Geht unsere Sprache im Internet den Bach herunter?

Früher war alles besser: Die Luft war reiner, die Menschen fleißiger, die Jugend besser erzogen. Die Liste der vergangenen Glanztaten ist scheinbar unerschöpflich, wenn man einmal das ununterbrochene Gemecker von eifrigen Alltagskritikern betrachtet. Einen durchaus ergiebigen Anlass zur Kritik scheint derzeit der Sprachgebrauch der jungen Menschen im Internet zu bieten. Die Sprache verkümmere dort und entwickle sich zurück, fernab von jeglichen wohltrainierten Regeln und Normen vor sich hin. Aber was ist dran an diesen Anschuldigungen und Attacken auf das Niveau des Sprachgebrauches der Internetnutzer?

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Text: Linda Giering, Illustration: Marina Schröppel

Das Internet spricht Englisch

Betrachten wir doch einmal den folgenden Chat-Dialog, der als Stellvertreter für alltägliche Unterhaltungen im Netz steht:

A: Hi how ru?

B: Hi. gut thx. u?

A: 😀 <3

B: suuupiii! muss leider los sry.

A: o.O. :´( cu

B: bb & gn8

Schwerpunkt: Internet

Auch wenn wir es mit der NSA und anderen Datensammlern teilen müssen: Das Internet bleibt unser Zuhause. Wir essen und schlafen vorläufig noch analog, aber sonst findet unser Leben zunehmend im Netz statt. Darum widmet die presstige-Redaktion dem Internet einen Schwerpunkt. Alle bisher erschienen Beiträge sind hier gesammelt.

Unverkennbar ist: Das Internet spricht Englisch. Zwar hat die Bedeutung und Vorherrschaft des Englischen bereits abgenommen, was die Anzahl der veröffentlichten Seiten pro Sprache betrifft, doch zweifelsohne nimmt die Präsenz angelsächsischer Einflüsse in unserer deutschen Sprache rasant zu. Viele Abkürzungen, die zum Grundvokabular des regelmäßigen Chatters gehören, sind daher auch international verständlich. So basieren kryptische Kürzel wie „bb“ (byebye = tschüss), „thx“ (thanks = danke) und „sry“ (sorry = Entschuldigung) fast immer auf Wörtern des englischsprachigen Raumes und setzen auf diese Weise den Trend des Englischen als Weltsprache auch im Netz fort. Andererseits belegt Deutsch im Ranking der Webseiten-Sprachen mit 7,7 % Platz zwei hinter Englisch (56,4%), wie eine Studie von Martin Ebbertz zeigt.

Die Schrift braucht auch Gefühle

Aber warum kann nicht einfach auf die wunderbar verständliche, standardisierte Schriftsprache des Deutschen (oder auch des Englischen) zurückgegriffen werden? Wir  hatten uns doch im Laufe der letzten Jahrhunderte gerade daran gewöhnt und nach wie vor wird sie uns gewissenhaft von Eltern, Lehrern, Büchern, usw. eingetrichtert! Schuld am seltsamen Kauderwelsch des Webs sind vermutlich mehrere Faktoren: Wichtigster ist wohl, dass ein Chat quasi mündliche Bedingungen schaffen soll, obwohl sich die Kommunikationspartner nicht sehen. Über die Sprache sollen nicht nur Worte vermittelt werden, sondern gleichzeitig auch Gefühle, Gestik, Mimik und Faktoren wie Lautstärke, Geschwindigkeit oder Betonung. Das alles ist in unserem klassischen Schriftsystem nicht vorgesehen. Chatter verspüren aber das Bedürfnis und die Notwendigkeit solcher außersprachlicher Dinge, die nun irgendwie „versprachlicht“ werden müssen. Ein Paradebeispiel hierfür ist ein Emoticon, im Volksmund auch einfach „Smiley“ genannt. Ein Bild also, das Gefühle ausdrücken soll. Es gibt eine schier unerschöpfliche Anzahl von unterschiedlichen Emoticons, die von fröhlichen und traurigen Smileys bis hin zu anderen Bildchen wie Herz oder Rose reichen, alles bestehend aus dem, was die Computertastatur zu bieten hat.

Ich schreibe wie ich spreche

Andere Feinheiten unserer mündlichen Sprache können ebenfalls mit der Tastatur ausgedrückt werden. So bedeutet zum Beispiel Großschreibung, ETWA SO, dass etwas laut gerufen, geschrien oder gebrüllt wird. Auch umgangssprachliche Formulierungen wie „tach“ (statt „Guten Tag“), Tilgungen am Wortende („nich“ statt „nicht“) und Assimilationen, also Annäherungen, wie „ins“ anstelle von „in das“, können im Chat gebraucht werden, um ein Gefühl der Nähe zwischen den Kommunikationspartnern entstehen zu lassen.

In der Kürze liegt die Würze

Gleichzeitig soll die Sprache im Chat aber so einfach wie möglich gehalten werden – unter anderem, um Zeit zu sparen. Als Musterfall hierfür kann man etwa die sogenannten Inflektive betrachten, die freien Verbstämme ohne Flexionsendung. „Ich lache“ oder „Ich heule“ wird demnach einfach zu *lach* und *heul*, meist in Asterisken geschrieben. Dies mutet zwar im ersten Moment seltsam an, ist jedoch für Comicleser keineswegs Neuland. Dort sind Formulierungen wie „knall“, „peng“ und „ratsch“ schon seit Längerem der Normalfall.

Können wir unsere Sprache noch retten?

Ist dieser neue, unkonventionelle Gebrauch der Sprache im Chat aber nun der Anfang eines Verkümmerns unserer Fähigkeiten? Eine Schändung der wunderbar ästhetischen Schriftsprache? Oder vielmehr der Aufbruch zu einem neuen Abschnitt der Sprachgeschichte?

Der britische Sprachwissenschaftler David Crystal ist sich sicher, dass die Grenze zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Sprache durch die Mittel der modernen Kommunikationstechnik immer stärker verschwimmen werden. Das Internet führt zu einer Unterstützung der mündlichen und visuellen Aspekte der Kommunikation. Erwiesenermaßen betrachten viele Menschen Sprache als ein Synonym für Schriftsprache – nur wird diese als fixierter Standard gesehen. Für die Zukunft könnte es allerdings von Vorteil sein, Sprache nicht nur als Schrift zu sehen, sondern eher als ein System von Zeichen. Dieses Zeichensystem entwickelt sich zur Stunde im Internet fort, mit Hilfe von vielen Millionen experimentierfreudigen Menschen, die durch ihre Aktivität im Internet die Evolution unserer Sprache vorantreiben und mitgestalten.

 

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