Über Sex und Sexualität sprechen? Das fällt vielen Menschen schwer. Sex(ualität) ist etwas sehr privates und intimes. Kommt das Wort Behinderung dazu entstehen viele Fragen.
„Können Menschen mit Behinderung Sex haben?“, ist dabei vermutlich die häufigste. Deshalb gleich zu Beginn die Antwort: „Ja.“ Und das sollte auch jede:r wissen. Menschen mit Behinderung haben genauso sexuelle Bedürfnisse wie alle anderen auch und wollen diese auch ausleben.
„Aber ist der Sex nicht komplizierter?“ Ist Sex nicht immer kompliziert? Es sind zwei (oder mehr) verschiedene Personen, die sich aufeinander einlassen. Das dabei nicht alles (sofort) reibungslos klappt ist normal. Jede:r hat unterschiedliche Vorlieben, sieht anders aus. Jede:n neue Partner:in muss man erst kennenlernen und ausprobieren, was der Person gefällt. Ob die Person eine Behinderung hat, sollte dabei keine Rolle spielen. Das klingt selbstverständlich, ist es aber selbst für Betroffene manchmal nicht.
Zec Richardson, ein Blogger und Produktbewerter, schreibt in einem Artikel des Online Magazins Disability Horzions nach Erhalt seiner Diagnose des Chronic Fatigue-Syndrom:
“One of the first things I was worried about wasn’t losing the ability to walk, it was saying goodbye to my sex life.”
Die Angst mit einer Behinderung kein Liebesleben (mehr) zu haben, ist da. Aber ist das tatsächlich so?
Selbstbefriedigung
Selbstbefriedigung ist ein Bestandteil im Alltag vieler Menschen. In einer Umfrage von YouGov aus dem Jahr 2016 gaben ein Drittel der Befragten Männer an mehrmals in der Woche zu masturbieren. Bei den Frauen machten knapp zehn Prozent diese Angabe.
Natürlich zählen dazu auch Menschen mit Behinderung. Einige Personen mit Behinderung können sich aber nicht ohne Hilfe selbstbefriedigen, da beispielsweise ihre Arme zu kurz sind. Sie sind auf sexuelle Assistenz angewiesen, deren Kosten sie selbst übernehmen müssen.
Was ist sexuelle Assistenz?
Allgemein werden unter sexueller Assistenz Unterstützungsangebote für Personen mit Behinderung mit einem speziellen Hilfsbedarf bezeichnet, die ihnen helfen ihre Sexualität leben zu können. Man unterscheidet zwischen passiver und aktiver Assistenz.
Unter passiver Assistenz werden alle Maßnahmen verstanden, die zur Verwirklichung der eigenen Sexualität führen, wie die Beschaffung von Materialien und Hilfsmitteln, Information und Beratung über Praktiken, Besorgung von pornografischen Inhalten oder die Kontaktvermittlung zu Prostituierten.
Bei aktiver Sexualassistenz sind die Mitarbeitenden in die sexuelle Handlung miteingebunden. Sie helfen den Personen ihre Sexualität (mit ihrem:r Partner:in) zu leben.
Davon zu unterscheiden ist Sexualbegleitung. Sexualbegleiter:innen bieten gegen Bezahlungen sexuelle Dienstleistungen an, wie erotische Massagen, Handentspannung oder auch Geschlechtsverkehr. Noch ist die Bezeichnung Sexualbegleiter:in keine geschützte Berufsbezeichnung. Allerdings bildet das Institut zur Selbstbestimmung Behinderter (ISBB) Sexualbegleiter:innen aus und stellt ein Zertifikat aus.
Beziehungen
Genau wie alle leben Menschen mit Behinderung auch in Beziehungen. Sex spielt dabei natürlich auch eine Rolle. „Sex mit Behinderung ist anders, oft komplizierter, aber qualitativ gewiss nicht schlechter“, schreibt Wheelymum, eine Bloggerin und Mutter mit Behinderung und chronischer Krankheit, in ihrem Blog. „Aber [kann] Sex ohne Behinderung nicht auch oft kompliziert sein?“
Auch Zec Richardsons Befürchtung eines unerfüllten Sexuallebens traten nicht ein. Er schreibt sogar: “And yes, despite […] changes, I still say that our sex life now is better than it was before!”
Aber es gibt auch Probleme. In einigen Beziehungen in denen beide Partner:innen eine Behinderung haben und auf sexuelle Assistenz angewiesen sind, kann es sein, dass sich die Personen nur selten Sex leisten können. Das liegt daran, dass sie die Kosten für die sexuelle Assistenz selbst tragen müssen.
Gleichberechtigung?
Von Gleichberechtigung kann man an dieser Stelle nicht sprechen. Nur um etwas alltägliches wie Sex mit dem/der Partner:in oder Selbstbefriedigung erleben zu dürfen, viel Geld zu bezahlen.
Viele wünschen sich daher, dass die Kosten für die sexuelle Assistenz, für Personen, die darauf angewiesen sind, um ihre Sexualität auszuleben, vom Staat übernommen werden sollten.
Darüber, ob der Staat auch für die Kosten von Sexualbegleitung aufkommen sollte, sind die Meinungen in der Community gespalten. Die einen sehen Sexualbegleitung als Weg, um sexuelle Erfahrungen machen zu können. Die anderen fürchten dadurch entstehe das Bild, Menschen mit Behinderung würden nur miteinander oder mit einem:r Sexualbegleiter:in Sex haben (können).
Der Staat lehnt von seiner Seite aus Unterstützung ab. Laut einem Gutachten fallen sowohl Sexualassistenz als auch Sexualbegleitung nicht in die Eingliederungshilfe, die die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft fördern soll. Weiter heißt es in der Einschätzung „[u]nter Geltung des Grundgesetzes sei die Aufgabe der Sozialhilfe darauf beschränkt, dem Leistungsempfänger ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Ein Leben in Würde sei nach Auffassung des Gerichts auch ohne die begehrten Sexualkontakte möglich.“
Die aktuelle Gesetzeslage ist noch ausbaufähig. Deshalb ist es wichtig über Sexualität und Behinderung zu sprechen, damit wir alle auf die Situation von Menschen mit Behinderung aufmerksam werden.
Falls ihr weiteres Interesse an dem Thema habt, hier sind einige spannende Instagram-Profile, Blogs und Webseiten zum Thema Behinderung (und Sexualität).
Ein englischsprachiges Online-Magazin von Menschen mit Behinderung, die über verschiedene Themen zum Leben mit Behinderung schreiben.
Raul Krauthausen ist ein Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit.
Wheelymum ist eine Bloggerin, die über ihren Alltag als Mutter im Rollstuhl und mit chornischer Krankheit schreibt.
Chris schreibt in seinem Blog über Queerness, Sexualität und Behinderung.