Ein Interview über Foodsharing
Mitten in einer ruhigen Münchner Wohngegend wird plötzlich für zwei Stunden der Bürgersteig in Beschlag genommen. Eine Tür wird geöffnet, kleine, bunte Stühle werden hinausgetragen, Lebensmittel hinein: Äpfel, Joghurts, Backwaren und mehrere Packungen Wurst. Im großen Schaufenster neben der Tür hängt ein Plakat von Foodsharing.de. Hier auf dem Gehsteig, in lockerer Atmosphäre und umgeben von Freiwilligen und Passanten, habe ich auch mein Interview mit Barbara Merhart. Sie ist derzeit der Kopf der Freiwilligen von Foodsharing in München.
Fotos: Alexandra Kiefer
Presstige: Frau Merhart, was machen Sie hier? Und was ist Foodsharing?
Barbara Merhart: Ich leite heute die Aufsicht über den Fair-Teiler, der zu Foodsharing gehört. Er ist eine Art öffentlicher Kühlschrank, wo die Leute Lebensmittel bringen oder mitnehmen können. Darüber wird in München im Moment am meisten geteilt; in anderen Städten mehr über unsere Website. Auf der kann jeder für seine Stadt einen Essenskorb mit übrig gebliebenen Lebensmitteln online stellen, den andere abholen können. Foodsharing will ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung setzen. Ausgangspunkt war die Dokumentation „Taste the waste“, die zeigt, in welchem Ausmaß noch genießbare Lebensmittel weggeworfen werden. Dessen Regisseur, Valentin Thurn, hat danach den Verein Foodsharing e.V. Gegründet und via Crowdfunding die Programmierung der Website Foodsharing.de finanziert. Anfangs hätte er nie damit gerechnet, dass daraus so viel entsteht. Seit Dezember 2012 sind wir online und es finden sich in vielen Städten freiwillige Helfer und Möglichkeiten, Lebensmittel zu retten, indem man Supermärkte, Mensen und so weiter anspricht.
Barbara Merhart ist die mittlere Person auf diesem Foto
Ist das nicht alles viel zu umständlich, wenn ich in einem anderen Teil von München wohne, und dann erst mal sehr lange fahren muss, um hierher zu kommen?
Nein, wenn jemand sehr weit weg vom Fair-Teiler wohnt, dann kann er sein Essen via Internet teilen und jemand bei ihm in der Nähe holt das ab. Außerdem ist es unser Ziel, dass in jeder größeren Stadt und in jedem Stadtteil Fair-Teiler stehen.
Was ist, wenn ich abgepackten Schinken aus Massentierhaltung oder Erdbeeren im Winter teilen will?
Das ist uns egal. Unser erstes Ziel ist es, Lebensmittel zu retten. Ob man Massentierhaltung nun moralisch gut findet oder nicht ist eine ganz andere Sache. Wir haben hier viele Menschen, die vegan oder vegetarisch leben und sich dafür auch engagieren, aber das gehört erst einmal nicht zu Foodsharing. Wir können in Deutschland erst einmal viel erreichen, wenn wir die Haushalte dazu bewegen, weniger wegzuschmeißen. Die haben einen Anteil von 61 Prozent an noch genießbaren, weggeworfenen Lebensmitteln. Der Hauptteil davon: Obst und Gemüse.
Macht ihr nicht den Supermärkten das Geschäft kaputt?
Nein, das ist Quatsch. Durch eine Kooperation mit uns sparen sie sich im Übrigen Müllkosten. Besonders kleinere Läden, die auch bei ihrem Produktangebot auf Nachhaltigkeit achten, machen gerne mit. In München versuchen wir aktuell, den Viktualienmarkt einzubinden. Was ich mir auch sehr gut vorstellen kann, ist eine „Ditsch-Kiste“ einzurichten. Das heißt wir würden für die Supermärkte Obst und Gemüse, das zwar nicht mehr ganz der ästhetischen Norm entspricht, aber immer noch essbar ist, in einen Korb sortieren und das kann dann zum reduzierten Preis gekauft werden. Wir wollen die Supermärkte und auch die Privathaushalte dazu bringen, sich vor dem Einkauf von frischen Lebensmitteln mehr Gedanken über ihren tatsächlichen Bedarf zu machen. Dann wird auch weniger weggeschmissen.
Muss man Idealist sein, um mitzumachen?
Wir sind zwar durch die Bank weg alle Idealisten, aber ich würde sagen eher gemäßigte Idealisten.
Weil der Idealismus mit der Zeit verloren geht?
Nein! Es kommt darauf an, wie man die Sache angeht. Wenn man ganz schnell die Welt retten will, dann wird man wahrscheinlich bald desillusioniert. Wenn man aber einfach vorher schon weiß, dass es seine Zeit dauert und es mühsam ist, und man gleichzeitig immer wieder Leute trifft, die dann Mitstreiter sind, dann funktioniert es.
In Augsburg gibt es bisher keinen Foodsharing-Ableger. Was würde man dazu brauchen?
Anfangs braucht es ein, zwei Leute, die bereit sind sehr viel Zeit zu investieren und hinter der Idee stehen. Man muss erst einmal genügend Werbung machen, damit man wahrgenommen wird von den Privathaushalten. Das heißt man stellt sich hin und verteilt Flyer, organisiert kleine Aktionen und gibt Interviews für die Presse. Dann ergeben sich bald Möglichkeiten für Fair-Teiler und Kooperationen. Als kleinen Test kann es jeder einfach mal selbst ausprobieren, indem er in seinem Wohnhaus oder Studentenwohnheim einen Korb in den Gang stellt, gefüllt mit übrigen Lebensmitteln und einem „Bedarf?“-Schild. Das ist schneller weg, als du gucken kannst.