Müller will über “Erfolg” reden

Text: Michael Müller – Illustration: Isabell Beck

Was hilft in unsicheren Zeiten? Ganz klar, Erfolg! Wir allen kennen diesen Druck aus unserem Alltag. Egal ob an der Uni oder im Freundeskreis, die Devise lautet, dass wir hart an uns arbeiten müssen, um es zu etwas zu bringen. Erfolg meint heutzutage eben einen guten Verdienst und wirtschaftliche Sicherheit, so die herrschende Meinung. Doch glücklich sind viele nicht damit. Haben wir also wirklich abschließend geklärt, was Erfolg bedeutet?

“An der Spitze ist immer Platz.“ Dieser Satz fällt gelegentlich, um junge Menschen zu ungewöhnlichen Entscheidungen im Lebenslauf zu ermutigen. Lieber einen Roman schreiben als Jurist werden? Eine Banklehre aufgeben, um Philosophie zu studieren? Alles kein Problem – solange der Erfolg stimmt. Die Logik dahinter denkt vom Ergebnis her und meint mit Erfolg im Wesentlichen wirtschaftliche Chancen. Dieses Verständnis ist inzwischen auch im Hörsaal angekommen. Immer häufiger werben Seminare mit Inhalten, die direkt aus dem Wirtschaftsleben kommen oder wirtschaftlich relevante Kompetenzen vermitteln sollen. Doch ist Erfolg heutzutage wirklich nur noch ein Synonym für berufliche Aussichten?

 Ursprünglich bezeichnet Erfolg das Erreichen selbst gesetzter oder wenigstens selbst anerkannter Ziele. Deshalb verbinden wir Erfolgserlebnisse in der Regel damit zuvor hart an ihnen gearbeitet zu haben. Diese Ziele können auch immaterieller Natur sein. So sind zum Beispiel das Gefühl, zuhause zu sein oder die Gründung einer Familie ebenfalls Erfolge. Gerade weil Erfolg also eine ganz persönliche Dimension darstellt, ist er eng mit dem Gefühl verbunden, ein sinnvolles Leben zu fühlen. Dennoch entscheiden wir nicht allein darüber.

 Der Mensch ist ein soziales Wesen und damit auch in der Gemeinschaft erfolgreich. Welche Ziele wir für richtig erachten und wie wir diese erreichen wollen, hängt mit unserer Sozialisation zusammen. Dabei beeinflussen uns zum Beispiel unsere Erziehung oder die Menschen, die uns umgeben. Außerdem können Erfolge nicht nur in der Anerkennung anderer, sondern auch in der Gemeinschaft selbst liegen. Es kann sehr viel Sinn darin liegen, dazuzugehören oder sich für andere einzusetzen. Beispielsweise galt es im antiken Rom als größter Erfolg, das eigene Leben im Militär oder einer politischen Laufbahn für die Gesellschaft einzusetzen. Staatsämter waren dabei allesamt ehrenamtlich und damit zumindest direkt eher unwirtschaftlich.

Kolumne: Müller will reden

Meinung ist tot? Nicht mit uns, denn unser Chefredakteur Michael Müller ist überzeugt, dass es Dinge gibt, die man nicht wissen kann, aber über die es sich zu reden lohnt. In Zeiten harter Fakten glaubt er an das lose Mundwerk, denn wohin sonst mit all den gesammelten Informationen? Mal geht es um Wichtiges, mal um den Rest, aber immer gilt: Keine Angst, Müller will nur reden. Die Kolumne erscheint immer donnerstags und wird von Isabell Beck illustriert. Alle Folgen von “Müller will reden” zum Nachlesen.

 Aus diesem Blickwinkel ist wirtschaftlicher Erfolg also nur einer unter vielen. Dennoch hat er eine ganz besondere Eigenschaft, denn er ist zählbar. Der Gewinn eines Unternehmens oder das eigene Gehalt machen wirtschaftlichen Erfolg bis auf die zweite Nachkommastelle genau messbar. Die Einheit dafür ist Geld. Doch damit nicht genug, denn was gezählt werden kann, steht auch dem Vergleich offen. Mit einem Mal kann also nicht nur der eigene Erfolg präzise beziffert werden, sondern zudem festgestellt werden, ob der Einzelne gemessen an seinem Kollegen oder dem Durchschnitt erfolgreich genug ist. In der Wirtschaft nennt man diesen Vorgang Wettbewerb, der so über den Erfolg auch im privaten Leben ankommt.

So verlockend die Objektivität der Zahlen scheint, täuscht sie über einen wesentlichen Punkt hinweg. Erfolg ist zutiefst subjektiv. Selbstverständlich kann auch in der Wirtschaft persönlicher Sinn liegen. Ein gutes Gehalt befriedigt die Sehnsucht nach finanzieller Sicherheit. Außerdem profitiert die Gemeinschaft von einer funktionierenden Wirtschaft. Wer sich an ihrem Kreislauf beteiligt und Steuern zahlt, erhöht das Wohlstandsniveau des gesamten Staates. Trotzdem erscheint ein höheres Gehalt oder mehr Kaufkraft nicht allen Menschen sinnvoll. Deshalb kann es ein sehr großer Erfolg sein, auf Karrierechancen zu verzichten, um möglichst früh eine Familie gründen zu können.

Diese unterschiedlichen Vorstellungen von Erfolg sind also ganz normal und solange kein Problem, wie eine Gesellschaft persönliche Ziele auch in der Hand des Einzelnen belässt. Gefährlich kann es deshalb werden, wenn eine einzelne Sichtweise zu stark dominiert. Leider gilt dies im Moment teilweise für den wirtschaftlichen Erfolg. Häufig stoßen Personen auf Befremden, wenn sie eine auf den ersten Blick unwirtschaftliche Entscheidung treffen. Da hilft es nicht, dass an der Spitze immer Platz sei. Denn auch hier wird Eigenwilligkeit nur gerechtfertigt, wenn sie sich im gängigen System auszahlt. Für alle, die sich entgegen der inneren Stimme diesem latenten Druck beugen, liegt darin eine ganz persönliche Gefahr. Wer keinen Sinn in wirtschaftlichen Erfolgen sieht, wird durch sie auch nicht befriedigt. Spitzenverdiener, die auf der Mitte ihrer Karriere eine Sinnkrise erleiden, gehören inzwischen zu den gängigen Klischees. Steigende Zahlen an Burnout-Patienten legen ebenfalls eine Tendenz zu unerfülltem wirtschaftlichen Streben nahe.

In den Medien gelten wir, die momentanen Studenten, als „Generation Y“. Gerade wir streben angeblich nach einem tieferen Sinn unseres Handelns oder stellen in Bewerbungsgesprächen auch einmal Gegenfragen. Wer, wenn nicht wir, sollte also diese Fragen auch wieder auf den Erfolg übertragen. Warum soll es kein Studienerfolg sein, Kenntnisse zu erwerben, die uns einfach interessieren? Kann der erste eigene Roman nicht ebenso erfolgreich sein wie das erste selbst verfasste Plädoyer? Dabei kann uns beruhigen, dass auch jenseits der Spitze für uns alle Platz ist. Vielleicht braucht die Gesellschaft Topmanager, aber sie braucht genauso Künstler und Familienmenschen. Überall heißt es, dass unsere Generation gerade die Republik erobert, also holen wir uns auch den Erfolg zurück – und zwar jeder von uns!

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