Unsere Glossisten lassen sich von der dunklen Seite locken
Im Anfang sprach ER ein Machtwort:
Oh, glorreiche Glossisten, meine Macht ist unermesslich. Schreibet mir darüber! – Wir [ehrfürchtig wie immer]: Aber wir sind doch klein und machtlos. Was wissen wir schon von der Macht? – ER: Macht nichts! Hohoho! Was für ein köstliches Wortspiel! [Sich beinahe vor Lachen zerreißend] Euch werde ich die dunkle Seite der Macht schon beibringen. [Diabolisch.] – Wir [mit schlotternden Knien]: Ist gut, ist gut, oh Herr. Wir wollen uns anstrengen. [Anstrengung gelobend ab.] (Star Wars-Melodie. Vorhang.)
Voilà – die machtloseste Glosse ever, die die dunkle Seite der Macht erleuchten lassen soll.
Der Eine von uns (MS) hat beinahe drei Jahre im goldenen Staate Kalifornien verbracht. Genauer: im Dunstkreis des Silicon Valley. Die digitale Macht komme über euch, ihr Gnome, und sie gehe aus von Google, Apple und Facebook. Doch nicht nur das: Sie ergreift auch die Macht da, wo man es am Wenigsten vermutet. Banale Dinge des Alltags werden zum Problem, wo die digitale Macht ihre gierigen Tentakeln schon ausstreckt: Ein
Toilettengang im Café in Palo Alto? Schwierig, wenn das einzige Klo von einem hektisch twitternden Tech-Hipster („Techster“) belegt ist, der dringend noch seine neueste sinnlose Smartphone-App stilecht von der Toilette aus vermarkten muss, mit der man herausfinden kann, auf welchen öffentlichen Toiletten man jetzt auch kostenloses Wifi benutzen kann. Ein entspannter Nachmittagskaffee am Sonntag? Vergebens, wenn am Nebentisch ein arroganter Vollpfosten („Douchebag“) mit Tech-Hintergrund (auch „Douchetech“) seiner Begleitung lautstark erläutert, warum er mit seinen sensationellen Tech-Skills das nächste ganz große Ding (siehe „sinnlose App“) auf den Markt bringen, die Welt revolutionieren und die Macht an sich reißen wird. Als Familie mit Kleinkind entspannt in einer normalen Wohnung in der San Francisco Bay Area wohnen? Unmöglich, wenn die Wohnungspreise derart durch die Decke schießen, dass eine Hundehütte in Palo Alto nachweislich teurer ist als eine vollrenovierte Vier-Zimmer-Altbauwohnung mit hohen Wänden, Stuckzierdecken und Kronleuchter in der Bonner Altstadt. Und da ist von San Francisco noch nicht die Rede, wo das durchschnittliche Apartment mit einem Schlafzimmer jetzt nur noch für deutlich über 3000 Dollar im Monat zu haben ist und sich dennoch bei der Wohnungsbesichtigung 50 potentielle Mieter scheckwedelnd am frühen Samstagmorgen überbieten wollen. Wo Douchetechs sinnlos ihr digital verdientes Geld verprassen, wird die Welt elendig zugrunde gehen. Das, liebe Leser, ist eine ganz dunkle Seite der Macht, und der Eine von uns hat drei Jahre lang hautnah erlebt, wie sich das anfühlt. Der dunkle Prophet sagt hiermit ganz offiziell die nächste ganz große Blase voraus, die zu platzen droht. Blubb!
Ausgabe 26: MachtDieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 26 unseres gedruckten Magazins.
Der Andere von uns (CG) hat zwar noch nie in Kalifornien, aber auch schon einmal in Bonn gewohnt (aber Neubau und nur drei Zimmer und Altstadt) und hatte schon immer ein recht gespaltenes Verhältnis zur Macht, ziemlich egal ob dunkle oder helle Seite. Irgendwann hat er einmal irgendwo gelesen, dass alle Macht vom Volke ausgehe oder so ähnlich. Dieses Konzept fand er seither in der Regel relativ überzeugend. Warum das nicht einfach alle so machen, fragt sich der Andere von uns seither zuweilen in stilleren Momenten. Aber da hat vermutlich irgendjemand was dagegen. Vermutlich weil einige ja auch ganz gerne Macht haben und über Andere ausüben. Muss man sich ja nur mal am Wochenende an einer durchschnittlichen deutschen Disko-Tür umschauen, was für absurde Dinge sich abspielen, wenn auf einmal jemand das seltene Gefühl verspürt, ein klein wenig Macht über Andere ausüben zu dürfen (Stichwort: „falscher Stil!“). Oder bei der Einlasskontrolle in ein durchschnittliches deutsches Fußballstadion (früher 1.0 – Stichwort: „Mach‘ mal den Adler!“, heute 2.0 – Stichwort: Leibesvisitation mit Betonung auf den nackten Leib, teilweise bis in den Genitalbereich, Stichwort: in). Oder in Moskau (Stichwort: „Nur das Volk ist der Quell aller Macht.“ Oder in Berlin-Mitte (Stichwort: „GroKo“). Oder in München (ziemlich egal ob Franz-Josef-Strauß-Ring oder Marienplatz oder Säbener Straße – Stichworte: „Allmacht“, „Final-Einladungen“, „Mehr Fantasie beim Versteuern“). Oder in einer durchschnittlichen deutschen Firma/Universität (Stichworte: Platz für Ihre Notizen). Macht hat das erstaunliche Potential jede und jeden zu korrumpieren, in Windeseile, mit Macht – und absolut. Wusste schon so ein englischer Liberaler vor 150 Jahren. Stichwort: Teile und herrsche, damit kennen sich Andere ja auch bestens aus…
[SCHLUSS]ER [sehr mächtig]: Pah! Frechheit! Paaah! Das ist ja eine Unverschämtheit! Paaaaah! Eine solche Unverfrorenheit! Macht euch fort, läppische Vasallen, Diener, Knechte, ihr nutzlosen Wichte, Würmer, Maden, paaaaaaah!
Wir [voller Demut]: Nichts ist so sozial wie der Verzicht. Sind schon weg… (Hurtig ab.)
Michael Sentef und Christopher Große zählen zur Ursuppe von presstige. Christopher war im Dezember 2004 einer der Gründer des Magazins und wird heute von einigen wohlmeinenden Weggefährten als Uropa des gepflegten Boulevardpöbelns bezeichnet. Michael bereichert seit der zweiten Ausgabe das Heft mit seinen gedankenschweren Texten und hat sich seither als presstige-Urglossist keine große Anhängerschaft aufgebaut. Obwohl deren Entstehung stets in handfeste Streitereien ausartet, steuern die beiden presstige-Herausgeber seit mittlerweile 13 Ausgaben nachdenkliche, tiefsinnige, bisweilen wachrüttelnde, aber stets höchst belanglose Glossen zum jeweils aktuellen Titelthema bei. Sowohl Michael als auch Christopher haben noch nie Fanpost erhalten.