Das Einhorn ist tot, lang lebe das Alpaka!


© unsplash/ Carlos Ruiz Huaman

Es hatte ja wirklich schön angefangen zwischen dem Einhorn und uns: als Anfang 2017 zunächst zahlreiche Posts und Fotos zum Thema durchs Netz geisterten und der Hype sich langsam aber sicher auch im Einzelhandel abzeichnete, standen die meisten dem wiederentdeckten Fabelwesen durchaus neutral bis positiv gegenüber. Egal ob mit voller Überzeugung oder einer Prise Selbstironie, über das Motiv des gehörnten Phantasiepferds konnten viele zumindest lachen und manch einer hat sich sogar zu einem augenzwinkernden „So ein bisschen Glitzer im Leben schadet nicht“ hinreißen lassen.
Aber das Einhorn kam nicht alleine, sondern brachte seine ganz eigene Mentalität mit sich: Sprüche wie „Mir reicht’s, ich geh mein Einhorn streicheln“ und „Realität ist was für Menschen, die Angst vor Einhörnern haben“ zierten plötzlich Brotdosen, Turnbeutel und T-Shirts. Und zugegeben, das traf den Zeitgeist, denn wer beispielsweise Trump Präsident werden gesehen hat, dem kann man den Wunsch nach ein wenig Realitätsflucht nicht übelnehmen.
Doch irgendwann war auch das Einhorn vollkommen im Mainstream angekommen und aus Eskapismus, ein bisschen Surrealität und einem Hauch Magie wurde in erster Linie Kitsch, Kommerz und Karnevalskostüm. Inzwischen lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen: der Einhorn-Trend ist totgeritten. Doch seit einigen Monaten dominiert ein neuer Kandidat den Trendtier-Markt: das Einhorn ist tot, lang lebe das Alpaka!

Und dieser Trend ist deutlich sichtbar: auch in Augsburg kommt man kaum mehr an einem Geschäft vorbei, das keine Alpaka-Produkte führt. Schon aus dem Schaufenster schauen einen riesige Plüschversionen des beliebten Andenbewohners aus großen Kulleraugen an – Lama-Tassen,- Postkarten, – oder T-Shirts findet man in fast jeder Auslage. Aus Deutschland ist also das geworden, was Disney schon 2000 mit seiner „Kuzco“-Serie vorausgesagt hat: ein Königreich für ein Lama. Auch wenn das Alpaka durch seinen natürlichen Lebensraum in den Anden optimal auf steile Aufstiege vorbereitet ist, stellt sich trotzdem die Frage, wie es ihm so schnell gelungen ist, das noch vor kurzem so omnipräsente Einhorn zu verdrängen. Eine Spurensuche.

Am besten beginnt man vermutlich dort, wo heutzutage die meisten Trends entstehen: in den Untiefen des Internets. Und hier zeigt sich relativ schnell, warum das Alpaka als Lieblingstier des World Wide Web nahezu prädestiniert ist. Die oft treudoof dreinschauenden Weggefährten bieten auf allen Social Media Plattformen Steilvorlagen für zahlreiche Memes und Fotos, auf denen man Freunde verlinken kann. Wer schon mal ein Foto von einem frisch geschorenen Alpaka gesehen hat, wird dem Bedürfnis nur schwer widerstehen können, denjenigen Freund darauf zu markieren, der bei seinem letzten Haarschnitt eine eher fragwürdige Entscheidung gefällt hat. Und so ein Video von einem tiefenentspannt kauenden Lama lädt einfach dazu ein, Kommilitonen in der Prüfungsphase darauf mit einem witzigen Kommentar á la „Wir in der letzten Vorlesung, obwohl wir immer noch nichts für die Klausur gemacht haben“ zu taggen. Das Alpaka bietet also jede Menge Identifikationspotential für jegliche Lebenslagen.

Klar, hier kann man sicherlich zurecht einwenden, dass diese hohe Meme-Affinität auch auf zahlreiche andere Tiere zutrifft. Das Alpaka hat allerdings im Gegensatz zu Einhorn und Co. einen deutlichen Vorteil: man kann es auch hautnah im echten Leben betrachten. In Zoos, auf Bauernhöfen oder auf richtigen Alpaka-Farmen trifft man die flauschigen Wegbegleiter auch in Deutschland inzwischen zahlreich an. Das lässt sich sogar statistisch belegen: der Alpaka-Zuchtverband schätzt, dass sich die Zahl in Deutschland in den letzten 10 Jahren vervierfacht hat. Für den eingefleischten Fan ist es also deutlich einfacher, seine Liebe zu den flauschigen Tieren aus dem Netz ins echte Leben zu übertragen, als das bei anderen Internet-Helden wie Ottern und Erdmännchen der Fall ist. Alpakafarmen für Kindergeburtstage erfreuen sich größter Beliebtheit und auch Erlebnisdienstleister bieten zwischen Fallschirmsprüngen und Raftingtouren mittlerweile Alpaka-Wanderungen an. Fragwürdig ist sicherlich, ob es dabei zu ähnlich hohen Adrenalinausstößen kommt, gebucht werden sie aber trotzdem zahlreich. In den USA zieren die knuddeligen Tiere sogar Hochzeitsfotos. Weiße Schimmel vor der Hochzeitskutsche waren gestern, heutzutage fährt das Brautpaar in einem Alpaka-Wagen vor!

Was außerdem ein Faktor beim Siegeszug des Alpakas vor dem Einhorn war: die beiden Tiere beschreiben unterschiedliche Lebensgefühle. Während das Einhorn als magischer Begleiter (Fantasie-)Welten lediglich dekoriert, weiß das Alpaka sich in den entscheidenden Momenten durch energisches Spucken zu verteidigen. So gesehen kann das Alpaka auch als logische Fortsetzung des Einhorns betrachtet werden. Die Realitätsflucht hat sich auf Dauer nicht als praktikabel erwiesen und nun ist an ihre Stelle eine wehrhafte „Ich lass mir nicht alles gefallen“-Einstellung getreten. Oder anders gesagt: das Alpaka demonstriert auf den „Fridays for Future“-Veranstaltungen mit, während sich das Einhorn da schön rausgehalten hätte.

Zudem spricht das Alpaka auch eine ganz andere Klientel als das Einhorn an. Auch wenn sich während der Hochphase des gehörnten Magiewesens erstaunlich viele erwachsene Frauen, die der „Prinzessin Lilifee“-Phase schon lange entwachsen sind, mit Einhorn-Accessoires zeigten, hielt sich die männliche Bevölkerung bei diesem Trend zum größten Teil vornehm zurück. Ganz anders beim Alpaka: mangels pinken Schweifs, glitzernden Hufen und bunter Mähne bietet sich das Alpaka als Trend- und Identifikationstier für jedermann an. Die wenigsten Männer wären wohl auf die Idee gekommen, einen Freund unter einem Einhorn-Bild zu markieren. Aber den Kollegen schnell auf Facebook auf einem Video von einem enthusiastisch hüpfenden Alpaka markieren („Endlich Wochenende“) – kein Problem.

Soweit so gut, könnte man nun denken, dann werden wohl auch die nächsten Jahre im Zeichen des Alpakas stehen. Aber seit einiger Zeit zeichnet sich ein neuer Hype an der Trendtier-Front ab: das Faultier. Obwohl es schon vor einigen Jahren einen kurzen Aufschwung erlebt hat, gewinnt es in letzter Zeit zusehends an Beliebtheit. Woran das liegt? Nun ja, vergleicht man es in den vorher genannten Punkten mit dem Alpaka, zeichnen sich frappierende Ähnlichkeiten ab. Allen voran eignet sich das Faultier ebenfalls hervorragend, um Freunde auf Bildern zu markieren. Die natürliche Gemütlichkeit der Dschungelbewohner bietet einfach eine Steilvorlage für sämtliche Witze der Kategorie „Du, wenn du wieder den ganzen Sonntag im Bett verbringst“ oder „Ich, wenn mir jemand sagt, ich sollte mal wieder Sport machen“. Auch der 2016 erschienene Film „Zootopia“ hat zum Hype beigetragen. Millionenfach wurde der kurze Videoclip auf YouTube geklickt, in dem sich zwei Beamte in einer Behörde (verkörpert durch Faultiere) in minimaler Geschwindigkeit einen Witz erzählen und damit den ganzen Arbeitsbetrieb aufhalten. Einfach, witzig und für jeden nachzuvollziehen, der auf dem Amt schon mal drauf gewartet hat, dass sein Antrag ausgefüllt wird.

Einen gravierenden Unterschied gibt es jedoch: Faultiere kann man hierzulande ausschließlich in Zoos betrachten. Private Faultierhalter und -farmen existieren wohl kaum. Erschwerte Bedingungen für den Aufstieg zum nächsten Trendtier. Außerdem schlecht für’s Marketing: es liegt in der Natur der tiefenentspannten Tiere, dass Erlebnistouren wie „Faultier-Wanderungen“ eher schlecht zu realisieren sind.

Was sagt uns die Erfolgsgeschichte des relaxten Dschungelbewohners aber jetzt eigentlich über uns als Gesellschaft? Nach der Realitätsflucht durch die Einhörner und der wehrhaften Episode der Alpakas, folgt nun das gechillte Faultier, das zu sagen scheint „Hey, nimm dein Leben einfach nicht zu ernst“. Sie verkörpern durch ihren entspannten Lebensstil die Mentalität eines kalifornischen Surfers und würde es ihnen dafür nicht an zwei bis drei Fingern mangeln, sie würden vermutlich ständig den Surfer-Gruß zeigen. Auch wenn „Hang Loose“ in ihrer natürlichen Umgebung lebensgefährlich wäre. Das Faultier sieht alles ganz gelassen und entspannt, das passt hervorragend zu Trendsportarten wie Yoga und Meditation und dem Bestreben, zu mehr Natürlichkeit und innerer Zufriedenheit zurückzukehren. Abzuwarten bleibt, ob diese inneren Werte die Kommerzialisierung überleben werden.
Ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man sagen: Das Faultier ist auf dem Vormarsch. Auf sichere Indikatoren wie die Einführung eines Faultier-Emojis warten wir zwar bis jetzt vergeblich, allerdings findet man im Einzelhandel zwischen Alpaka-Produkten auch immer häufiger Shirts, Brotdosen und Karten mit Faultier-Aufdruck. Ob das Alpaka vollkommen verdrängt wird, ist allerdings fraglich. Denn das kann sich ja notfalls gegen sämtliche Trendtier-Konkurrenz gut zu Wehr setzen.