Es ist der erste Schultag des Jahres heute, der 14. September. Katrin Fischer sitzt in einem Eiscafé, die Beine überschlagen. „Es war entspannt heute,“ sagt sie, „die Kinder und ich kannten uns schon, ich hatte die Klasse schon letztes Schuljahr.“ Einen ersten Schultag hat Katrin Fischer schon oft erlebt: Seit über 30 Jahren ist sie Lehrkraft, arbeitet an einer Mittelschule. Als Mitglied im örtlichen Personalrat des Schulamtes Augsburg-Land und als stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes der GEW, setzt sie sich auch außerhalb ihrer Lehrtätigkeit für die Belange von Lehrkräften und für bildungspolitische Themen ein.
Sich für bildungspolitische Themen einzusetzen, das sei jetzt besonders wichtig, sagt Fischer. Und: „Ich habe eine ganz schöne Wut im Bauch, auch wenn ich so ruhig darüber rede.“
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie hätten die Bildungsungleichheit verstärkt – wie sehr, und wer besonders davon betroffen sein wird, das werde man erst später sehen. „Wir werden erst später erfahren, wer sein Studium abgebrochen hat, um lieber eine finanziell abgesicherte Ausbildung zu machen oder wer erst gar nicht angefangen hat zu Studieren. Wir werden auch erst später sehen, wer die größten Defizite in den Schulen tragen muss. Auf jeden Fall bedeuten die Auswirkungen aber einen massiven Rückschritt für die Bildungsgleichheit,“ sagt Fischer. Deshalb plane die GEW bereits jetzt einen Bildungsprotest im Oktober: Am 23.10 soll auf Missstände, wie den Lehrkräftemangel oder die fehlende Unterstützung der Studierenden während der Corona-Pandemie, aufmerksam gemacht werden.
Der Protest findet damit gut vier Wochen nach der Bundestagswahl statt, abgekoppelt vom Wahlkampf. Das hängt auch damit zusammen, dass Bildungspolitik in Deutschland Ländersache ist. Trotzdem müssten Bildungsthemen präsenter sein in der aktuellen, öffentlichen Debatte, sagt Fischer. „Generationen sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, auch nicht bei der anstehenden Bundestagswahl. Aber die Frage, die sich jetzt alle stellen müssten, ist ‚Was brauchen die Jüngeren in unserer Gesellschaft?‘“ Denn Jüngere hätten oft keine Lobby, und als Wahlberechtigte sind sie in der Minderheit: Während 57% der Wahlberechtigten bei dieser Wahl über 50 Jahre alt sind, stellen die unter 30-Jährigen nur 14,4%.
„Der Bildungsbereich darf kein Sparbereich sein,“ sagt Fischer. Genau das sei jedoch oft der Fall. Studierende wurden während der Coronapandemie nur sporadisch unterstützt – oft seien es nur „Symbolhandlungen“ gewesen, keine wirksamen Hilfen. An den Schulen herrscht Lehrkräftemangel, die Digitalisierung wurde lange Zeit vernachlässigt. Der Lehrkräftemangel sei dabei hausgemacht: So vorhersehbar er gewesen sei, so sehr sei er durch die Sparpolitik und die Einhaltung der schwarzen Null bedingt gewesen. „Man hat sich auch mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, Quereinsteiger zu qualifizieren,“ fügt Fischer hinzu. Wird Bildungspolitik nicht ernstgenommen, verstärke das die Bildungsungleichheit drastisch. Die Sparpolitik falle dann vor allem auf Schüler:innen zurück, die auf weniger Ressourcen, wie Unterstützung von Zuhause und finanzielle Ausstattung, aufbauen können.
Auch die fehlende Unterstützung der Studierenden kritisiert die Gewerkschafterin: die Umstellung aufs Homeoffice, oft ohne Anleitung, die lange Schließung der Bibliotheken, die mitunter zur Verlängerung der Studiendauer führte, die oft unklare Kommunikation. „Die Online-Formate bedeuten eine gewisse Ökonomisierung der Lehre und eine Verengung des Studiums auf die Wissensaneignung,“ sagt Fischer. Sowohl für das Studierendenleben als auch für das Lernen, brauche es dagegen die richtigen Rahmenbedingungen: „Studierende werden oft über ihr Studentenleben wahrgenommen, also WG-Partys und Feiern, und das ist ja auch wichtig. Aber man darf nicht vergessen, was für ein Studium an Selbststeuerung und Disziplin wichtig ist. Das lernen viele Studierende erst und dabei brauchen sie Anleitung und die richtigen Bedingungen.“
Um Defizite, welche durch Distanz- und Wechselunterricht entstanden sind, aufzuholen, stellen Bund und Länder Gelder für Brückenprogramme zur Verfügung. Dabei gehe es nicht nur um inhaltlichen, sondern auch um sozialen Nachholbedarf, betont Fischer. Oft stehe jedoch zu wenig Personal zur Verfügung, um die Brückenprogramme gut umsetzen zu können. Ähnlich wie beim Lehrkräftemangel falle das dann wieder auf die Schüler:innen mit dem größten Förderungsbedarf zurück.
Die aktuelle Situation sei verantwortungslos gegenüber Schüler:innen und Studierenden, so Fischer. „Wie ein Ausgleich geschaffen werden kann für die Defizite aufgrund der Pandemie, das muss viel mehr Aufmerksamkeit erregen. Viele junge Menschen machen jetzt die Erfahrung, dass sie ein Stück weit sich selbst überlassen sind. Was macht diese Frustration mit ihnen – jetzt und in ihrem weiteren Leben?“
Katrin Fischer und die GEW hoffen, in den vier Wochen bis zum 23. Oktober Schüler:innen, Studierende, Lehrkräfte und Eltern zu mobilisieren, um mit ihnen an diesem Tag laut zu werden. Sie möchten ihre eigenen Mitglieder mobilisieren, aber auch eine neue Öffentlichkeit erreichen, um ihre Anliegen nach außen zu tragen.