Der Instagramaccount @about.kollektiv fällt durch journalistische Beiträge zu hochaktuellen Themen wie Rassismus, aufwendig geschnittene Videos und ein professionelles Layout auf. Die Biografie verrät, dass es sich um ein „junges Medienkollektiv aus Augsburg“ handelt. Wer steckt hinter dem Account und wollen die Redakeur_innen den Journalismus neu erfinden? Was wollen sie anders machen als klassischen Medien? Und was bedeutet es überhaupt, ein Kollektiv zu sein? Presstige hat sich mit Max Pieper zum Gespräch getroffen. Er ist 25, promoviert an der Uni Augsburg und leitet @about.kollektiv.
Presstige: Wer steckt überhaupt hinter @about.kollektiv?
Max: Laura Sattelmair und Felix Baptist haben das Kollektiv Mitte 2020 als Uni-Projekt gegründet, bei dem sie Leute in Bezug auf Black Lives Matter interviewt haben. Ich bin Anfang dieses Jahres dazu gestoßen und habe inzwischen die Leitung übernommen. Wir sind gerade noch etwas in der Findungsphase und überlegen, wie wir das Projekt weiterlaufen lassen können. Aktiv sind aktuell etwa 8 Leute, darunter viele Studierende, aber auch Absolvent:innen und ein professioneller Fotograf. Alle haben Lust, sich journalistisch auszuprobieren. Am Anfang war es als Augsburger Kollektiv gedacht – weil wir uns jetzt vor allem digital treffen, sind inzwischen aber zum Beispiel auch Leute aus Würzburg und Dortmund mit dabei.
Presstige: Seid ihr denn ein professionelles Medienunternehmen oder seid ihr ehrenamtlich engagiert?
Max: Momentan ist es für alle ein Freizeitprojekt. Aber das Ziel ist schon, dass wir eine Regelmäßigkeit reinbekommen und man uns vielleicht auch über die Grenzen Augsburgs hinweg wahrnimmt. Es sind super viele Leute mit kreativen Ideen dabei, also ich kann mir vorstellen, dass es sich in alle Richtungen weiterentwickelt.
Presstige: Warum seid ihr ein MedienKOLLEKTIV und was bedeutet das überhaupt?
Max: Ich glaube, es ist der Gedanke, dass jeder mitmachen kann, der will. Und jeder, der will, bekommt eine Plattform. Wir sind in diesem Sinne keine Gatekeeper. Wir haben natürlich eine klare gesellschaftliche Haltung zu bestimmten Themen; wir haben eine linke Ausrichtung und es geht viel um Gerechtigkeitsthemen, um Nachhaltigkeit und darum, gesellschaftskritisch die Gegenwart zu betrachten. Und klar suchen wir nach diesen Kriterien aus, welche Inhalte wir hochladen – aber zu unserer Redaktionssitzung kann jeder kommen, der Lust hat und seine Ideen einbringen möchte. Wir machen auch regelmäßig Aufrufe an die Zuschauenden, sich zu beteiligen. Also die Grenzen zwischen Zuschauenden und Erstellenden sind geringer.
Presstige: In eurer Biografie schreibt ihr, dass ihr euch mit Rassismus, Sexismus und Gewalt auseinandersetzt. Was sind denn allgemein eure Themen?
Max: Vor allem das, was uns und die Leute in unserem Umfeld beschäftigt. Wir fragen uns häufig, welche interessanten Personen wir in unserem Umfeld kennen und so entstehen meistens Themen. Dadurch sind die Themen recht wandelbar, aber ich glaube Gerechtigkeitsthemen sind der größte Aspekt. Da ist Rassismus natürlich ein riesiges Thema, aber zum Beispiel auch Klimaungerechtigkeit.
Presstige: Wen wollt ihr erreichen und wen erreicht ihr bereits?
Max: Wir wollen ein Gegengewicht zu dem, was sonst so auf Instagram ist, darstellen. Das ist natürlich nicht ganz einfach, weil Instagram an sich ein oberflächliches Medium ist. Leute stellen sich selbst dar und viele Inhalte sind nach einem Tag oder nach einer Woche schon wieder egal. Wir wollen aber darüber nicht meckern, sondern stattdessen Inhalte mit Substanz produzieren, die nicht nach einem Tag hinfällig sind, sondern die man sich auch noch in ein paar Jahren ansehen kann. Und Leute, die das anspricht, denen wird gefallen, was wir machen.
Aus den Instagram-Statistiken weiß ich, dass wir überwiegend weibliche Abonnenten haben, etwa 65%. Der größte Teil ist zwischen 25 und 30 Jahre alt und der zweitgrößte zwischen 18 und 25.
Presstige: Hast du eine These, warum ihr mehr weibliche Abonnenten habt?
Max: Das ist eine gute Frage. Anscheinend beschäftigen sich Frauen mehr mit Gerechtigkeitsfragen und sind da überdurchschnittlich engagiert im Vergleich zu Männern. Das sieht man ja zum Beispiel auch bei Fridays For Future und den Leuten, die da im Vordergrund stehen.
Presstige: Was wollt ihr anders machen als klassische Zeitungen, Radiosendungen, TV-Sendungen etc.?
Max: Ich tue mich sehr schwer mit diesen ultra-tagesaktuellen Sachen. Ich habe das Gefühl, das ist teilweise komplett nichtiger Journalismus, weil es sich so schnell wieder aufhebt. In einem halben Jahr wird zum Beispiel niemand mehr darüber reden, was die Spekulationen bei den Ampelverhandlungen waren. Das hat so wenig Mehrwert und ist so kurzlebig. Ich finde, das lohnt sich nicht, da Arbeit reinzustecken.
Ich nehmen auf jeden Fall wahr, dass wir Teil einer Bewegung von Plattformen sind, die gerade auf Instagram groß werden und sich mit gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzen.
Presstige: Welche Haltung nehmt ihr als Medienschaffende ein?
Max: Es geht immer darum, die Gesellschaft und die Gegenwart, in der wir leben, zu verstehen. Wir haben den Ansatz, dass wir keinen neutralen Journalismus betreiben wollen – wenn es denn sowas überhaupt gibt, weil selbst bei den ganz neutralen Medien ja immer Wertvorstellungen mitschwingen.
Unser Ansatz ist, Leute zu interviewen, die mit bestimmten Themen Erfahrung gemacht haben, zum Beispiel Rassismus. Damit nicht so kühl von oben herab das Gesellschaftssystem betrachtet wird, sondern damit man hört, wie Leute, die damit konfrontiert sind, das wahrnehmen. Damit es auch einen persönlicheren Zugang zu solchen Themen gibt. Das Ziel sollte sein, einzelne Sichtweisen hervorzustellen und die dann wiederum in einen größeren Kontext zu setzen.
Presstige: Würdet ihr selbst euch überhaupt als Journalist:innen bezeichnen, wenn ihr von euch sagt, dass ihr gar keine neutrale Haltung einnehmen wollt?
Max: Ja, das würde ich schon sagen. Ich finde das eher blöd, so riesige Hürden aufzubauen, um Journalist:in zu werden. Also zum Beispiel, dass man eine Journalistenschule besuchen muss. Ich denke, das ist immer „learning by doing“ und ich sehe nicht, was dagegenspricht, sich das selbst beizubringen. Und ich würde sagen, kein Journalismus ist neutral. Es sind immer Wertvorstellungen, die da mitschwingen. Allein die Themenwahl zeigt ja schon, was dem/der einzelnen Journalist:in wichtig ist oder nicht. Was dann Journalismus zu Journalismus macht, ist, dass man die Sachen reflektiert und nicht nur eine einzelne Stimme zu einem Thema präsentiert, sondern den Leuten Anregungen gibt, wo sie sich weiter informieren können. Und mehr Fragen stellen als Antworten geben.
Presstige: Ihr habt auch viele lange Videos auf eurer Instagramseite, obwohl sich auf der Plattform vor allem Inhalte, die nur wenige Sekunden lang sind, gut verkaufen. Wollt ihr in Zukunft eure Formate dem Algorithmus stärker anpassen?
Max: Das ist eine der wichtigsten Fragen, die in den nächsten Wochen und Monaten ansteht. Wollen wir langformatige Videos machen, die es natürlich super schwer auf einer Plattform wie Instagram haben? Anderseits finde ich es schon charmant, solche Inhalte auch auf dieser Plattform zu haben. YouTube ist ja DAS Format für solche langen Videos. Aber gleichzeitig ist YouTube auch das Format, bei du überhaupt nicht mit Leuten vernetzt bist. Wir versuchen einen Mix zu schaffen und haben zu unseren Videos zum Beispiel auch immer Zitate, die man schneller wahrnehmen kann. Es ist schwierig, weil man sich wahrscheinlich den Regeln einer Plattform irgendwann fügen muss. Aber ich hoffe, dass es dann eine Balance gibt und man den dominanten Inhalten auch etwas gegenüberstellt.
Presstige: Wie sieht der Arbeitsprozess aus, wenn ihr ein Thema bearbeitet?
Max: Dadurch, dass wir eine klare Haltung vermitteln, ziehen wir wahrscheinlich auch einen bestimmten Personenkreis an und sind uns dann meistens recht einig, was die Themen anbetrifft. Deshalb sind die Debatten nie grundsätzlich über die Themen, sondern wir reden eher darüber, auf welche interessante Weise wir ein Thema beleuchten können. Ich finde es auch befreiend, dass wir noch keine rigiden Arbeitsstrukturen haben.
Presstige: Findest du, dass man es auch kritisch sehen kann, dass ihr euch so ähnlich seid in Werten und Einstellungen?
Max: Ja, wahrscheinlich schon. Man könnte schon sagen, dass man unterschiedlichere Perspektiven reinbringen sollte. Anderseits tue ich mir auch immer schwer damit, wenn journalistischen Medien sagen, sie sind „Medien der Mitte“. Ich weiß gar nicht so genau, ob diese Mitte existiert. Es gibt ja Fragen, wie zum Beispiel ob man für gesellschaftliche Gleichstellung ist, auf die kann man klar mit „Ja“ oder „Nein“ antworten. Und glaube auch nicht, dass es falsch ist, Leuten, die schon eine gewisse Meinung haben, auch die Argumente dafür zu geben, warum ein bestimmtes Thema wichtig ist.
Ich glaube, dass man alle Themen immer von einer bestimmten Perspektive aus betrachtet. Es ist nie so, dass man die Argumente bekommt und dann eine Perspektive einnimmt. Man ist immer schon voreingenommen. Man kann den Punkt, von dem man startet, natürlich justieren. Aber er ist immer da.
Presstige: Denkst du denn, Journalismus und Aktivismus sind miteinander vereinbar?
Max: Ich glaube Journalismus ist schon damit vereinbar, eine bestimmte Haltung zu haben und dementsprechend sich seine Themen zu suchen – und Aktivismus macht das im Prinzip auch. Aber wahrscheinlich neigt Aktivismus eher dazu, dogmatisch zu sein. Und ich finde, das gilt es im Journalismus zu verhindern. Wahrscheinlich ist da die größte Trennlinie zu ziehen. Das kritische Hinterfragen von Themen ist im System Aktivismus wahrscheinlich weniger angelegt als im Journalismus.
Presstige: Was sind denn eure Ziele?
Max: Neuen Blickwinkel zu bekommen. Das ist das coolste überhaupt, wenn du eine Person für ein Video oder ein Thema begeistern kannst. Wir machen das, was unserer Meinung nach bisher nicht repräsentiert ist. Damit man nicht eine Talkshow hat, bei der fünf weiße Menschen über Rassismus reden. Und wenn wir dann ein Video zeigen können, in dem jemand Betroffenes von Rassismus redet, und das etwas mit dem/der Rezipient:in macht, dann ist alles erreicht.
Vielen Dank für das Gespräch!