Zwischen zwei Kulturen. Alltägliche Abenteuer in Senegal, Westafrika
Ein Semester geht zu Ende, die Dezember-Kälte nervt, plötzliches Fernweh nach Weite, Abenteuer, Sinnhaftigkeit. Die einzige Aussicht: Semesterferien, acht Wochen freie Zeit, ohne Ortsbindung und ohne einen festgelegten Alltag. Das bietet im Prinzip nur das Studentenleben – diese freie Zeit zu Hause zu versauern? Das kam für mich noch nie in Frage.
Von Simone Klauer
Erasmus oder Auslandspraktikum – viele Abschiede standen zum Ende des Semesters bevor. Und ich? Ich bekam Fernweh. Wie wäre es wohl, endlich mal Französisch wirklich zu beherrschen? Rauskommen, etwas Sinnvolles tun – ganz gleich an welchem Ort der Welt. Das „egal wo“ verwandelte sich mit der Hilfe der Studentenorganisation AIESEC (s. Infokasten[i]) für mich in ein Ziel: Senegal, Westafrika. Das Angebot: ein Projekt mit Studenten zur AIDS-Aufklärung von Jugendlichen. Die Liste mit Erwartungen und Vorstellungen: kurz, denn dafür blieb ohnehin kaum Zeit.
So landete ich, keine zwei Monate nach meiner Idee, im Februar mitten in der Nacht in Dakar, der Hauptstadt Senegals am westlichsten Zipfel von Afrika und damit in einem kuriosem Traum: Nach einer kurzen Nacht wurde ich morgens von einem seltsamen Gesang geweckt. Bald hatte ich mir zusammengereimt, dass dies das Morgengebet der naheliegenden Moschee sein musste. Damit wusste ich auch wieder, wo ich mich nachts zum Schlafen hingelegt hatte: In einem Zimmer oder vielmehr einem Matratzenlager mit meinen drei Gastschwestern. Ich durfte in der Familie einer AIESECerin leben, die in einem Vorort von Dakar wohnte. Das Appartement sah eigentlich ganz normal aus. Unterschiede gab es in Sachen Komfort: Wasser gibt es nur durch zwei Hähne, der Herd ist eine Gasflamme. Sie könnte sich sicher mehr leisten – aber die Tradition zeigt, dass Dusche, Klospülung und Backofen verzichtbar sind.
„C’est pas grave“ – nicht so schlimm!
Das Projekt ASK wird von Studenten der Uni in Dakar aufgezogen, um in Schulen 14 bis 16-jährigen Workshops zum Thema AIDS anzubieten. Von Studenten für Schüler – eine tolle Idee, jedoch eine mit Tücken. Zwar war das schon erfolgreiche Programm vorbereitet, jede Übung in einem Ordner nachzulesen. Das Team bestand aus über 20 AIESECern. Doch wer genau ist wann und für was verantwortlich? Verspätung, Ausfall, Weglassen von Übungen? Die senegalesische Mentalität gibt die Antwort: In der gängigen Stammessprache Wolof sagt man dazu „Grawoul!“– „alles nicht so schlimm“. Der Inbegriff der senegalesischen Entspanntheit. So war die Arbeit im Projekt doch nur ein kleiner Teil meines Aufenthaltes.
Die Studenten dort zeigten mir ihren Alltag, der größtenteils aus dem Nationalsport Tanzen besteht. Und natürlich „Entspannen“, also zu Hause bleiben. Für mich zu wenig – aber so hatte ich Zeit, diese vollkommen fremde Welt zu entdecken. Alles wirkte wie in einer mittelmäßigen Afrika-Reportage: Ziegen auf der Straße, Sand überall. Staus, Smog, Dreck und Betonlandschaften machten jedoch schnell klar: Die Vorstellung vom abgeschiedenen afrikanischen Busch ist völlig falsch.
Volksaufstand hautnah
Noch dazu stand diese Welt in sich völlig auf dem Kopf: Bald sollten die Präsidentschaftswahlen stattfinden – mit einem Amtsinhaber, der den Platz nicht räumen wollte. Gegner von Abdoulaye Wade und dessen Anhänger lieferten sich blutige Straßenschlachten. Ein Zustand, den ich bisher höchstens in den Nachrichten verfolgt habe. Oft wurde davon abgeraten, auf die Straße zu gehen. Auch die Uni fiel monatelang aus, denn die Professoren streikten gegen die Regierung. Wäre so etwas auch an deutschen Unis möglich?
Sich in der Stadt zu bewegen oder gar herumzureisen war schwierig und riskant. Als weißes Mädchen ist man auffällig wie ein schwarzes Schaf. Um nicht ausgenutzt zu werden, muss man das Land verstehen. Schon der Weg von zu Hause bis zur Uni war ein Hindernis: Ein angeblicher Fahrplan der „Car Rapides“, den bunten Taxibussen, war in der ersten Woche rätselhaft. Straßennamen gibt es selten, also schien erst mal alles planlos und riesig.
Man erlebt in so einem Land erst mal eine Unselbstständigkeit, die man nicht gewohnt ist – und mit der man sich unwohl fühlt. Deshalb führte mein erster alleiniger Weg in eine Buchhandlung, um einen Stadtplan zu kaufen. Ich verbrachte meine Tage damit jedes Viertel zu entdecken und drei Wochen später war Dakar kein Rätsel mehr für mich.
Dakars Straßenleben ist einzigartig: kurios wie das nur scheinbar planlose Verkehrssystem; glamourös wie die stolzen Senegalesinnen, deren liebster Zeitvertreib wohl ist, sich schön zu machen und damit den sandigen, zugemüllten Straßen zu trotzen. Ob nun vermeintlich europäisch schick mit Glitzer-Pailletten oder traditionell mit buntem Musterkleid und Kopftuch und das zwischen fliegenden Händlern, die auch an den unmöglichsten Orten Muskelwunderpulver oder dekorative Autoteppiche anpreisen.
Die eingeschränkte Selbstständigkeit, das ungesunde Großstadtleben und teilweise die senegalesische Mentalität waren anstrengend. Aber manches Gefühl will ich auch nicht vergessen: Wie offen ich überall aufgenommen ich wurde. Senegalesische Tanznächte in Dakars Clubs. Mit wenig Komfort zufrieden zu sein.
Im Flugzeug zurück nach Deutschland schrieb ich eine Liste der Dinge, die ich gelernt habe, besonders über mich selbst. Diese Liste war weit länger als die meiner Erwartungen auf dem Hinflug.