aus dem Nordosten Bayerns in die Stadt zog, hat mich das gestört. Die Stadt ist eine Großstadt mit 260.000 Einwohnern. Was haben die denn immer, habe mich gefragt, dagegen argumentiert und meist ein müdes Lächeln bekommen.

Provinznest – wie praktisch!

Nach ein paar Jahren an der Uni und einer Zeit im kanadischen Montréal, meist als Großstadt bezeichnet, lächle ich jetzt zurück. Denn warum soll ich gegen etwas ankämpfen, das praktisch ist. Hier muss ich nicht allzu oft Menschen sehen, die schrecklich hip sein wollen, es aber nicht sind. Zum Gesicht unpassende Brillenfassungen oder zu enge Hosen bei Beinen der Kategorie Baumstamm kann ich hier noch ignorieren. Es gibt aber genügend Hipster, um zu wissen, wo gerade vorne ist. Das Provinznest hat zudem so viel Kultur, dass ich mich immer ärgere, etwas nicht gesehen zu haben. Und hier zwängt mir das Stadtmarketing nicht auf, so zu sein wie die Stadt. Oder schreit mir entgegen, dass die Stadt mich liebt, so wie das „echte“ Großstädte gerne machen. Nein, das Provinznest hat mich gebeten, es zu leben, und das mache ich auch. Ach und was das Nachtleben angeht, kommen wir zwei auch klar. Sicher, es könnte mehr Kneipen und Clubs geben, aber ob ich sie besuchen würde, ist eine andere Frage. Denn schon jetzt ist mir ein Club zu weit draußen und ein anderer missfällt einem Freund so sehr, dass er dort auf keinen Fall hinwill. Viele Menschen sind Gewohnheitstiere – auch nachts – und deshalb würden wohl auch bei einer größeren Clubauswahl die meisten Abende zwischen Theater und Ulrichskirche enden.

Brecht hat Recht – manchmal

Zuviel rosarot? Das Nest kann auch anders: Die Nachtbusse sind bescheiden, die Anwohner engstirnig und der Dauernebel im Herbst gnadenlos. Spätestens wenn die graue Suppe den Hotelturm abschneidet, hat auch Brecht Recht: Das Beste an Augsburg, ist der Zug nach München. Doch unterhalte ich mich dann mit Einwohnern der „Weltstadt mit Herz“, bekomme ich manchmal den Eindruck, den persönlichen Horizont meiner Gesprächspartner genau zu kennen. Er hat die Form des Münchner S-Bahn-Netzes und wehe man sagt diesen Zeitgenossen, dass es auch außerhalb lebenswert ist. Na ja nicht umsonst wird München auch Millionendorf genannt.

Fazit: Ich mag‘s hier

Augsburg ist kleiner als dieses Millionendorf, es ist kleiner als 23 Großstädte dieser Republik. Aber ich mag dieses Provinznest – gerade für seine Größe und seine schroffen Seiten. Denn aufregen kann man sich über dieses Nest und seine Bewohner zu Genüge, aber es gibt ebenfalls genügend Gründe, es zu lieben. Auch wenn ich wegziehen sollte, langweilig war und ist es hier nicht. Und nachdem ich der Neu-Augsburgerin im Zug erzählt habe, was sie alles machen kann, sagte die Freundin doch tatsächlich „Ja, es ist doch viel los in Augsburg“. Geht doch!

 

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