Queere Themen werden in letzter Zeit immer sichtbarer, die Welt bunter. Das zieht sich durch viele Bereiche der Gesellschaft. Auch in Büchern hält immer mehr Diversität Einzug, doch es bleibt noch viel zu tun. Wir haben uns mit der queeren Autorin Jess Schönrock unterhalten, welche diesen Sommer ihren Debütroman “Verliebt in Leander” veröffentlicht hat. Jess ist Anfang des Jahres von Berlin nach Augsburg gezogen, wo sie sich neben ihrer Arbeit und dem Traum vom Schreiben für die Sichtbarkeit queerer Belange einsetzt. Sie hat uns spannende Einblicke in ihren Schreiballtag und die queere (Buch-)Community gegeben.
In den letzten Jahren habe sich viel in der queeren Community verändert und die Offenheit und Akzeptanz ihr gegenüber sei gewachsen, meint Jess. Allerdings ist sie überzeugt, dass es noch reichlich Luft nach oben gibt und es ein langer Prozess bis zur kompletten Gleichberechtigung ist. Mit ihren Büchern versucht sie zu vermitteln, was die Community ausmacht, was die verschiedenen Begrifflichkeiten bedeuten und wie die Lebensumstände queerer Personen sind.
“Ganz egal, wen wir lieben, wie wir uns identifizieren, wer wir sind, was wir sein möchten. Wir alle sind gleich.”
Das möchte sie gezielt vermitteln und in der Literatur eine reale Darstellung queerer Lebensrealitäten abbilden. Ganz klar ist Jess gegen die Reproduktion von Klischees oder Stereotypen in Büchern.
In ihrem Roman “Verliebt in Leander” wird die Liebesgeschichte von zwei jungen Männern beschrieben, die über Umwege schließlich zu ihrer Liebe finden. Für den Entstehungsprozess hat sich Jess viel mit Männern, die Männer lieben, ausgetauscht, um die Geschichte in ihrem Buch möglichst realistisch zu beschreiben. Inklusive Sprache sei ihr besonders wichtig, schließlich soll sich jede:r in ihren Romanen wiederfinden. In “Verliebt in Leander” gendert sie in der Paarform, zukünftig in der neutralen Form.
Warum sie sich dazu entschlossen hat, sich der Liebe zu widmen? Weil sie es einfach “super spannend” findet, über Emotionen zu schreiben. Diese können schließlich unglaublich vielfältig sein und genau das macht ihr Spaß daran. Jess Schönrock betont zudem, dass Liebe das schönste Gefühl sei, das wir auf dieser Welt haben, und ist der Meinung, dass wir noch mehr davon brauchen.
Wie viel von ihr selbst in ihrem Debüt steckt, will sie nicht verraten. Aber natürlich sind persönliche Erfahrungen und Eindrücke mit eingeflossen. Zum Beispiel von Urlaubsorten, Cafés oder Städten. Ihre Inspiration für ihre Bücher findet sie im Alltag. “Manchmal wache ich auf und habe die Geschichte im Kopf”, meint sie augenzwinkernd. Ob die Charaktere oder die Handlung zuerst da sind, ist ganz unterschiedlich. Wenn sie mit einem neuen Projekt beginnt, füllt sie für ihre Charaktere zunächst Charakterbögen aus, die bis zu sechs Wordseiten lang sind. Die darin enthaltenen Informationen finden nicht alle ihren Weg in die Geschichte, aber es hilft ihr, ihre Charaktere auszugestalten und sie besser kennenzulernen.
Mit ihren Büchern möchte sie Menschen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Gerade für jüngere Menschen sei es wichtig, das Gefühl zu vermitteln, “dass wir so, wie wir sind, absolut normal sind.” Sie hätten ein Recht darauf, dass ihnen mehr als die Diskriminierung und Queerfeindlichkeit entgegengebracht wird, die sie jeden Tag erleben. Aber auch in der queeren Community gebe es sehr viel Diskriminierung. Jess wünscht sich, dass die einzelnen kleinen Gruppen zusammenrücken und gemeinsam für ihre Rechte kämpfen, um somit der Gesellschaft zu zeigen, dass sie dazugehören: “Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen außerhalb der Community das auch endlich verstehen.” Ihr sei bewusst, “dass wir sehr viele Menschen haben, die akzeptieren und respektieren, wer wir sind, aber es gibt auch noch genug, die dagegenhalten.”
Wenn Personen kein Verständnis für queere Themen haben, reagiert sie situationsbedingt – der Ton sei hierbei wichtig. Doch solange sich die Menschen noch für queere Themen interessieren und Fragen stellen, findet sie es wichtig aufzuklären. Schließlich können diese Menschen irgendwann auf ihrer Seite stehen. Zum Beispiel bei Petitionen, Wahlen oder anderen Entscheidungen. Dem Aufklärungsbedarf stellt sich Jess gerne. Es gibt auch Personen, die aufgrund von Diskriminierungserfahrungen nicht offen über queere Themen sprechen können. An dieser Stelle sei es wichtig, dass andere dann für diese Personen einstehen, meint sie. Aufklärung sei extrem wichtig, um für mehr Verständnis zu sorgen.
Deswegen ist es ihr auch sehr wichtig, die Bewegung von anderen queeren Medienschaffenden zu unterstützen, die in Literatur sowie Film und Fernsehen Geschichten mit positiver Repräsentation schaffen. So könnten sich jüngere oder auch ältere Menschen, die vielleicht auch erst in späteren Jahren beginnen, ihre Identität zu finden, darin wiederfinden und damit wohlfühlen. Wenn das gelingt, hätten die Medienschaffenden eine ganze Menge geschafft.
Jess meint, dass auch nicht-queere Autor:innen queere Geschichten schreiben dürfen. Jede:r soll schreiben, was er:sie schreiben will. Ganz einfach. Eine gute Recherche setzt sie allerdings bei jedem:r Autor:in voraus. Auch Sensitivity Reader, also Personen, die bei sensiblen Themen gegenlesen, und/oder Testleser:innen sollten zu Rate gezogen werden. Own Voice ist ihr dennoch wichtig. Das bedeutet, dass von bestimmten Themen betroffene Personen über ihre Erfahrungen schreiben. Jedoch möchte sie niemanden davon abhalten, queere Literatur zu verfassen.
Für den Weg des Selfpublishing entschied sich Jess bewusst, da sie sich alle Freiheiten bewahren wollte. Sowohl was das Cover, den Klappentext und das Marketing angeht, als auch darüber, was sie schreibt und wie sie schreibt, Stichwort inklusive Sprache. Sie betont ausdrücklich, dass ein Großteil der Autor:innen im Selfpublishing ist, weil sie es wollen, und nicht weil sie keinen Verlagsvertrag bekommen hätten. Jede:r sollte sich vor der Veröffentlichung am besten mit beiden Wegen (Veröffentlichung über Selfpublishing vs. Verlag) informieren und das Richtige für sich wählen. Wichtig dabei sei vor allem, sich ernsthaft zu fragen, ob man sich zutrauen könne, ein Buch selbst zu veröffentlichen, denn das koste enorm viel Kraft und Geld.
Auch die Person, die das Lektorat übernimmt, kann frei gewählt werden. Jess verstehe sich sehr gut mit ihrer Lektorin Nora Preuß und ist dankbar für ihre Anmerkungen und persönlichen Erfahrungen, die sie mit ihr teilt. Dass ihre Lektorin ebenfalls zur LQBTQ*-Community gehört, macht die Zusammenarbeit umso wertvoller und ist bei einem queeren Buch sicherlich von Vorteil.
Jess vereint ihren Traum vom Schreiben mit dem Einsatz gegen Diskriminierung und sagt über ihre Selbstständigkeit: “Ich habe heute mehr Respekt vor Selbstständigen und Freiberufler:innen, als ich es jemals in meinem Leben hatte, weil ich es gerade selber durchlebe.” Ihr zweites Buch “Ein Nikolaus zu Weihnachten” ist im November erschienen. In diesem verwerndet sie vermehrt die inklusive Sprache und greift unter anderem Bisexualität, Ableismus, also die Diskriminierung aufgrund einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung, und den gesellschaftlichen Druck von Weihnachten auf. Sie wünscht sich, nur vom Schreiben leben zu können, weiß aber auch, dass das noch ein langer Prozess ist, und macht es bis dahin neben ihrem Vollzeitjob. Sie schmunzelt: “Solange man Träume hat, kann man ja auch etwas dafür tun, dass sie wahr werden.”
Chapeau!
Bin begeistert und beeindruckt wie das Thema besprochen wird.
Das ist mehr als Zeitgeist.
Bitte dranbleiben und nicht durch vermeintliche Lebenswirklichkeiten
abdriften.