Kaum etwas scheint so tief im Menschen verankert, wie die Sehnsucht nach Freiheit. Immer wieder ist sie Thema in Politik und Kunst, wir geben unser Geld aus oder führen manchmal gar Kriege, um sie zu gewinnen. Aber was verbirgt sich im Einzelfall hinter dem großen Begriff der Freiheit? Zeit, einmal über Grundsätzliches zu reden.
Vor wenigen Tagen feierte Deutschland zum 25. Mal seine Wiedervereinigung, weswegen nicht nur in Frankfurt am Main der Oktober mit einer großen Party begann. Die deutsche Einheit kennt viele Geschichten, an die zu einem solchen Jubiläum erinnert wird. Von der friedlichen Revolution, dem Sieg der Diplomatie und unzähligen Familien- und Einzelschicksalen. Doch zwischen den Zeilen schwingt stets, wenn auch manchmal unausgesprochen, eine Sehnsucht mit, die im Kern eines modernen Selbstverständnisses steht: der Wunsch nach individueller Freiheit. Spätestens mit dem Siegeszug der Demokratie ist die Freiheit des Einzelnen aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken, ja darf es einfafch nicht sein. Dennoch bleibt sie oft eine umkämpfte Selbstverständlichkeit. Vor allem die Jugend protestiert damals wie heute immer wieder für ein Mehr an Freiheit, das sie von der älteren Generation einfordert. Dabei gehen die Meinungen, was nun eigentlich Freiheit bedeutet, schnell so weit auseinander, dass eine grundsätzlichere Frage angebracht scheint. Was verbirgt sich eigentlich hinter dieser vielbeschworenen Freiheit?
Freiheit ist, wo Unfreiheit fehlt
Wer von Freiheit spricht, beschreibt sie häufig aus dem Negativ. Viele der Debatten kreisen vor allem um die Frage, wann wir nicht frei sind, und wer die Schuld daran trägt. Der klassische Freiheitsgegner ist der Staat und sein Interesse daran, zu stark in das Leben seiner Bürger einzugreifen. Die andauernden Debatten um die Geheimdienste und deren Verhältnis zum Datenschutz zeigen, dass dieser Verdacht noch lange nicht vom Tisch ist. Vor einem übergriffigen Staat schützt die Verfassung zum Beispiel die Freiheit der Wahl, der Meinung, der Kunst und der Religion. Doch auch mit diesen Freiheitsrechten ist es nicht so einfach. Nemen wir doch einmal das Privateugentum. Viele Konservative sehen in seiner unbeschränkten wirtschaftlichen Nutzung eine zentrale bürgerliche Freiheit, wohingegen das linke politische Spektrum genau hier eine Gefahr ausmacht. Sie fordern nun plötzlich doch einen starken Staat, der die Macht der Wirtschaft beschränkt. Auch wenn sich beide Seiten in diesem Streit gerne Widersprüchlichkeit vorwerfen, sind sie sich bei genauerem Hinsehen einiger, als sie zugeben. Letztlich richten sie sich nämlich beide gegen intransparente und elitäre Machtstrukturen, nur eben in unterschiedlichen Feldern. Freiheit setzt also voraus, den Mächtigen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, egal woher sie kommen.
Kolumne: Müller will reden
Meinung ist tot? Nicht mit uns, denn unser Chefredakteur Michael Müller ist überzeugt, dass es Dinge gibt, die man nicht wissen kann, aber über die es sich zu reden lohnt. In Zeiten harter Fakten glaubt er an das lose Mundwerk, denn wohin sonst mit all den gesammelten Informationen? Mal geht es um Wichtiges, mal um den Rest, aber immer gilt: Keine Angst, Müller will nur reden. Die Kolumne erscheint immer donnerstags und wird von Isabell Beck illustriert. Alle Folgen von “Müller will reden” zum Nachlesen.
Damit wird sie schnell auch eine Frage der Gleichheit. Eine freie Gesellschaft setzt voraus, dass jeder selbstbestimmt und ohne äußere Zwänge über sein Leben entscheiden kann. Das setzt ein gewisses Maß an Chancengleichheit voraus. Wenn Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Einkommen, von vornherein und unabänderlich die Entwicklung eines Menschen, würden echte Wahlfreiheiten schnell zur reinen Theorie. Trotzdem darf Freiheit nicht mit gesellschaftlicher Gleichmacherei verwechselt werden. Sie bringt nicht nur ein individuelles Recht, sondern auch eine gewisse Verpflichtung mit sicher. Denn der Preis der Freiheit heißt Verantwortung. Wer seine Entscheidung ganz ohne fremde Einflüsse trifft, kann nachher auch niemandem die Schuld an ihren Folgen zuschieben. Alle möglichen Fehler sind dann unsere Fehler und das kann ganz schön einschüchtern. Deshalb liegt Freiheit manchmal auch darin, sie bewusst nicht zu nutzen und Verantwortung abzugeben. Nur dürfen wir eine solche Entscheidung dann auch nicht als äußeren Zwang verkaufen.
Freiheit geht nicht allein
Besonders wichtig wird diese Verantwortung, wenn wir mit anderen zu tun haben. Der Grundsatz, dass die Freiheit des einzelnen ihre Grenzen in der Freiheit eines anderen finden muss, ist dabei nicht nur moralischer Natur. Eine Freiheit, die in der selbstbestimmten Entscheidung liegt, kann sich nur entfalten, wenn wir sie ergreifen. Dazu braucht immer einen gewissen Mut zum Risiko, aber auch ein Mindestmaß an Sicherheit, dass uns die Gesellschaft diese auch Freiheit gewährt. Wer zu rücksichtslos und auf fremde Kosten von der eigenen Freiheit Gebrauch macht, kann schnell ebensowenig auf die Rücksicht anderer vertrauen. Genau darin liegt allerdings die Grundlage eines gesellschaftlichen Klimas, das Freiheit überhaupt erst ermöglicht. Hinter dem Gefühl, frei zu sein, steckt ein fragiles Gleichgewicht individueller Interessen, das schnell erschüttert wird, wenn zu viele daran rütteln.
Doch was bedeutet Freiheit denn nun im Einzelnen? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht so genau. Nicht einmal, wenn es nur um mich ginge. Freiheit bleibt letztlich ein individuelles Bedürfnis, das wohl jeder von uns mit eigenen Inhalten füllen muss. Ich persönlich hoffe, dass Zeit und Erfahrung dabei helfen. Vielleicht liegt der Wert der Freiheit ja genau darin, uns eine eigene Interpretation und gelegentliche Irrtümer erlauben zu können. Bis dahin gilt: Freiheit schützt gegen die Willkür der Macht, Chancenlosigkeit und die Rücksichtslosigkeit anderer. In ihrem Kern steht die Möglichkeit, über unserer Leben selbst zu entscheiden, ohne fremden Druck und Einmischung. Damit gibt es aber auch keine Freiheit ohne Entscheidungen. Die mit Sicherheit erst einmal wichigste davon lautet, überhaupt frei sein zu wollen.