Der etwas andere Semesterstart

Einführungsveranstaltungen im neuen Semester fanden dieses Jahr meist von der Couch aus statt (@Philipp Gaag)

Brauner Zucker, Limette, 5 cl Rum, 6 cl Soda, crushed ice und ein paar Blätter Minze. Fertig ist der Mojito – dieses Jahr gibt es den selbstgemachten aus der eigenen Küche. Sieht zwar meistens nicht so schick aus wie der servierte an der Bar, schmeckt aber trotzdem. Und alle anderen, denen Cocktails doch zu aufwendig (oder zu süß) sind, holen sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Denn gleich geht’s los: der virtuelle Bar- und Cocktailabend für Studienanfänger*innen. Ein bisschen Aufregung ist schon dabei, schließlich ist das eine der ersten Veranstaltungen des Semesters. Die Kommiliton*innen kennt man bisher höchstens aus E-Mail-Verteilerlisten. Aber die Fachschaft hat sich Gedanken gemacht, viele Studis machen mit und die Veranstaltung geht schließlich bis in die Nacht.

Diese Erfahrung haben rund 80 Studierende gemacht, die bei einer der Cocktail-Partys der Fachschaft Informatik und Mathe dabei waren. Eine ganze Woche lang gab es Veranstaltungen im Rahmen der Mathe Info Wochen Augsburg. Auf Discord konnten sich die Studierenden in verschiedenen Channels treffen, Online-Games spielen, in verschiedene Clubräume switchen, oder sich in anderen Kanälen unterhalten und vernetzen. „Wir hatten allein fünf Gruppen, die zusammen ‚among us‘ online gespielt haben“, sagt Leon von der Fachschaft Informatik, der bei den Veranstaltungen dabei war. „Wenn dieses Jahr schon alles digital stattfindet, hatten wir an uns den Anspruch, dass wir Online-Events anbieten und das alles funktioniert. Wenn nicht wir als Fachschaft Informatik die Infrastruktur haben, wer dann?“

Eine berechtigte Frage, dachte ich mir und wollte der Sache auf den Grund gehen: Zwei Studienanfängerinnen der Universität und ein Studienanfänger der Hochschule Augsburg erzählten mir, wie sie ganz persönlich den Semesterstart erlebt haben.

„Gar nicht mal so schlecht“

Sofia studiert seit November Grundschullehramt an der Uni Augsburg (@Sofia)

„Der Studienstart war gar nicht mal so schlecht. Ich habe mir das Studentenleben zwar anders vorgestellt, aber es ging eigentlich alles ganz gut“ meint Sofia, die seit diesem Semester Grundschullehramt an der Uni Augsburg studiert. Für das Studium ist sie aus Hamburg hergezogen, in eine WG mit anderen Studierenden. „Ich glaube da hatten wir schon ein bisschen Welpenschutz, weil wir die neuen sind und jetzt alle online anfangen müssen.“ Die Dozierenden und die Tutor*innen seien alle sehr geduldig und engagiert, immer offen für Fragen. Durch Gruppenarbeiten in Zoom-Sessions würde man sich ein bisschen näher kennenlernen, aber sich privat zu vernetzten wäre da schwieriger. Das funktioniere besser über Whatsapp-Gruppen, sagt die Studienanfängerin. Manche Studierende haben Initiative ergriffen und zum Beispiel Kommiliton*innen gesucht, die in der Nähe wohnen und sich im Freien treffen wollten.

“Am Anfang war ich super aufgeregt, obwohl ich nur meinen Namen sagen sollte.”

Sofia über ihre ersten digitalen Veranstaltungen

Bis auf eine Veranstaltung, Schlittschuhlaufen im Eisstadion, finden bei ihr alle Veranstaltungen online statt. „Am Anfang war ich super aufgeregt, obwohl ich nur meinen Namen sagen sollte“ berichtet Sofia lachend. Das sei dann aber zum Glück besser geworden, besonders durch Breakout-Sessions, in denen man sich in vierer oder fünfer Gruppen besser kennenlernen konnte. Da hätte sie auch gelernt, über Zoom mit den Kommiliton*innen zu sprechen und konnte ein paar Gesichter kennenlernen.

Ob sie sich überlegt hatte, ihr Studium dieses Jahr nicht zu beginnen? „Auf jeden Fall, vor allem Anfang des Jahres habe ich nicht damit gerechnet, diesen neuen Lebensabschnitt schon jetzt zu starten”, sagt Sofia. Aber die Möglichkeiten seien jetzt sowieso begrenzt. Reisen oder die Arbeitsplatzsuche ist auch schwierig. Also ist sie doch bei ihrem Plan geblieben und zum Studieren schon dieses Jahr nach Augsburg gekommen.

“Eigentlich wollte ich reisen”

Vivien ist zum Studium der Sozialwissenschaften nach Augsburg gezogen (@Vivien)

Auch Vivien hatte sich über einen späteren Studienstart Gedanken gemacht. Nachdem sie im Sommer ihr Abitur gemacht hatte, wollte sie eigentlich jobben und reisen, der Studienstart war erst für später geplant. Die unfreiwillige Planänderung führte sie dann aber an die Uni Augsburg, wo sie seit November Sozialwissenschaften studiert. Obwohl Vivien keine Veranstaltungen in Präsenz besuchen kann, hat sie sich dafür entschieden umzuziehen und wie Sofia eine WG in Augsburg gefunden. „Wenn Studium, dann schon auch hinziehen. Das gehört für mich schon auch dazu. Ich wollte auch einen Neustart – ein bisschen raus von zu Hause.“ Durch ihre WG ist sie in Lockdown-Zeiten auch nicht allein. Das sei wichtig und bei anderen Studierenden im Wohnheim ganz anders, meint sie. Außerdem hätte sie großes Glück gehabt: Die Fachschaft Sowiso kümmerte sich um ihre Studierenden. Am Anfang des Semesters führten Studierende aus der Fachschaft noch privat Campusführungen und Stadtführungen in kleinen Gruppen durch, berichtet Vivien. Es gab einen online Bar-Abend und eine WhatsApp-Gruppe, in der ein paar Studis sich noch ‚live‘ verabredeten. „Durch Zufall oder wie auch immer saß ich da dann auch wirklich mit ein paar netten Menschen am Tisch, die jetzt auch so meine Leute sind“, sagt die Studentin. Sozialer Kontakt sei schon extrem wichtig – gerade am Anfang des Studiums in einer fremden Stadt.

Digitale Angebote der Universität

„Auf der Website der Uni Augsburg sind die Informationen übersichtlich dargestellt worden, auch im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten”, meint Sofia. Die Universität hat hier Hilfen und Informationen gesammelt: Unter dem „Digitalen Infopaket für Erstsemester“ finden Studienanfänger*innen zum Beispiel eine Einführung in den Digicampus oder einen Bibliotheksguide. Die Studienberatung startete das Programm „Studieren im Schatten von Corona“ mit dem sie Studierende ansprechen wollen, die frisch nach Augsburg gezogen sind. Das Programm ist derzeit mit 6 Teilnehmenden allerdings nur zur Hälfte belegt, wie Florian Reß von der Zentralen Studienberatung unserer Redaktion auf Nachfrage mitteilte. Andere Angebote wären aufgrund mangelnder Teilnahme und technischer Probleme noch gar nicht angelaufen. Herr Reß betonte aber auch, dass die Studienberatung ein zusätzliches Angebot für Studierende mit Doppelbelastung durch depressive Symptomatiken und coronabedingte Einschränkungen auf den Weg bringen werde. Ihr aktueller Fokus liege auf Einzelberatungen, die derzeit über Zoom und Telefon angeboten würden. Andere Angebote, wie die „Digtiale Initiativenstraße“, die vom AStA organisiert wird, laufen in den nächsten Tagen auch noch an.

Einführungsveranstaltungen an der Hochschule – mit Maske und Abstand

Die Hochschule startete das Wintersemester dieses Jahr einen Monat vor der Universität, am 1.Oktober. Die meisten Kurse der Studienanfänger*innen begannen zwar erst Mitte Oktober, die Einführungsveranstaltungen fanden aber schon davor statt, einige auch in Präsenz. Tim studiert seit diesem Semester Mechatronik an der Hochschule und berichtet von einer etwas holprigen Einführungswoche. „Am ersten Tag haben sich Studierende in einem Hörsaal getroffen, nur um ein Video anzuschauen – andere Kommiliton*innen kennenzulernen war schwierig, weil wir Abstand halten mussten und keine Gruppen bilden sollten”, erinnert er sich. Das funktionierte dann besser, als am nächsten Tag in Kleingruppen Stationen auf dem Campus abgelaufen wurden. Besondere soziale Kontakte knüpfte Tim hier aber nicht. Er kannte schon einige Kommiliton*innen durch eine Ausbildung, die er vor dem Studienstart abgeschlossen hatte.

Tim hat vor seinem Studienstart an der Hochschule schon eine Ausbildung zum Mechatroniker abgeschlossen (@Tim)

Mittlerweile laufen alle Veranstaltungen bei ihm digital. In Moodle hat er sich selbst eingearbeitet. Wenn Probleme aufkommen, gebe es auf Discord oder in Whatsapp-Gruppen aber immer die Möglichkeit, nachzufragen, sagt der Student. Außerdem würden die Dozierenden die Fragen in den synchronen Vorlesungen beantworten. Anders als in Präsenz sei das aber trotzdem, betont Tim. „Ich fand es am Anfang echt cool, das mal auszuprobieren und zu wissen wie das alles läuft. Aber jetzt merkt man halt nach und nach die Nachteile davon: dass man seine Kommilitonen nicht kennenlernt oder dass man nicht einfach so mal schnell was fragen kann. Und der Dozierende sieht natürlich nicht, ob wir es jetzt verstanden haben oder nicht – in Präsenz würde er vielleicht nochmal nachhaken, wenn er in 60 verdutzte Gesichter schaut.“

Resümee: Das Semester ist für viele besser angelaufen als gedacht

„Natürlich war es am Anfang ein bisschen chaotisch – aber das hat sich jeder denken können und das ist ja der aktuellen Lage geschuldet,“ sagt Tim am Ende unseres Gesprächs. „Dafür hat man das schon auf eine sinnvolle Art und Weise lösen können, sodass eigentlich jeder mitgekommen ist. Das Onlinesemester ist natürlich anstrengender für jeden. Aber umso anstrengender es geworden ist, desto mehr haben sich da alle dahintergeklemmt und versucht das wirklich alles auf die Reihe zu bekommen. Die Dozenten, sowie meine Kommilitonen und ich, wir ziehen alle an einem Strang.“

“Umso anstrengender es bis jetzt eigentlich geworden ist, umso mehr haben sich da alle dahintergeklemmt und versucht das wirklich alles auf die Reihe zu bekommen. Die Dozenten, sowie meine Kommilitonen und ich, wir ziehen alle an einem Strang.”

Tim über das Engagement der Beteiligten an der Hochschule Augsburg

Die schwierige Situation dieses Semester haben viele durch Engagement und kreative Ideen zu lösen versucht. Sofia, Vivien und Tim betonen, dass sie Glück mit ihren sozialen Kontakten hatten, weil sie schon zuvor Studierende an Uni oder Hochschule kannten, durch ihre WG Kontakte knüpfen konnten oder Glück bei ihren Erstsemesterveranstaltungen hatten. Andere Studierende hätten es da schwerer und weniger Erfolg gehabt.

Was hätten sich Erstis rückblickend gewünscht?

Sofia hätte sich gewünscht, dass der Anmeldeschluss für die Einführungsveranstaltungen nicht ganz so früh gewesen wäre, so dass man diese noch kurzfristiger hätte besuchen können. Eine persönlichere Betreuung durch Studierende aus höheren Semestern wäre außerdem eine gute Idee gewesen, meint sie: „Denn im digitalen Format, in dem man sich höchstens über das Bildschirmfenster sieht, ist die Hemmschwelle, in einer Veranstaltung eine Frage zu stellen, oft hoch. Persönliches Kontaktieren funktioniert da besser, aber mit einer Patin oder einem Paten hätte ich mich noch besser aufgehoben gefühlt.”

Einige Dozierende zeigen auch deutlich mehr Engagement im digitalen Semester, als andere. Vivien berichtet, dass manche Dozierende ihre Online-Seminare noch gar nicht gestartet haben, sondern nur Texte verschickten, die die Studierenden lesen sollen. Gerade am Anfang, ohne persönliches Gesicht oder fachliche Einführung, ist die Motivation da schwer zu finden. Außerdem kann es auch anstrengend sein, dass vieles über WhatsApp läuft, bemerkt die Studierende noch: „Wenn man eine halbe Stunde nicht auf sein Handy schaut und dann 100 neue Nachrichten hat, liest man im Nachhinein auch nicht mehr alles.“

Der herbstliche Campus blieb diesen Oktober leider leer (@Anne Eberhard)

In das erste Semester haben die drei Studierenden einigermaßen gut hereingefunden. Unabhängig davon, dass sie für sich ein überwiegend positives Bild des Semesterstarts zeichnen, ist bei ihnen jedoch – wie bei uns allen – die Vorfreunde auf die kommenden „nicht-Corona-Semester“ groß.